Diese ist ein Auszug aus Brigitte Ortner: Alternative Lehrmethoden im Fremdsprachenunterricht; Hueber Verlag 1997

Fremdsprachenwachstum

Kursdesign Konzept des Lernens Konzept des Kontexts Techniken des Lernens Die Lernenden Interaktionsdynamische Konstituenten Die Fehler
Sprachbegriff Konzept des Lehrens Ziele Techniken des Lehrens Die Lehrenden Das Material Kritische Bewertung

 

Der von seinen Begründern Buttaroni und Alfred Knapp als ,Anti-Methode' bezeichnete Sprachlernansatz Fremdsprachenwachstum wurde in den 80er Jahren in Wien für den Fremdsprachen-Unterricht mit Erwachsenen und Jugendlichen entwickelt. Fremdsprachenwachstum knüpft an Rene Descartes und Wilhelm von Humboldt terminologisch an und beruht auf universalgrammatischen Annahmen. Die theoretischen Grundlagen und praktischen Anweisungen sind in Buttaroni/Knapp 1988 und in Buttaroni 19973 publiziert.

Buttaroni, Susanna und Alfred Knapp: Fremdsprachenwachstum. Anleitungen und sprachpsychologischer Hintergrund für Unterrichtende. Fernkurse der Wiener Volkshochschulen. Wien 1988 Hueber, Ismaning 1997.

  Kursdesign

A) Authentisches Hören

1. Schritt: Hören und mündlicher Informationsaustausch

Ein Fremdsprachenwachstumskurs für Anfänger beginnt in der Regel mit Arbeit an einem ein- bis drei minütigen realitätsnahen, natürlich-komplexen Hörtext in natürlicher Sprechgeschwindigkeit, von dem angenommen wird, dass er auf das inhaltliche Interesse der Lernergruppe stößt. Auf Audiokassette vorhanden, wird er der Lernergruppe mehrmals in realer Geschwindigkeit vorgespielt. Die Arbeitsaufgabe, die man als Einladung an die Lernenden versteht, lautet: „Hören Sie so aufmerksam wie möglich zu." Nach diesem ersten Hören tauschen die Lernenden in Zweiergruppen jene Informationen aus, die sie bisher dem Text entnehmen konnten.

2. Schritt: Hören und schriftlicher Informationsaustausch Ein zweites Hörpaket mit wiederum zwei- bis dreimaligem Abspielen und aufmerksamem Anhören folgt. Beim dritten Anhören dieses zweiten Hörpakets werden die Lernenden aufgefordert, sich drei bis fünf Wörter, respektive Lautgruppen, die sie interessieren, zu notieren. Ein Informationsaustausch der Lernenden untereinander, in neu zusammengesetzten Paaren oder in Dreier- oder Vierergruppen folgt.

3. Schritt: „Lebendes Wörterbuch": Informationsaustausch im Plenum Hier geben die Paare ihre in der Kleingruppe nicht geklärten Fragen/Wörter zur möglichen Klärung an das Plenum weiter. Bleiben im Plenum Fragen offen, beantwortet sie die Lehrperson.

4. Schritt: Hören mit Arbeitsaufgaben

Es folgt ein zwei- bis dreimaliges Anhören des Textes mit erneutem Informationsaustausch in neuer Paar- oder Gruppenzusammensetzung. Eine weitere Hörrunde kann zur Aufmerksamkeitserhaltung mit Arbeitsaufgaben inhaltlicher Art versehen werden. Hier achtet man darauf, diese Arbeitsaufgaben nicht in Form von lehrergelenkten Verständnis- oder Überprüfungsfragen zu gestalten. Der Informationsaustausch erfolgt in neuer und erweiterter Zusammensetzung der Lernenden. Als Abschluss wird der Text noch einmal angehört.

Die Dauer der gesamten Aktivität wird mit etwa vierzig Minuten veranschlagt.

B) Hörverstehen. Sprechen. Lesen

An diese Aktivität anschließen kann ein detailorientiertes Hörverstehen, eine Aktivität zum Sprechen oder ein ähnlich wie das authentische Hören strukturiertes authentisches Lesen.

