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Die Nomenklatur der nachfolgenden Hominiden weicht zum Teil von denen
der oben genannten links ab.
Die nachfolgende Aufstellung benützt Donald Johansons Einteilung
der menschlichen Vorfahren in die beiden Gattungen "Australopithecus"
und "Homo". Diese Vereinfachung verbessert deutlich den Überblick.
Ältere Gattungsbezeichnungen wie z.B. "Paranthropus" u.a.
fallen hier weg.
Der Mensch ist ein lebendes System, das sich durch einen hohen Grad von
Differenzierung auszeichnet. Er ist das vorläufige Endprodukt eines
langen entwicklungsgeschichtlichen Prozesses, der EVOLUTION.
Unter Evolution versteht man die Tatsache, dass alle Lebewesen im Laufe
der Erdgeschichte aus andersartigen Vorfahren in direkter Zeugungskette
entstanden sind. Die Abstammung des Menschen von tierischen Ahnen wurde
bereits 1809 von LAMARCK, dem ersten konsequenten Anhänger des Evolutionsgedankens,
angedeutet. CHARLES DARWIN vermutet 1859, dass die Entstehung der Arten
auch auf den Ursprung des Menschen und seine Geschichte Licht werfen würde
und beschäftigt sich 1871 eingehend und beweisführend mit diesem
Problem in seinem Werk "Die Abstammung des Menschen", nachdem
Th. H. HUXLEY 1863 in der Vorlesung über "Zeugnisse für
die Stellung des Menschen in der Natur" Belege gebracht hatte, die
den Menschen zusammen mit den Menschenaffen, Affen und Halbaffen in die
Ordnung der HERRENTIERE (PRIMATEN) einreihten. Seit dem 18. Jh. werden
die Hominiden, die einzige Familie aufrechtgehender Primaten, unwiderruflich
der Säugetierordnung der Herrentiere zugeordnet, und ihre Stellung
durch zahlreiche Kriterien gestützt und gefestigt.
Wichtigen Kriterien für die Primatenzugehörigkeit:
Morphologische Befunde: Mit den Primaten teilt der Mensch Greifhände
mit gegenüberstellbarem Daumen, flache, kurze Nägel, Füße
mit Großzeh, ähnlich gestaltete Ohrmuscheln und ein relativ
großes Hirnvolumen. Er hat wie die Menschenaffen nach vorne gerichtete
Augen; die das Raumsehen zur höchsten Entwicklung gebracht haben.
Die Gebisse der Menschenaffen haben die gleiche Zahnformel wie das Gebiss
des Menschen. Allgemein lässt sich sagen, dass der menschliche Körper
nach einem Bauplan konstruiert ist, der mit wachsender Ähnlichkeit
dem Wirbeltier-, Säuger-, Primaten- und Menschenaffenbauplan entspricht.
"Einzigartige" Strukturen, die anderen Primaten fehlen, konnten
beim Menschen nach DOBZHANSY nicht entdeckt werden.
Abb.:
Kniegelenk von Australopithecus afarensis (aus Johanson). Der Winkel im
Gelenk zeigt beispielsweise, dass Australopithecus aufrecht gegangen ist.
Zytologische Befunde: Zu aufschlussreichen Ergebnissen führten
in den letzten Jahren cytogenetische Untersuchungen. Die Chromosomenzahlen
variieren innerhalb der Primaten beträchtlich, von bemerkenswerter
Übereinstimmung sind sie aber zwischen den Menschenaffen (2n = 48)
und den Menschen (2n = 46). Die überzähligen Affengene sind
beim Menschen auf dem Chromosom 2 zusammengefügt. Als noch bedeutungsvoller
hat sich aber die Analyse der Chromosomenformen erwiesen. Es zeigte sich,
dass Menschenaffen und Menschen die gleichen Chromosomentypen haben mit
den gleichen Detailstrukturen. Dem Menschen am ähnlichsten ist der
Chromosomensatz des Schimpansen.
Serologische Befunde: Auch bei den Menschenaffen sind die bekannten
Blutgruppen A, B und 0 vorhanden. Darüber hinaus konnte festgestellt
werden, dass bei Gibbon, Orang-Utan und Schimpanse auch die von Menschen
bekannten A-Untergruppen vorliegen, und schließlich, dass die chemische
Struktur der Blutgruppenantigene denen des Menschen entspricht.
Embryologische Befunde: Die Embryonen verschiedener Wirbeltierklassen
wie Haifisch, Küken und Mensch sind sowohl in der Gesamtform als
auch in der Ausbildung des Kopfes mit seinen Augen, seinen Kiemenspalten,
des Rumpfes mit den Gliedmaßen, Schwanz usw. kaum zu unterscheiden.
Parasitologische Befunde: Die Wirtsspezifität liefert aufschlussreiche
Evolutionsbeweise, denn viele Wirte haben ihre Parasiten von den Ahnformen
mitbekommen. Läuse der Gattung PEDICULUS leben beispielsweise nur
auf Menschen und Schimpansen.
Biochemische Befunde: Sequenzanalysen bei Nukleinsäuren und
Eiweißen liefern nach der Größe der Übereinstimmung
ein Maß für die stammesgeschichtliche Verwandtschaft. So lassen
sich Doppelspiralen von DNA halbieren und unter Umständen mit radioaktiv
markierten, fremden Einzelsträngen komplementär neu verbinden.
Solche Ergänzungen verlaufen umso vollständiger, je ähnlicher
die DNA-Moleküle, im weiteren Sinne die sie liefernden Organismen,
sind. So betragen sie bezeichnenderweise zwischen Maus und Hamster 55
%, zwischen Maus und Meerschweinchen lediglich noch 24 % und zwischen
Maus und Mensch gar nur noch 20 %. Hingegen bringen es Mensch und Rhesusaffe
auf "85 % Ähnlichkeit". Neueren DNA-Untersuchungen zufolge
haben Menschen über 98 % ihrer Gene mit den Menschenaffen gemeinsam.
Unterschiede in der Eiweißstruktur sind entsprechend aufschlussreich.
Ein gut untersuchtes Beispiel ist das Atmungsferment Cytochrom c. Je nach
Tierart weist es eine Sequenz von insgesamt 104 - 108 Aminosäuren
auf, wobei einzelne Positionen von verschiedenen Aminosäuren besetzt
sein können. Zwischen Säugern und Vögeln gibt es 10 - 15,
zwischen Säugern und Fischen rund 20, zwischen Säugern und Hefe
schließlich 43 - 49 solcher unterschiedlicher Besetzungen. Hingegen
unterscheiden sich der Mensch und der relativ nahe verwandte Rhesusaffe
nur in einer einzigen Aminosäure.
