Erkenntnistheorie = Versuch des Menschen, sich verständlich zu machen,
wie Erkenntnis entsteht und was sie bedeutet.
Die Hauptthese der evolutionären Erkenntnistheorie lautet:
Der
Mensch ist ein Produkt der Evolution, also müssen auch seine Denkstrukturen
- nicht nur seine Handlungsstrukturen - evolutiv entstanden sein. Unsere
subjektiven Erkenntnisstrukturen passen deshalb auf die reale Welt, weil
sie sich im Laufe der Evolution in Anpassung an diese Welt herausgebildet
haben.
Die Struktur unseres Denkens - unsere Denkkategorien - und die Struktur
der Welt - die Realkategorien - müssen wenigstens teilweise übereinstimmen,
weil nur ein solcher Zusammenfall Überleben und Evolution in dieser
Welt ermöglichte.
Die Art, wie wir denken, und die Reichweite unseres Denkens sind in
unseren Genen festgelegt.
Entscheidend ist die Frage: Ist die Evolutionstheorie zuverlässig.
Dazu gilt: Es gibt zahllose einzelne Erfahrungen aus allen Bereichen der
Biologie, die mit ihr verträglich sind, und nicht eine, die ihr in
nachprüfbarer Weise widerspräche. Die Evolutionstheorie erklärt
Anpassung und Fortschritt. Außerdem ist sie konkurrenzlos und schließlich
ist in der Praxis die Züchtung Mikroevolution.
KONRAD LORENZ wählte ein treffsicheres Bild:
Unsere Anschauungsformen und Kategorien passen
auf das real Existierende, wie der Huf des Pferdes auf den Steppenboden
passt oder die Flosse des Fisches ins Wasser. So wie die Formen von Huf
und Flosse a priori gegeben sind, noch vor jeder individuellen Auseinandersetzung
des Jungtieres mit Steppenboden oder Wasser, und so, wie sie diese Auseinandersetzung
erst möglich machen, so ist dies auch bei unseren Anschauungsformen
und Kategorien in ihrem Verhältnis zu unserer Auseinandersetzung
mit der realen Außenwelt.
Letztlich stammt all unser Vorwissen (Vorauswissen) über die reale
Welt aus der Erfahrung; aber es ist die Erfahrung des Stammes, die im
Laufe der Evolution durch Auslese und Anpassung angehäufte genetische
Information. So wie sich unsere Hand an die reale Welt angepasst hat,
unsere Beine, unsere Augen, unser Kreislauf, so hat sich auch die kognitive
Struktur unseres Gehirns an die reale Welt, in der die Evolution der Hominiden
vonstatten ging, angepasst.
Falsches Denken war ein schwerwiegender Mangel an Fitness, richtiges
Denken, d.h. Denken in Übereinstimmung mit der Realstruktur, erhöhte
die Fitness. Zum Beispiel ist die Erwartung kausaler Zusammenhänge
in unseren Genen verankert. Die Vorgänge in der Natur sind kausal:
die Erwartung kausaler Zusammenhänge ist deshalb ein hoher Selektionsvorteil.
Auf der Kombination von Vorwissen und Lernen beruht die Flexibilität
und Anpassungsfähigkeit der menschlichen Spezies. Die Zecke hat alles,
was sie an "Erkenntnis" braucht, in ihren Genen. Entsprechend minimal
ist ihre Flexibilität. Der Mensch hat nur jenes Vorwissen, das überall
gilt, in seinen Genen; entsprechend groß ist seine Flexibilität
zum individuellen Lernen innerhalb des Rahmens, den das genetische Vorwissen
setzt.
Wie weit reicht unsere genetisch fixierte Erfahrung? Unsere Vorfahren
können Erfahrungen nur über ihre Sinnesorgane gemacht haben.
Demgemäss ist die Anpassung eng begrenzt auf den Bereich der "mittleren
Dimensionen", auf den Mesokosmos.
So ergaben sich in der Physik der kleinen und der großen Dimensionen
erschreckende erkenntnistheoretische Probleme, die bis heute ungelöst
geblieben sind, wie z.B. die Unschärferelation (in der Quantenphysik)
oder die Relativitätstheorie. Diese Mikro- und Makrowelt ist für
uns zwar noch abstrakt erkenn- und mathematisch beschreibbar, aber nicht
mehr vorstellbar. Der Realismus wird außerhalb der mittleren Dimensionen
auch für den Wissenschaftler zum Problem.
Schließlich noch eine Anmerkung von WERNER HEISENBERG:
"Ob wir entfernte Sterne oder Elementarteilchen studieren - auf diesen
neuen Gebieten endet die Kompetenz unserer Sprache, die Kompetenz unserer
konventionellen Kategorien, Mathematik ist die einzige Sprache, die uns
verbleibt. Ich persönlich halte es für falsch, zu sagen, die
Elementarteilchen der Physik seien kleine Stückchen von Materie;
ich ziehe es vor, zu sagen, sie seien Repräsentanten von Symmetriegesetzen.
Je kleiner die Partikel werden, um so mehr bewegen wir uns in einer rein
mathematischen Welt und nicht mehr in der Welt der Mechanik."
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