1) Individuelles Lesen

Lesetexte sind authentisch, vielfältig in Inhalt und Form, natürlich in ihrer Komplexität und von variabler, aber begrenzter Lange. Sie sind darüber hinaus für Lernende und Lehrende interessant. Mit einer Zeitvorgabe, die das doppelte Maß der Zeit ist, die Lesende für das Lesen eines muttersprachlichen Textes benötigen, werden die Lernenden eingeladen, die ihnen vorgelegten Kurztexte individuell, leise und aufmerksam durchzulesen. Darauf tauschen die Lernenden in Paaren oder Kleingruppen Informationen aus.

2) Individuelles Lesen, interessante Wörter unterstreichen

Bei einem nächsten aufmerksamen individuellen Lesedurchgang sollen drei bis vier Wörter unterstrichen werden, die von den Lernenden für interessant gehalten werden, deren Bedeutung sie kennen möchten. In Paaren wird danach der Versuch unternommen, die Wortbedeutungen zu klären. Hier nicht klärbare Wortbedeutungen werden dem Plenum vorgelegt. Erst dann schaltet sich die Lehrperson für die Bedeutungsentschlüsselung ein.

3) Gemeinsames Wörterbuch, individuelles lesen

Ein individuelles Lesen mit Zeitvorgabe und einem neuerlichen Auftrag zum

unterstreichenden Hervorheben unbekannter Wörter von Interesse sowie ein Informationsaustausch zu zweit oder dritt in neuer personeller Zusammensetzung und ein , .gemeinsames Wörterbuch", wie oben beschrieben, folgen. Den Abschluss einer solchen Authentischen Leseaktivität' bildet ein individueller Lesedurchgang.

C) Lingua Puzzle - Schreiben

Die zentrale detailorientierte Hörverstehensaktivität ist das ,.Lingua Puzzle". Aus einem bereits anhand der oben beschriebenen Hördurchgänge global verstandenen Hörtext wird eine Hörtextpassage von etwa zwanzig bis dreißig Sekunden Länge erneut präsentiert, mit dem Ziel der vollständigen Rekonstruktion der Passage durch die Lernenden anhand einer schriftlichen Fixierung. Die Einladung an die Lernenden lautet, so viel wie möglich während des wiederholten Hörens mitzunotieren. Die gewählte Passage wird fünf- bis zehnmal abgespielt. Danach vergleichen die Lernenden in Paaren ihr auf diese Weise entstandenes Lautgruppen- oder Wortpuzzle, korrigieren und ergänzen es. Die Hörtextpassage wird erneut mehrere Male angehört, das Puzzle wird individuell weiter aufgefüllt und in neuer Paarzusammensetzung verglichen, korrigiert und ergänzt. Eine weitere mehrmalige Hör- und Notierrunde in Einzelarbeit folgt. Informationen werden nun in Gruppen von drei oder vier Lernenden ausgetauscht. Sobald ein großer Teil des Textes, möglichst neunzig bis hundert Prozent, von der Gruppe oder einzelnen Gruppenmitgliedern schreibend rekonstruiert worden ist, wird der Text von den Lernenden in Gemeinschaftsarbeit der Lehrperson diktiert und von dieser nur alle sichtbar schriftlich fixiert. Hierbei werden zunächst alle von den Lernenden vorgeschlagenen Alternativen notiert. Unklarheiten werden durch gezieltes Anhören der jeweiligen Textpassage auf dem Tonband von den Lernenden selbst geklärt. Der Tafelanschrieb, der die korrekte Version des Hörtextausschnitts wiedergibt, wird von den Lernenden abgeschrieben.