Ethologische Befunde: Zahlreiche Ähnlichkeiten zum allgemeinen
Primaten-Verhalten sind nachweisbar. So zeigen Schimpansen u.a. ein Lächeln,
das unserem durchaus ähnlich ist. Auch im Grußverhalten erscheinen
zahlreiche Gemeinsamkeiten, so im Küssen, Umarmen und Händereichen.
Altes Erbe steckt wohl auch in unserer Drohstellung, bei der die Arme
in den Schultern einwärts rollen. Brutpflegehandlungen wie das Mund
zu Mund -Füttern finden sich bei Schimpansen ebenso wie bei Papuas
und Pygmäen, in übertragenem Sinne auch beim gegenseitigen Füttern
als freundliche Geste, woraus weiter das Küssen abzuleiten ist. Tiefverwurzeltes
tierisches Erbe liegt wohl auch unserem Bedürfnis nach Deckung und
Ausblick zugrunde (Verhalten im Restaurant). Kinder suchen Schutz bei
der Mutter, später auch bei ranghöheren Erwachsenen. "Der
Artgenosse wird zum Fluchtziel, seine Nähe bedeutet Geborgenheit"
(EIBEL-EIBESFELDT). Im Dienste sozialen Kontaktstrebens stehen auch die
sozialen Körperpflegehandlungen, die bei vielen höheren Wirbeltieren
der Erhaltung der freundschaftlichen Beziehungen dienen. Ritualisiert
liegt sie beispielsweise in zärtlichen Handlungen wie Streicheln
und Kraulen vor. Eine weitere Gemeinsamkeit zwischen Affen und Menschen
liegt in dem bittenden Handausstrecken und dem Nicken des Kopfes. Auf
Grund des angeborenen Aggressionstriebes muss es im Sinne der Erhaltung
der Sozietät zur Ausbildung von Rangordnungen kommen. Moderne Untersuchungen
(MILGRAM) haben verdeutlicht, dass sich der Mensch zwar gegen die Herrschaft
brutaler Gewalt wehrt, dass er sich aber einer freiwillig anerkannten
Autorität aus einer deutlicher Disposition heraus bereitwillig unterordnet,
ja gewissermaßen ausliefert.
Bild:
Stammbaum von Australopithecus und Homo (nach GEO)
Bild: Stammbaum von Australopithecus und Homo (nach
Johanson)
Wichtigsten Kriterien für die Sonderstellung des Menschen
Neben den geschilderten Befunden gibt es eine Reihe von Merkmalen, die
den Menschen scharf von den Menschenaffen trennen. Es dreht sich hierbei
fast ausschließlich um Merkmale, die sich aus der Umkonstruktion
zur voll aufrechten Haltung und der Steigerung des Hirnvolumens ergeben
haben. Der aufrechte Gang: "Bipedie" kommt im Tierreich häufiger
vor (Dinosaurier, Vögel, Braunbär), doch ist deren Aufrichtung
nur unvollkommen. Die völlige Aufrichtung findet sich nur beim Menschen.
Zwar sind aufrechte Körperhaltung und aufrechtes Laufen auch den
Menschenaffen möglich, jedoch nur für begrenzte Zeit und unter
sehr viel höherem Energieaufwand, da sie gezwungen sind, sich ständig
in der Kniebeuge zu bewegen.
Strukturbesonderheiten infolge vollständiger Aufrichtung: Die
Wirbelsäule wird aus einem Brückenbogen zu einer federnden Säule,
die durch mehrfache Biegung die Stöße des zweibeinigen Gehens
auffängt und die Rumpfmasse über die Stützfläche der
Füße bringt. Das Becken hat nunmehr die ganze Last der Eingeweide
des Unterrumpfes zu tragen, die Beckenschaufeln treten daher breit auseinander
und werden durch das gleichfalls verbreiterte Kreuzbein in ihrer tragenden
Funktion unterstützt. Breiter und flacher wird mit der Aufrichtung
auch der Brustkorb. Diese Verbreiterung und Abflachung des oberen Rumpfes
bedingen auch die Verlagerung der Schulterblätter aus ihrer seitlichen
Lage nach hinten, wodurch der Arm jene große seitliche Beweglichkeit
gewinnt, die für den Menschen so charakteristisch ist. Stärker
durch die aufrechte Haltung geprägt werden die hinteren Extremitäten.
Sie allein tragen jetzt den Körper und haben ihn fortzubewegen. Sie
werden beim Menschen besonders lang und kräftig. Im Vergleich zu
den Menschenaffen werden die Beine indessen nicht nur wesentlich länger
als die Arme, auch im Verhältnis zur Rumpflänge entwickelt der
Mensch die längsten Beine. Der menschliche Fuß, als an den
zweibeinigen Gang angepasste Stütze, weist kaum mehr den Charakter
eines Greiffußes auf. In der embryonalen Entwicklungsphase stimmt
die menschliche Fußform bis zu einem gewissen Grad noch mit derjenigen
anderer Primaten überein; erst später erfolgt die Differenzierung.
Im Zuge der Eigenentwicklung tritt die Großzehe in die Reihe der
übrigen Zehen und verstärkt sich. Die Zehenglieder, insbesondere
die der fünften Zehe, verkürzen sich auffallend. Im Zuge der
Aufrichtung kommt es zur Ausbildung des Fußgewölbes. Die Wölbung,
die sowohl längs als auch quer verläuft, gewährleistet
die notwendige Elastizität beim zweibeinigen Gehen, Laufen und Springen.
Der Schädel wird über der aufrechten Längsachse des Körpers
frei balanciert und lässt Nackenmuskulatur und Schnauzenpartie degenerieren.
Es wird zum besonderen Kennzeichen des menschlichen Schädels, dass
ein relativ kleiner Gesichtsschädel sich nicht mehr vor, sondern
unter dem mächtig sich wölbenden Hirnschädel legt. Der
Zahnbogen wird verkürzt, selbst die Zunge wird kürzer und gedrungener.
Das große Hirn gewinnt den notwendigen Raum vor allem durch Erhöhung
der Schädelkapsel. Hinterhaupt und Seitenwände werden beim Menschen
feiner modelliert. Die Gesichtsmuskulatur wird feiner und reicher differenziert
(Mimik).
Neben aufrechtem Gang und Hirngröße sind noch das langsame
Wachsen und Reifen ebenso wie die lange Lebensdauer weitere Grundmerkmale,
die den Menschen im Kreis der Primaten auszeichnen. Am längsten unter
allen Säugetieren ist bei ihm der Anteil der Jugend bis zur Geschlechtsreife.
Der entwicklungsgeschichtlich relativ junge Erwerb der aufrechten Körperhaltung
bedingt einige Unvollkommenheiten, die die Auslese noch nicht beseitigen
konnte, wie z.b. Disposition zu Unterleibsbrüchen und zu Bandscheibenschäden,
zu Senk- und Plattfüßen, zu X? und 0-Beinen und zur Bildung
von Krampfadern infolge Blutstauungen in den Beinen. "Überblickt
man das ganze Tierreich in seiner Formenvielfalt, so erscheint der Mensch
als eine leichte Abwandlung anderer tierischer Gestalten; er ist ein aufrechtgehender,
haarloser, großhirniger Primat". (SCHWIDETZKY).
Psychosomatische Eigentümlichkeiten:
Der Mensch ist ein kulturschöpferisches, sprechendes, in Symbolen
denkendes und über sich selbst nachdenkendes Wesen. Die Kluft, die
sich hier auftut zwischen dem Menschen und seinem nächsten Verwandten,
erscheint größer als die rein körperliche. Es hebt
sich eine Kultur ab mit unübersehbaren materiellen Schöpfungen
von Geräten, Kleidern, Schmuck, Häusern, Waffen; mit Religion,
Musik, Dichtung und Wissenschaft. Eine unendlich variable und sich ständig
vermehrende Formenvielfalt, die sich sogar weitgehend von ihren Schöpfern
gelöst hat und zum Teil eigenen und neuen Gesetzen folgt. Das menschliche
Gehirn ist wohl die entscheidende materielle und strukturelle Vorbedingung
der geistigen Entwicklung des Menschen. Der Mensch hat innerhalb der Primatenreihe
das größte Hirnvolumen und Gewicht. Im Schnitt sind es 1400
- 1500 g, wohingegen der Orang-Utan nur 350 g, der Schimpanse 400 g und
der Gorilla 500 g Hirngewicht aufweisen; auch im Anteil des Hirngewichts
am gesamten Körpergewicht steht der Mensch unter den Primaten an
erster Stelle. Für die Beurteilung der Entwicklungshöhe des
Gehirns eines Säugers als Grundlage seiner psychischen Leistungen
ist das Großhirn (Endhirn) allein ausschlaggebend, nicht das Gesamthirn.
Die Vergrößerung des Großhirns, das hinten die übrigen
Hirnteile immer mehr überwächst, wird gleichzeitig durch die
Bildung von Falten und Furchen ergänzt. Die in dieser Weise erzielte
Oberflächenvergrößerung der 2 bis 3 mm dicken Schicht
von Nervenzellen ist in besonderem Maße Ausdruck höherer Differenzierung.
Die Steigerung der Hirnmasse und die Komplizierung im Bau der Hirnrinde
werden unter dem Begriff der Zerebralisation zusammengefasst. Beim Menschen
scheinen sich völlig neue Rindengebiete entwickelt zu haben.
Die stammesgeschichtliche Entwicklung der Primaten
Die ersten Primaten traten im Paläozän, der untersten
Stufe des Tertiärs, also vor etwa 70 Millionen Jahren auf. Es waren
kleine, baumbewohnende Tiere, die wahrscheinlich von Insektenfressern
abgeleitet werden können. Am Stammbaum der Primaten repräsentieren
die SPITZHÖRNCHEN also den ersten, das heißt den untersten
Ast.
Im Eozän haben sich aus spitzhörnchenartigen Ahnen
eine Reihe von HALBAFFENgruppen entwickelt, aus denen die heutigen Gespensteraffen
und Nachtaffen (Lemuren, Makis) hervorgingen. Gegen Ende des Eozäns
wurden die ECHTEN AFFEN zu starken Konkurrenten der Halbaffen, da sie
wie diese Baumbewohner waren. Im Verlauf des Oligozäns spalteten
sich die weltweit verbreiteten echten Affen in zwei recht unterschiedliche
Gruppen auf: Es entstanden in der Alten Welt die SCHMALNASENAFFEN (Pavian,
Mandrill) und in der Neuen Welt die BREITNASENAFFEN (Seidenaffe, Kapuzineraffe).
Ihre Lebensweise war teilweise auch schon bodenbewohnend.
Es ist absolut sicher, dass die in der Folgezeit schon während des
Oligozäns (vor etwa 30 Mio. Jahren) auftretenden HOMINOIDEA,
zu denen die rezenten Gibbons, Menschenaffen und der Mensch zählen,
aus den Altweltaffen hervorgegangen sind.
Der gemeinsame Vorfahre von Menschen und Menschenaffen lebte vor nicht
mehr als 8 Millionen Jahren. Leider wissen wir über die Evolution
der Hominiden und Menschenaffen im späten Miozän vor fünf
bis zehn Millionen Jahren so wenig, dass wir den letzten gemeinsamen Vorfahren
derzeit nicht identifizieren können. Der aufrechte Gang ist das entscheidende
Kriterium der frühen Hominidenentwicklung. Er war in der Evolution
eine wichtige Neuerung. Unabhängig von der Frage nach seinen Vorteilen
für die Hominiden muss man seine Ursache in einer Verhaltensänderung
suchen, die den Fortpflanzungserfolg steigerte. C. Owen LOVEJOY, Paläanthropologe
an der Kent State University spricht von der "grundlegenden Dreiheit
der Selektion, Fortpflanzung, Ernährung und Sicherheit". Eine
beschleunigte Fortpflanzung macht danach einen höheren Energieaufwand
für Fressen und Sicherheit wieder wett. Dieses Ziel ist erreicht,
wenn die Männchen, die ihre oberen Gliedmaßen zum Nahrungstransport
nutzen, gutes Futter liefern, so dass die Weibchen mehr Energie in die
Brutpflege investieren können. Weibchen, die sich ihren Partner nach
der Zuverlässigkeit bei der Nahrungsversorgung aussuchten, erhöhten
die Überlebenswahrscheinlichkeit für ihre Kinder. Wichtig und
einzigartig an dem Paarverhalten der Hominiden ist, dass jedes Geschlecht
dem anderen etwas zu bieten hat. Das Männchen sorgt zuverlässig
für die Ernährung und bietet für die Weibchen und seinen
Nachwuchs zusätzlichen Schutz. Das Weibchen gewährleistet, dass
die Gene des Männchens in die nächste Generation gelangen, und
diese besseren Überlebenschancen der Nachkommen wirken sich erheblich
auf die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Spezies aus.
Im späten Miozän vor zehn bis fünf Millionen Jahren
schrumpften durch eine Abkühlung des Klimas die tropischen Wälder,
der Lebensraum der Menschenaffen. Diese mussten nun mit zerstückelten
kleinen Waldgebieten vorliebnehmen. Damit begann ein bis heute anhaltender
Rückgang von Vielfalt und Individuenzahl der Menschenaffen. Nur einem
ging es gut, dem Hominiden. Er entwickelte eine erfolgreiche Fortpflanzungsstrategie,
zu der als wichtiges Element auch der aufrechte Gang gehört.
Frühmenschen und Jetztmenschen
Die Menschenfamilie mit einer lebenden und mehreren ausgestorbenen Arten
aufrecht gehender Primaten schlug seit der Trennung vom gemeinsamen Vorfahren
mit den afrikanischen Menschenaffen einen eigenen Evolutionsweg ein. Formal-zoologische
handelt es sich um die Familie der Hominidae, die umgangssprachlich meist
als Hominiden bezeichnet werden.