Variante: „Listening for detail"

Anstelle des ,,Lingua Puzzles" kann an diesem Ort des Unterrichtablaufs auch eine Übung nach dem Prinzip des ,.Suche X" eingesetzt werden. Hier ist die Arbeitsanleitung für die Lernenden, aus einem im globalen Sinn bekannten Hör- oder Lesetext ein bestimmtes, von der Lehrperson vorgegebenes sprachliches Element herauszuhören und zu notieren oder anzustreichen. Die Lehrperson sucht diese Elemente in der Regel aus den linguistischen Bereichen Phonetik und Intonation, Lexik, Semantik, Syntax aus. Bei der Auswahl der Elemente orientiert sie sich am jeweiligen Text und an der Sprach- und Lerntheorie des Fremdsprachenwachstums. Nach mehrmaligem Anhören beziehungsweise aufmerksamem, individuellem Durchlesen werden die X-Elemente notiert oder unterstrichen. Die Ergebnisse werden in Paaren oder Dreiergruppen verglichen, diskutiert und ergänzt. Neuerliches mehrmaliges Anhören respektive Durchlesen und individuelles Ergänzen der Liste der X-Elemente sowie Informationsaustausch in neu zusammengesetzten Paar- oder Kleingruppen folgt. Eine komplette Liste der im Text vorhandenen X-Elemente wird von der Lehrperson verteilt oder diese Liste wird im Plenum von den Lernenden mithilfe der Lehrperson erstellt. Abschließend wird der Text noch einmal gehört oder individuell gelesen.

D) Simulations- und Rollenspiele

Hier werden zur authentischen, freien mündlichen Sprachverwendung im Unterrichtskontext Simulationen und Rollenspiele vorgeschlagen, die das inhaltliche Interesse der Lernenden erwecken:

Zur freien schriftlichen Produktion werden Tagebucheintragungen, Artikel, Essays, Postkarten, Kurznotizen etc. vorgeschlagen. Schreibinhalte ergeben sich daraus, was für die einzelnen Lernenden im Hier-und-Jetzt Bedeutung hat.

Die Gesprächskonstruktion

Als Aktivität, die in der mündlichen Anwendung die Sprachform zum Thema macht, wird die Gesprächskonstruktion genannt. Die Lehrperson beschreibt den Lernenden Personen und Handlung, Ort und Zeit eines Gesprächs, deren sprachliche Realisierung in sechs bis zehn Äußerungspaaren sie im Wortlaut im Kopf und auf einem Blatt notiert hat. Sie lädt nun die Lernergruppe ein, mit ihrer gestischen, mimischen oder verbal kommentierenden Unterstützung diesen Dialog schrittweise zu konstruieren. Hierbei gilt die Version, die die Lehrperson im Kopf hat, als die Richtige1. Angebote von Lernerseite können nun sprachlich korrekt und dennoch nicht „richtig" sein. Alle Lernervorschläge werden diskutiert und in einem gemeinsamen Gespräch wird ihre Abweichung von der Originalversion eingestuft. Ist das erste Äußerungspaar- Rede und Gegenrede, Frage und Antwort etc. - etabliert, memorisieren es die Lernenden in Paaren. Das nächste Äußerungspaar wird mit verbaler, mimischer, gestischer Hilfe der Lehrperson von der Lerngruppe konstruiert und gemeinsam mit dem ersten Äußerungspaar wiederum zu zweit memorisiert. Dieser Vorgang wiederholt sich bis zur vollständigen Konstruktion/Rekonstruktion und Memorisierung des - von der Lehrperson in Anlehnung an reale Gesprächssituationen erdachten und allein dieser im Wortlaut zu Beginn der Aktivität bekannten - Dialogs. Die Lernergruppe diktiert der Lehrperson den Dialog. Diese schreibt ihn für alle sichtbar auf. Die Lernenden übertragen ihn in ihr Heft. Auch Substitutionsübungen innerhalb etablierter Dialoge werden zum Training der ,Sprechwerkzeuge' angeboten.

Im Bereich der schriftlichen Produktion schlägt man den Einsatz von Lückentexten, „weißen Inseln" vor, mit Hilfe derer sich die Lernenden auf formale Aspekte der Fremdsprache konzentrieren sollen.

Die Abfolge der Aktivitäten wird als im Prinzip beliebig beschrieben. Von diesem Prinzip gibt es eine Ausnahme: Hör- und Leseaktivitäten, die auf das Detail oder die sprachliche Form hin orientiert sind, wie das „Lingua Puzzle", die Suche X-Übung und die weißen Inseln werden an Texten oder Textausschnitten angewendet, die im Unterrichtskontext bereits einer sogenannten authentischen Aktivität unterzogen wurden und daher ein globales Verstehen derselben vorausgesetzt werden kann.

Sprachbegriff

Sprache ist ein System von phonetisch oder graphisch realisierten, mit Bedeutungen verbundenen Zeichen mit unendlichen lexikalischen Kombinationsmöglichkeiten, die durch Prinzipien und Regeln streng organisiert sind.

Was von Sprache hörbar und sichtbar wird, ist nichts anderes ais die wahrnehmbare Projektion der mentalen Mechanismen und ihrer komplexen Interaktion.

Konzept des Lernens

Ausgehend von der Annahme der rationalistischen Linguistik, „dass Mensche menschlicher Sprache spezialisiert ist", sie über ein angeborenes Sprachwissen verfügen, das als „fixer Kern" mächtiger formaler Prinzipien und offener Parameter beschrieben wird, wird Sprachenlernen als ein Vorgang des Parametersetzens und des Parameterstabilisierens interpretiert. Mit Chomsky nimmt man an, dass jeder Mensch die Prinzipien der verschiedenen Subsysteme von Sprache und die Art ihrer Interaktion sowie die Parameter, die diesen Prinzipien zugeordnet sind, unbewusst-intuitiv weiß. Gelernt werden die Werte der Parameter und anfällige Ausnahmen. Jeder Fremdsprachen Lernende hat die muttersprachlichen Parameter gesetzt und in der Regel auch stabilisiert. Beim Fremdsprachen Lernen geht es nun darum, jene Parameter, die von den Muttersprache-Parametern abweichen, neu zu setzen respektive zu differenzieren und erneut zu stabilisieren.

Konzept des Lehrens

Eine Fremdsprache im unterrichtlichen Kontext zu lehren, heißt im Rahmen des Fremdsprachenwachstums, Kontakte mit der Wirklichkeit zu organisieren. Im konkreten Falle des fremdsprachlichen Unterrichts repräsentiert der Text die Wirklichkeit. Die Kontakte sind möglichst frei zu halten von sogenannten pädagogischen und/oder erzieherischen Interventionen im weiteren und engeren Sinne. Lehren orientiert sich in der Art und Weise, wie fremdsprachliche Kontakte organisiert werden, an Erkenntnissen über die neurobiologischen Grundvoraussetzungen menschlicher Lernfähigkeit im Allgemeinen und menschlicher Sprachlernfähigkeit im Besonderen. Dies zu spezifizieren bedient es sich der Theorie der Universalgrammatik. Fremdsprachenlehren ist eine im Sinne der Erkenntnisse der Universalgrammatik zu gestaltende Inputbereitstellungs-, Unterrichtsablaufplanungs- und Organisationsaufgabe.

Konzept des Kontexts

Dem Kontext im räumlichen Sinne wird keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Die immer schon vorhandenen und reichen Quellen der inneren Ausstattung, die jeden Menschen zum Spracherwerb prädestiniert, machen eine besondere Gestaltung des räumlichen Lernumfelds weitgehend unnötig. Für einen Sprachkurs für selbstverständlich hält man eine Anordnung der Unterrichtsmöbel in einer Weise, die eine ungestörte akustische Wahrnehmung von Lerneräußerungen möglich macht.

Ziele

Der Auffassung von Fremdsprachen-Lernen im unterrichtlichen Kontext als Bewahrung und Nutzung der immer schon vorhandenen, allein den Menschen eigenen Sprachlerneignung sind auch die Ziele von Sprachunterricht beigeordnet.

Techniken des Lernens

Die zentralen Techniken des Lernens sind das aufmerksame, auf Verstehen gerichtete Anhören und Lesen von Texten. Dialoge, die in ihrer konkret sprachlichen Einzelgestalt nur der Lehrperson bekannt sind, werden mit deren mimischer, gestischer und kommentierender Hilfe von der Gesamtgruppe ratend (re)konstruiert. Das Niederschreiben von Gehörtem wird als Hilfe zur Speicherung von Daten im Gedächtnis eingesetzt.