Die Familie der Hominidae gliedert sich in frühe und späte
Hominiden. Alle frühe Arten mit Ausnahme des Ardipithecus ramidus
("Bodenwurzelaffe") werden der Gattung Australopithecus
("südlicher Affe") zugeordnet und zusammenfassend als
Australopithecinen bezeichnet.
Die späteren Hominiden gehören zur Gattung Homo.
Das gemeinsame Merkmal der vielgestaltigen Hominidenfamilie ist der aufrechte
Gang.
Die frühen Hominiden gehören nach Ansicht der meisten Fachleute
alle zur Gattung Australopithecus mit den sieben Arten anamensis, afarensis,
bahrelghazali, africanus, aethiopicus, robustus und boisei. Die 1994
benannte Gattung Ardipithecus, ein weiterer früher Hominide, umfasst
nur eine Art: ramidus. Sie gilt manchmal auch als achte Art von Australopithecus
(Australopithecus praegens). Australopithecinen hat man bisher ausschließlich
in Afrika gefunden, und zwar in 1 bis 4 Mio. Jahre alten Sedimenten. Ihre
Knochen zeugen vom aufrechten Gang auf dem Boden, aber bei manchen Arten
erinnern lange Arme und gebogene Finger- und Zehenknochen noch an die
Vorfahren auf den Bäumen. Die Australopithecinen waren Vegetarier,
und ihre "robusten" Arten (robustus, aethiopicus und boisei)
passten sich extrem an diese Ernährungsweise an durch sehr große
Backenzähne mit dickem, schnell nachwachsendem Zahnschmelz, einem
kräftigen Unterkiefer und starken Kaumuskeln, die manchmal an Knochenleisten
des Schädels verankert waren. Der Gehirnschädel der Australopithecinen
ist mit 400 bis ca. 530 cm recht klein und wird von dem großen
Gesicht verdeckt. Die Kieferpartie war vorstehend, die Stirn fliehend.
Die Australopithecinen waren 1 bis 1,5 Meter groß und wogen 27 bis
45 Kilogramm. Soweit man weiß zeigen die Arten einen ausgeprägten
Geschlechtsdimorphismus: Die Männchen waren deutlich größer
als die Weibchen.
Homo, die Gattung der Jetztmenschen, erhielt ihren Namen 1758 von
Linné. Sie umfasst sieben Arten: rudolfensis, habilis,
ergaster, erectus, heidelbergensis, neanderthalensis und sapiens.
Die Gattung entstand vermutlich vor 2,5 Millionen Jahren in Afrika und
ist heute weltweit verbreitet. Von den Australopithecinen unterscheidet
sich Homo durch das größere Schädelvolumen; die Spanne
reicht von 530 cm³ bei den früheren Arten bis zu 2000 cm³ bei heutigen
Menschen. Die Körpergröße, insbesondere die Beinlänge,
und das Gewicht nehmen zu, während der Geschlechtsdimorphismus sich
verringert. Der gesamte Gesichtsschädel mit Mund und Zähnen
ist im Vergleich zu den Australopithecinen zurückgebildet. Bei manchen
Arten entwickeln sich starke Brauenwülste. Die Muskelansätze
sind allgemein kleiner, und die Schädeldecke ist deutlich dicker
als bei den Australopithecinen. Der moderne Homo sapiens hat noch weitere
anatomische Besonderheiten: Das Skelett ist relativ zierlich, Brauen-
und Schädelwülste sind zurückgebildet. Zähne und Kiefer
sind kleiner, das Gesicht ist senkrecht und flach mit einer ausgeprägten
Nase. Der dünne Unterkiefer ist mit einem vorstehenden Kinn ausgestattet.
Der kurze Schädel ist durch eine hohe, steile Stirn gekennzeichnet
und beherbergt ein sehr großes Gehirn. Das vielleicht auffallendste
Merkmal unserer Spezies ist die Tatsache, dass sie für ihr Überleben
auf die Kultur angewiesen ist. Kultur und Symbolsprache sind seit etwa
40.000 Jahren entscheidende Kennzeichen des modernen Menschen.
Ardipithecus (Australopithecus) ramidus
(Aramis, Äthiopien ; 4,4
Mio Jahre, 1992)
Vor 4,4 Millionen Jahren wanderte im heutigen Äthiopien ein rätselhafter,
aber sehr auffälliger, affenähnlicher Hominide durch die Landschaft.
Sein fast vollständig erhaltenes Skelett liefert spannende neue Erkenntnisse
über eine Zeit, als die Hominiden sich noch nicht allzu weit von
ihrem gemeinsamen Vorfahren mit den afrikanischen Menschenaffen entfernt
hatten.
Becken-, Bein- und Fußknochen weisen wahrscheinlich auf eine andere
Art der Fortbewegung hin als bei allen sonstigen Primaten. Mit der Aussage,
ramidus sei aufrecht gegangen hält man sich allerdings bislang noch
zurück. Von anderen Hominiden unterscheidet sich diese Spezies durch
ihre relativ großen oberen und unteren Eckzähne, einen schimpansenähnlichen
ersten unteren Milchbackenzahn, affenähnlichen Kiefergelenke, dünnen
Zahnschmelz und einen deutlich asymmetrischen unteren ersten Vormahlzahn.
Insgesamt vermitteln die Fossilien von Aramis den Eindruck eines deutlich
primitiveren (affenähnlicheren) Zustands als die Reste späterer
Hominiden.
Nachdem man
das gefundene Material anfangs der Gattung Australopithecus
zugerechnet hatte, wurde es in einer Korrektur, die im Mai 1995 in Nature
erschienen ist, in die neue Gattung Ardipithecus
eingeordnet. Ardi bedeutet in der Sprache von Afar "Boden" und ramid heißt
"Wurzel"; pithecus kommt aus dem Griechischen und bedeutet "Affe". Gattungs-
und Artname weisen also auf eine Spezies am Anfang der Hominidenentwicklung
hin.
AUSTRALOPITHECINEN
(PRÄANTHROPINEN, URMENSCHEN)
Charles Darwin wagte 1871 in seinem Werk Die "Abstammung des Menschen"
eine kühne Prophezeiung:
In jeder großen Region der Erde sind die dort lebenden Säugetiere
nahe mit den ausgestorbenen Arten derselben Region verwandt. Es ist daher
wahrscheinlich, dass Afrika früher von jetzt ausgestorbenen Affen
bewohnt wurde, welche dem Gorilla und dem Schimpansen nahe verwandt waren;
und da diese beiden Spezies jetzt die nächsten Verwandten des Menschen
sind, so ist es noch etwas wahrscheinlicher, dass unsere frühen Urerzeuger
auf dem afrikanischen Festlande lebten.