  Techniken des Lehrens

Der Abwechslung des Wahrnehmungs- und Aktivitätsmodus - Hören, Lesen, Texte zerschneiden und wieder zusammenzustellen, die körperliche Bewegung in den Informationsaustauschphasen wird Bedeutung beigemessen. Diese Abwechslung zu organisieren ist Aufgabe der Lehrperson. Sie wählt aus den im Kursdesign beschriebenen Inhalts- und formorientierten Aktivitäten aus. Das Bereitstellen von Texten, das Entwerfen von Aufgaben zur Beobachtung von Sprachdaten, das Formulieren von Arbeitsanweisungen an die Lernenden sind zentrale Lehrtechniken.

  Die Lernenden

Geht man von den Konzepten des Fremdsprachenwachstums aus, so ist anzunehmen, dass Lernende prinzipiell und Idealerweise mit dessen lerntheoretischen Annahmen übereinstimmen und bereit sind, sich der Erfahrung eines so konzipierten fremdsprachlichen Lernangebots auszusetzen.1 Lernende wissen und lernen im Laufe von Unterricht demnach zu akzeptieren, dass „die wichtigste Grundlage effizienten Fremdsprachenlernens der aufmerksame Kontakt mit Texten ist, die sie verstehen wollen.

Sie schätzen idealerweise die intime, im Vergleich zu Plenumsbesprechungen weniger hemmende Atmosphäre von Textarbeit in Paaren und Kleingruppen, sowie die dadurch erhöhte Redezeit für jede einzelne Person. Sie lernen die Mitlernenden als gleichwertige Partner und bereichernde Informanten zu akzeptieren und bauen durch die gemeinsame Arbeit Gruppenidentität auf.

Mit den Gruppenmitgliedern und der Lehrperson teilen sie die Einsicht, dass allein selbstgewolltes, selbstbestimmtes, entdeckendes und kooperativ-reflektierendes, von Kontrollen und lehrerseitigen Erklärungen weitgehend freies Lernen zielführend ist.

  Die Lehrenden

Abgeleitet von der Maxime, dass es die Aufgabe des Unterrichts sei, „möglichst realistisches sprachliches Material anzubieten", konzentrieren sie sich auf die Suche nach thematisch interessanten, komplexen, ästhetisch und pragmatisch vielfältigen Texten aus dem reichen Angebot der diskursiven Realität. Hierbei lassen sie sich von ihren eigenen thematischen Interessen und einem sensibel beobachteten Gruppeninteresse sowie ihrem ästhetischen Empfinden leiten.

Sie sind angehalten, den Lernenden eine direkte Begegnung mit diesen Texten zu bieten, unbeeinflusst von einschränkender Planung sprachlicher und/oder pädagogischer Progression. Ihre Richtlinie ist, eine „aufwendige pädagogische Maschinerie von Motivations-, Erwartungs- und Vorentlastungsaktivitäten sowie sprachsystematische Erklärungen" zu vermeiden. Sie sollen Unterricht so gestalten, dass Texte für sich wirken.

Interaktionsdynamische Konstituenten

In der Auseinandersetzung mit den Texten agieren die einzelnen Lernenden autonom. Sie bringen ihre individuell variierenden Wissensbestände in die Paar- und Kleingruppen sowie in das Plenum ein. Die Lehrperson agiert hier als wenig inhaltlich steuernd. Sie übernimmt die Rolle einer Informationsquelle und gibt Textbearbeitungsrichtlinien vor.

Das Material

Das herausragende Kennzeichen der Textmaterialien eines Fremdsprachenwachstumskurses ist deren .natürliche Komplexheit' von Beginn an. Da man davon ausgeht, dass die Sprachfähigkeit angeboren ist und daher in ihrer vollen Komplexität auch zu Beginn eines Fremdsprachenkurses-Kurses zur Verfügung steht, verzichtet man folgerichtig auf „eine Planung der linguistischen Progression in der Präsentation der Daten". Man bietet realitätsnahe, inhaltlich und formal abwechslungsreiche Texte mit vielfältigen Kontextbezügen an. Sprachliche Einfachheit oder Schwierigkeit eines Textes zahlen nicht zu produktiven Auswahlkriterien. „Echte" Texte kennzeichnet das Nebeneinander von einfachen und schwierigen Sätzen, instabile Performanz, eben eine natürliche Komplexität. Hörtexte sind in der Regel kurz. Je nach Aktivität, für die sie eingesetzt werden, haben sie eine Dauer von 30 Sekunden bis 3 Minuten. Der Lernprozess ist der „Stoff' des Fremdsprachenunterrichts.

  Die Fehler

Fehler in der Sprachproduktion der Lernenden sind den Erwerbsprozess notwendig begleitende Unvollständigkeiten und sichtbarer Ausdruck seiner Bewegung. Sie sind äußere Zeichen der prozesshaften Annäherung an die korrekte Form der Fremdsprache.

Fehlerkorrektur wird in jeder Form als nicht zielführend abgelehnt. Es wird angenommen, dass Fehlerkorrektur während einer Lerneräußerung die freie, spontane Rede versiegen lässt, weil Lernende ihre Äußerungen dann auf gesichertere, das sind in der Regel einfachere Ausdrucksebenen verlagern und ihre Risikobereitschaft, ihre Kreativität damit unterbunden wird. Fehlerkorrektur nach einer Aktivität halt man ebenso für sinnlos, weil man davon ausgeht, dass die Fehlerquellen durch Korrektur nicht beeinflussbar sind.

  Positionierung und kritische Bewertung

Fremdsprachenwachstum geht von der Voraussetzung aus, dass Lernende die jeweilige Fremdsprache lernen wollen. Das selbstbestimmte Lernerinteresse tritt an die Stelle pädagogischer Anstrengungen im Motivationsbereich. Die fehlende Graduierung des sprachlichen Inputs, die diese Methode als eine Bedingung von erfolgreichem Fremdsprachen-Lernen setzt, ist einer der verunsicherndsten und daher auch am häufigsten von Anwendern, Lehrenden und Lernenden kritisierten Faktoren. Bislang gibt es kein anderes bekanntes Sprachlehrmodell, das die für Unterricht zentrale Frage der Inputgraduierung so radikal beantwortet.

Anlass zu Kritik an der Methode gibt verschiedentlich auch ihre Ausrichtung auf in erster Linie kognitive, streng sachbezogene Interaktionsmuster. Für die .Sache' steht hier der jeweilige Text in seinen inhaltlichen, vor allem aber in seinen formalen Gestalten. Er ist allein die Basis der Beschäftigung, sowohl in der Lehrer-Lerner-Interaktion, als auch in der Lerner-Lerner-Interaktion. Diese Eingrenzung legt zumindest eine Einschränkung der Anwendungsmöglichkeiten der Methode auf bestimmte Zielgruppen nahe.

In den seinen Unterrichtsmaßnahmen zu Grunde liegenden theoretischen Annahmen stellt sich dieses Fremdsprachen-Lehr- und Lernkonzept auf die Seite der Universalgrammatik. Zwar warnen die Verfasser selbst vor unkritischer, vorschneller Übertragung von Erkenntnissen und Methoden einzelner Wissenschaftsdisziplinen auf Unterricht. In der Übertragung der nativistischen Grundannahme, dass Sprache und Sprachfähigkeit dem Menschen angeboren und im menschlichen Gehirn modular organisiert ist, was (mit Chomsky u.a.) an den allen natürlichen Sprachen gemeinsamen universellen Kategorien erkennbar sei, wagen sie in ihrem eigenen Methodenvorschlag jedoch einen ebensolchen Schritt. Diese Positionierung schafft der Kritik Raum, Fremdsprachen-Unterricht wurde als Anwendungsfeld linguistischer Theorien missbraucht und die Komplexität fremdsprachlich-unterrichtlicher Prozesse werde damit unzulässig reduziert. Mit seiner Bezugnahme auf eine nativistische Erklärungsweise steht Fremdsprachenwachstum in Opposition zu den theoretischen Annahmen der vorherrschenden Methodendebatte, bei der der gesteuerten fremdsprachliche Erwerbsprozess als komplexe Interaktion der Lernenden mit ihrer sozialen Umwelt im weitesten Sinne deutet.

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