Die Bestätigung für diese Aussage ließ nach Darwins Tod
noch fast ein halbes Jahrhundert auf sich warten. Erst dann gab der südafrikanische
Anatom Raymond DART bekannt, in Taung einen fossilen Kinderschädel
gefunden zu haben, den er 1925 einer neuen systematischen Gruppe zuordnete,
die er Australopithecus africanus nannte. Der von Dart gewählte Name
Australopithecus setzt sich aus dem lateinischen australo ("südlich")
und dem lateinisch-griechischen pithecus ("Affe") zusammen.
Wie sich herausstellte, waren die "südlichen Affen" nicht
nur auf Südafrika beschränkt, und Affen sind sie auch nicht.
Wegen der strengen Regeln der internationalen zoologischen Nomenklatur
kann Darts Name jedoch nicht mehr geändert werden. Deshalb ist
Australopithecus der gültige Gattungsname für eine vielgestaltige
Gruppe früher Hominiden, die offenbar keine Steinwerkzeuge benutzten
und vor vier bis einer Million Jahren im Osten und Süden Afrikas
verbreitet waren. In der Zeit, seit Dart den Gattungsbegriff prägte,
hat sich durch weitere Entdeckungen herausgestellt, dass zu Australopithecus
sehr unterschiedliche frühe Hominiden gehören, nämlich
die sieben Arten anamensis, afarensis, africanus, robustus, aethiopicus,
boisei und in jüngster Zeit bahrelghazali.
Bild rechts: Australopithecus africanus, Kind von Taung; Der
Schädel war der erste in Afrika gefundene Hominide. Er war die Grundlage
für die Gattungs- und Artbezeichnung. Der erste Molar ist nur teilweise
durchbrochen. Dieser Australopithecus starb also als kleines Kind. (Aus
Johanson)
Diese frühen Hominiden gingen aufrecht, hatten jedoch im Gegensatz
zu unseren eigenen Gattung Homo ein relativ kleines Gehirn: Sein Volumen
lag meistens bei höchstens 500 Kubikzentimetern. Bei Homo dagegen
liegt das Gehirnvolumen meist über 600 cm³ und die Spanne reicht
bis zu 2000 cm³.
Zwar gibt es zweifellos mehrere Australopithecinen-Arten, über ihre
Verwandtschaftsbeziehungen und selbst über ihre Einteilung herrscht
dagegen keineswegs Einigkeit. Nach Ansicht mancher Fachleute rechnet man
die robusten Formen, deren Schädelanatomie die Spezialisierung auf
harte, zähe, faserige Nahrung widerspiegelt, zur Gattung Paranthropus
mit den Arten robustus, crassidens, boisei und aethiopicus. Die anderen
Arten werden manchmal grazile Australopithecinen genannt, deren Schädel
auf eine höher entwickelte Ernährungsweise hinweisen, die neben
Pflanzen auch Fleisch einschloss.
Bild: Australopithecus africanus, Sts 71; Der Schädel
hat ein Volumen von 428 Kubikzentimetern. Die Grabungen in der Höhle
von Sterkfontein (Südafrika) brachten 70 Reste frührerer Hominiden.
Der obige Schädel ist einer der schönsten Funde der Höhle.
(Aus Johanson)
Zur Gattung Australopithecus gehören demnach die Arten anamensis,
afarensis, bahrelghazali und africanus. Die Arten innerhalb der Gattungen
Paranthropus und Australopithecus spiegeln einfach Variationen des größeren
Themas der Gattungsanpassung wider, so dass wir bei einer einzigen Gattung
namens Australopithecus bleiben wollen.
Australopithecus
anamensis (Kanapoi, Kenia; 4,1 Mio. Jahre, 1994)
Australopithecus anamensis (aus Johanson)
Der Artname kommt von anam, dem Turkana-Wort für "See".
Er wurde gewählt, weil Kanapoi in der Nähe des Turkana-Sees
liegt, und sollte auch an den Lonyumun-See erinnern, der sich vor Jahrmillionen
in dieser Gegend befand. Die bisher entdeckten Skelettfunde zeigen eine
ungewöhnliche Kombination affen- und menschenähnlicher Eigenschaften,
wie man sie bei anderen Hominiden nicht findet. Australopithecus anamensis
ist der Anatomie des A. afarensis ähnlich aber vergleichsweise primitiver,
womit er als Vorläufer des A. afarensis gelten kann.
Australopithecus afarensis, " LUCY"
(Hadar, Äthiopien; 3,2 Mio. Jahre, 1974)
Bild: Australopithecus afarensis - "Lucy"
(aus GEO)
Bild: Skelett von Australopithecus afarensis "Lucy"
aus Hadar in Äthiopien.
(Aus Johanson: "Lucy und ihre Kinder")
Abb.: "Lucy"
Der wissenschaftliche Name kommt von dem Gebiet Afar und dem moslemischen
Nomadenvolk der Afar. Der Name "Lucy", der dem Teilskelett von
seinem Entdecker Donald Johanson gegeben wurde, geht auf den Beatles-Song
"Lucy in the sky with diamonds" zurück. Johanson und seine
Kollegen spielten dieses Lied am Abend der Entdeckung mehrmals ab.
Australopithecus afarensis ist wahrscheinlich der letzte gemeinsame Vorfahre
mehrerer Abstammungslinien von Hominiden, die in der Zeit vor drei bis
zwei Millionen Jahren entstanden. Überreste der langlebigen Spezies
afarensis, die vor vier bis drei Millionen Jahren existierte, kennt man
heute aus Tansania, Kenia und Äthiopien. Lucys Artgenossen hinterließen
auch in Laetoli (Tansania) die berühmten Fußspuren in 3,5 Millionen
Jahre alter Vulkanasche.
Bild: Australopithecus afarensis, A.L. 333-105; Dieser
Schädel gehört zu einem von mindestens 13 Individuen, die man
an einer Fundstelle in Hadar (Äthiopien) fand.
(Aus Johanson)
Im Herbst 1975, etwa ein Jahr nachdem man Lucy gefunden hatte, machte
man in Hadar eine einzigartige Entdeckung: Offensichtlich war hier eine
Familie von einer plötzlichen Überschwemmung erfasst worden,
neun Erwachsene und vier Jugendliche, das Jüngste noch nicht einmal
1 Jahr alt. Die Funde lassen einen ausgeprägten Geschlechtsdimorphismus
erkennen und liefern nützliche Hinweise auf Wachstum und Entwicklung
dieser Hominidenspezies. Wie sich in genauen Laboranalysen gezeigt hat,
ereignete sich die Katastrophe, die diese Hominiden umbrachte und den
ersten Hinweis auf ein Gruppenleben unserer Vorfahren konservierte, vor
3 210 000 bis 3 180 000 Jahren.
In Laetoli, in der Nähe der Olduvai-Schlucht, 1500 km von
Hadar entfernt fand Mary Leakey etwa 30 Stücke von Hominiden, die
anatomisch der Spezies afarensis gleichen. 1978/79 legte man durch Ausgrabungen
eine 27 m lange Spur mit 69 Hominiden-Fußabdrücken frei. An
der Tatsache, dass ein Hominide die Abdrücke hinterlassen hatte,
bestand kein Zweifel: Die Vertiefungen in der Asche zeigten eine stark
eingedrückte Ferse und einen kräftigen Abdruck der großen
Zehe, die in einer Reihe mit den anderen Zehen stand und nicht abgespreizt
war wie bei den Affen. Australopithecus africanus, Mrs. Ples (Sterkfontein,
Südafrika; 2,5 Mio. Jahre, 1947) Der schottische Arzt Robert Broom
entdeckte 1936 in einer Höhle 64 km nordwestlich von Johannesburg
Schädelteile, die er 1938 neu benannte: Plesianthropus transvaalensis,
der "Nahezu-Mensch aus Transvaal". Da er meinte, es handle sich
bei dem Fund um ein Weibchen mittleren Alters, entstand der Name "Mrs.
Ples". Ihre Entdeckung war in vielerlei Hinsicht ein Wendepunkt,
denn nun wurden die südafrikanischen Australopithecinen allgemein
als Hominiden anerkannt. Als Broom 1947 schließlich auch ein Stück
eines Oberschenkelknochens, mehrere Wirbel und sogar beide Hüftbeine
eines Australopithecinen ausgraben konnte, hatte er den Beweis für
deren aufrechten Gang und somit ihrer Zugehörigkeit zu den Hominden.
Die Ausgrabungen von Sterkfontain bestätigten Darts Erkenntnisse
über das Kind von Taung, wonach es sich dabei um ein Typusexemplar
von Australopithecus africanus handelt.
Australopithecus robustus (Kromdraai, Südafrika; 2 Mio. Jahre, 1938)
Bild: Australopithecus robustus, SK 48 (Höhle
von Swartcrans); Man erkennt einen Scheitelkamm und ein breites, flaches
Gesicht. (Aus Johanson)
Etwa 1,5 km ostnordöstlich von Sterkfontain fand Broom in einer
Höhle Schädelfragmente, die sich stark von jenen unterschieden.
Das Stück von Kromdraai hatte ein größeres Gesicht und
kräftigere Kiefer mit viel größeren Mahlzähnen. Er
gab ihm die Bezeichnung Paranthropus robustus. In dem Gattungsnamen kombinierte
Broom zwei griechische Begriffe mit der Bedeutung "neben dem Menschen",
und im Hinblick auf den kräftigeren Bau der Fossilien fügte
er als Artbezeichnung das lateinische robustus für "stark und
stämmig gebaut" hinzu.
1170 m westlich von Sterkfontain stieß Broom in der Höhle
von Swartkrans auf Kiefer und Zähne, später sogar auf einen
"schönen Schädel", die ganz anders waren als die Funde
von Sterkfontain. Broom gab dem Hominiden mit dem kräftigen Kiefer,
den großen Zähnen mit dem dicken Zahnschmelz und dem kleinen
Scheitelkamm den Namen Paranthropus crassidens. In dem Artnamen kombinierte
er die lateinischen Wörter crassus ("dick", "fest")
mit dens ("Zahn").
Australopithecus aethiopicus,
Schwarzer Schädel
(Turkana-See, Kenia; 2,5 Mio. Jahre, 1985)
Der Schwarze Schädel trägt seinen Namen, weil er durch manganhaltige
Mineralien schwarzblau gefärbt ist. Er ist wahrscheinlich der frühe
Vertreter einer sehr erfolgreichen Gruppe der Australopithecinen, die
geografisch weit verbreitet war und sich lange Zeit behaupten konnte,
bevor sie schließlich ausstarb. Die robusten Australopithecinen
entwickelten eine Reihe charakteristischer Anpassungen des Kauapparats,
die zum Verzehr großer Mengen geringwertiger Nahrung nützlich
waren, wie kräftige Kiefer, riesige Backenzähne zum Zermalmen,
sowie in manchen Fällen einen Scheitelkamm.
Australopithecus aethiopicus besitzt eine Reihe primitiver Merkmale,
die an A. afarensis erinnern, seinen mutmaßlichen Vorfahren. Das
Gesicht springt beispielsweise weit vor, das Schädelvolumen ist mit
410 cm³ gering, und die Schädelverdickungen ähneln denen von
A. afarensis. Nach heutiger Kenntnis ging aus A. africanus in Südafrika
wahrscheinlich A. robustus hervor, und in Ostafrika entwickelte sich A.
aethiopicus zu A. boisei weiter. Es handelt sich dabei um einen Fall von
paralleler Evolution. Die robusten Arten waren mit ihrer Spezialisierung
sehr erfolgreich und überlebten in einem großen Verbreitungsgebiet
mindestens 1,5 Millionen Jahre lang.
Australopithecus boisei,
"ZINJ", Nussknackermensch
(Olduvai-Schlucht, Tansania; 1,8 Mio. Jahre, 1959)
Australopithecus boisei (aus GEO)
Genau 100 Jahre nachdem Darwins Entstehung der Arten erschienen war,
entdeckte Mary Leakey den Schädel in der Olduvai-Schlucht am Rande
der Serengeti-Ebene. Ihr Mann Louis Leakey beschrieb die Entdeckung als
neue Gattung und Art: Zinjanthropus boisei. Zinj ist ein alter arabischer
Name für Ostafrika, und anthropus geht auf das griechische Wort für
"Mensch" zurück. Leakeys Behauptung, Zinj sei eine neue
Gattung und ein direkter Vorfahre des heutigen Menschen fand bei anderen
Paläoanthropologen kaum Unterstützung.
Von Australopithecus boisei, wie er heute heißt, wurden
mittlerweile in Äthiopien, Tansania und Kenia mehr als 100 Zähne
und Kiefer sowie einige recht vollständige Schädel gefunden.
Zinj hatte einen großen Schädel mit einem breiten, konkaven
Gesicht, dessen Anatomie sich über viele Generationen so angepasst
hatte, dass der wirksamste Kauapparat aller Zeiten entstand. Wegen der
Indizien für solche starken senkrechten Kräfte an Schädel
und Kiefer trägt dieser Fund auch den Spitznamen "Nussknackermensch".
HOMO
Die charakteristischen Kennzeichen der Australopithecinen sind
ein relativ kleines Gehirn, große Backenzähne, einige affenähnliche
Eigenschaften im Rumpfskelett und das Fehlen einer Kultur. Die Arten der
Gattung Homo dagegen besitzen absolut und relativ ein großes Gehirn,
einen moderneren Rumpfknochenbau, deutlich verkleinerte Kiefer und Zähne
sowie vor allem eine Kultur.
Das älteste in Afrika gefundene Exemplar von Homo aus der Olduvai-Schlucht
hat andere Merkmale als der Australopithecus: schmale Backenzähne,
einen menschenähnlichen Fuß und ein Gehirnvolumen von 680 cm³.
Außerdem waren die Hominiden wahrscheinlich in der Lage, die an
der gleichen Stelle gefundenen Steinwerkzeuge herzustellen. So schlug
Raymond Dart den Namen habilis vor, das bedeutet "fähig, geschickt,
geistig begabt". Nach den derzeitigen Kenntnissen über den frühen
Homo in Afrika erscheint es plausibel, dass es drei Arten gab: Homo
habilis besaß im Verhältnis zu seiner geringen Körpergröße
ein umfangreiches Gehirn, sein Rumpfskelett ähnelt aber dem von Australopithecus.
Die zweite Art, Homo rudolfensis, zeigt ein beträchtlich vergrößertes
Gehirn und besondere Eigenschaften des Schädels wie große luftgefüllte
Zellen in bestimmten Bereichen, ein breites Gesicht, große Backenzähne
und einen relativ dicken Zahnschmelz. Die dritte Art, Homo ergaster,
besitzt eine Kombination aus modernem Körperbau, einem absolut und
relativ großem Gehirn, verkleinerten Kiefern und Zähnen sowie
offenbar eine Körperhaltung und Fortbewegungsweise, die eher der
des späteren Homo ähnelt. Nach der zeitlichen Verteilung der
3 mutmaßlichen Arten sieht es so aus, als sei Homo rudolfensis am
ältesten, gefolgt von Homo habilis und zuletzt von Homo ergaster.
Wenn aus ergaster die späteren Spezies heidelbergensis, neanderthalensis
und sapiens hervorgingen, besteht eine erhebliche zeitliche Lücke
zwischen dem jüngsten ergaster vor etwa 1,5 Millionen Jahren und
dem ältesten heidelbergensis vor 0,8 Millionen Jahren. In dieser
Zeitspanne steht üblicherweise der mit Homo erectus bezeichnete Hominide,
den aber manche Paläanthropologen zu spezialisiert halten, so dass
er kein Vorfahre des Jetztmenschen sein kann. Der Jetztmensch (Homo
sapiens) entstand wahrscheinlich vor 100 000 bis 200 000 Jahren in Afrika.
Er ist die einzige heute noch lebende Hominidenspezies und auch der letzte
Überlebende aus der zoologischen Familie der Hominidae. Diese kurze
Übersicht über die Gattung Homo soll deutlich machen, wie kompliziert
die Evolution dieser Gattung war. Die Artenvielfalt spricht wieder einmal
dafür, dass die Evolution der heutigen Menschen kein gerichteter,
eingleisiger Prozess war, sondern wie die Entwicklung anderer Säugetiergruppen
mit Verzweigung und Artbildung verbunden war.
Homo habilis (Olduvai-Schlucht, Tansania; 1,75 Mio Jahre, 1960)
Bild: Homo habilis (aus GEO)
Bild: Homo habilis, KNM-ER 1813; Dieser Schädel
stammt aus Koobi Fora in Kenia. (Aus Johanson)
Der Fund besteht aus zwei Dutzend Knochen und 14 Zähnen, die vermutlich
zum Skelett eines Kindes gehören, das im Alter von 10 bis 12 Jahren
starb. Es trägt des Spitznamen "Jonnys Kind" zu Ehren seines
Entdeckers, des ältesten Sohnes von Louis und Mary Leakey. Die relativ
großen Schneidezähne und die schmalen Mahlzähne waren
ein Indiz dafür, dass es sich hier um eine neue Hominidenart handelte.
1968 wurde ein stark zerstückelter, zusammengebrochener Schädel
(Tobias: "So platt war sonst nur Twiggy!") mit dem Spitznamen
des englischen Fotomodells in der Olduvai-Schlucht gefunden, der aufgrund
der Merkmale einem jungen Homo habilis zuzurechnen ist.
An Hand eines sehr kleinen Skeletts eines Homo habilis, entdeckt 1986
in der Olduvai-Schlucht, errechnete man eine Körpergröße
von nur einem Meter und eine Länge des Oberarmknochens, die 95 Prozent
der Länge des Oberschenkelknochens beträgt (heutiger Mensch:
70 %, Affe: 100 %). Mit derart affenähnlichen Proportionen hatte
man bei Homo habilis nicht gerechnet. Auch wenn es sich bei dem Fund um
einen weiblichen Homo habilis handelt und man einen ausgeprägten
Geschlechtsdimorphismus annimmt, stiftet dieser Fund doch reichlich Verwirrung.
Homo rudolfensis (Koobi Fora, Kenia; 1,8-1,9 Mio Jahre, 1972)
Bild: Homo rudolfensis (aus GEO)
Bild: Homo rudolfensis, KNM-ER 1470; (Aus Johanson)
Die Zoologin Meave Leakey rekonstruierte aus über 150 Bruchstücken
zwei große Schädelteile, an denen die auffälligsten Merkmale
deutlich werden: der große Gehirnschädel (Gehirnvolumen von
775 cm³) und das breite, flache Gesicht sprechen eindeutig für die
Einordnung als Homo. Im Jahre 1986 schlug Valerij Alexejew den wissenschaftlichen
Namen Homo rudolfensis vor.
Homo ergaster (Koobi Fora, Kenia; 1,75 Mio. Jahre, 1975)
Der ausgezeichnet erhaltene Schädel von Homo ergaster (ergaster
ist der griechische Begriff für "Arbeiter") bestätigt,
dass Homo und die robusten Australopithecinen in Ostafrika zur gleichen
Zeit lebten. In Seitenansicht zeigt sich eine niedrige Schädeldecke,
sowie eine Verdickung entlang der Mittellinie auf dem Schädeldach,
einen runden Wulst quer über dem Hinterhauptsbein und eine Schädelbasis,
die breiter ist als das Schädeldach. Das Gehirnvolumen beträgt
850 cm³.
Bild: Homo ergaster, KNM-WT 15000; Der Schädel
des Jungen von Nariokotome ist so vollständig, dass man das Gehirnvolumen
genau messen konnte. Die 80 weiteren aufgefundenen Knochen dieses Skeletts
erlauben eine Abschätzung der Körpergröße und liefern
zahlreiche Aufschlüsse. (Aus Johanson)
In Nariokotome (Kenia) barg man 1984 einen beispiellosen Fund: das vollständigste
bis heute entdeckte Skelett eines frühen Hominiden. Es handelt sich
um einen Jungen, der offenbar schon als Jugendlicher starb. Er kam am
Rande eines seichten Flussdeltas ums Leben, wo sein Körper schnell
vom Sediment bedeckt wurde, so dass er erhalten blieb. Wäre der Junge
von Nariokotome (1,50 m und ca. 47 kg) erwachsen geworden, hätte
er eine Größe von über 1,80 m erreicht und fast 68 kg
gewogen. Mit seinem großen, schlanken Körperbau ähnelte
er den heutigen Bewohnern Äquatorialafrikas, und die Länge der
Gliedmaßen erreichte trotz seines jugendlichen Alters fast die Mittelwerte
für heutige weiße, erwachsene nordamerikanische Männer.
Die Spezies war offensichtlich viel größer als die früheren
Hominiden.
Der Gehirnschädel ist hinten am breitesten und hat ein Volumen von
880 cm³ (als Erwachsener 909 cm). Als Unterschiede zum Skelett des Jetztmenschen
fallen die längeren Wirbelfortsätze auf und der engere Rückenmarkskanal,
der so nur eine begrenzte Anzahl von Nervenfasern in den Brustkorb führen
kann. Damit verbunden war wahrscheinlich auch eine geringere Fähigkeit,
den Luftstrom von der Lunge zum Mund zu steuern - dann wäre der Junge
nicht in der Lage gewesen zu sprechen. Insgesamt zeigt der Fund, dass
die Hominiden zu jener Zeit den affenähnlichen Körperbau der
Australopithecinen hinter sich gelassen hatten und sich schnell der Körper-
und Gehirngröße heutiger Menschen näherten.
Homo erectus,
Javamensch
(Trinil, Java, Indonesien, ca. 500 000 Jahre, 1891)
Bild: Homo erectus (aus GEO)
Eugène Dubois machte sich von Holland aus auf, um das missing
link zwischen Menschenaffen und Menschen zu finden, wobei ihm der erste
Hominidenfund außerhalb Europas gelang. Angeregt durch die Überzeugung
des britischen Biologen Alfred Russel Wallace, wonach es in Südostasien
Indizien für unsere Ursprünge gäbe, trat Dubois als Stabsarzt
in die Königliche Niederländische Ostindien-Armee ein; auf Sumatra
angekommen, wurde er im Nebenberuf Fossilsammler. Er hatte dort wenig
Glück, so dass er seine Suche 1890 auf Java am Ufer des Flusses Solo
fortsetzte. Jetzt stellte sich der Erfolg ein: Er grub diesen dicken,
versteinerten Schädel aus, der aus einem flachen Stirnknochen, großen
Teilen der beiden Schläfenbeine und dem oberen Teil des Hinterhauptsbeines
besteht. Auffällig sind an dem Fund der ausgeprägte Brauenwulst
und die dahinter liegende Einschnürung. Im Jahre 1894 taufte Dubois
seinen Javamenschen auf den Namen Pithecanthropus erectus. Die Gattungsbezeichnung
hatte der Biologe Ernst Haeckel für einen hypothetischen Vorfahren
des Menschen geprägt. In den fünfziger Jahren schlug der Evolutionsforscher
Ernst Mayr vor, man solle die Hominiden von Java und Peking derselben
Spezies zuordnen und seitdem bezeichnet man sie als Homo erectus.
Erst 80 Jahre nach Dubois Fund konnten die Paläanthropologen ins
Gesicht eines Javamenschen blicken. Sangiran 17 erwies sich als der besterhaltene
Hominidenschädel aus Java und das einzige bekannte männliche
Exemplar von Homo erectus.
Homo erectus,
Pekingmensch
(Höhle Zhoukoudian, China; 400 000 - 500 000 Jahre)
Die Höhle von Zhoukoudian, der "Drachenknochenberg", etwa
40 km südlich der chinesischen Hauptstadt Beijing war der weltweit
ergiebigste Einzelfundort für Fossilien von Homo erectus.
Seit den zwanziger Jahren wurden die Fossilien von Zhoukoudian ausgegraben
und erhielten von dem kanadischen Arzt Davidson Black den Namen Sinanthropus
pekinensis. Er stützte sich dabei nur auf ein paar Zähne. Später
wurden alle Fossilien der Spezies Homo erectus zugeordnet. Die erste Schädeldecke
fand man 1929. Insgesamt entdeckte man Knochen von 40 Individuen. Sie
wurden im Dezember 1941 für den Transport in die USA verpackt, verschwanden
dann aber in den Wirren der japanischen Invasion in China. Glücklicherweise
hatte man zuvor von allen Stücken genaue Abgüsse hergestellt.
Die gefundenen fünf Schädeldecken zeigen ein mittleres Schädelvolumen
von 1043 cm³. Der Brauenwulst ist beim Pekingmenschen kleiner als beim
Javamenschen. Die Hinterhauptsknochen sind stark gebogen, kennzeichnend
sind die flachen, dicken, rechteckigen Scheitelbeine, die kräftigen
Gesichtsknochen und ein klobiger Kiefer. In der Höhle fand man 17
000 Steinwerkzeuge und den bis vor kurzem ältesten Beleg für
die Verwendung des Feuers durch den Menschen.
Homo heidelbergensis,
Bodo-Schädel
(Bodo d Ar, Äthiopien, 600 000 Jahre, 1976)
Bild: Homo heidelbergensis, Bodo; Dieser kräftige
Schädel - er hat von allen Hominidenfossilien das größte
Gesicht - zeigt eine Mischung aus primitiven anatomischen Merkmalen (dicker
Brauenwulst, dicke Schädeldecke) und modernen Eigenschaften (Form
von Stirn und Nasenknochen). (Aus Johanson)
Kreationisten behaupten gern, in der Paläanthropologie
fehlten Fossilien von Zwischenformen, mit denen man die Evolution einer
Hominidenspezies zu einer anderen beweisen kann. Dieses Argument wird
unter anderem durch das Fundstück Bodo widerlegt. Er besitzt
mehrere anatomische Merkmale, die für verschiedene Arten Homo typisch
sind, und lässt sich deshalb nicht ohne weiteres einer Spezies zuordnen.
Während der Schädel eine Momentaufnahme des biologischen Übergangs
darstellt, zeigt sich der beginnende kulturelle Wandel an den in Bodo
gefundenen Steinwerkzeugen.
Bodo hat von allen bekannten menschlichen Fossilien das größte
Gesicht. Es zeigt eine Mischung von primitiven anatomischen Merkmalen
(dicker Brauenwulst, dicke Schädeldecke) und modernen Eigenschaften
(Form von Stirn und Nasenknochen). Er hat anatomische Ähnlichkeiten
mit dem Fund aus Petralona (Griechenland).
Homo heidelbergensis, Mauer 1 (Kiesgrube bei Mauer, Deutschland, 400
000 bis 500 000 Jahre, 21. Oktober 1907)
Dieser Kiefer war bis Anfang der neunziger Jahre das älteste bekannte
Hominidenfossil in Europa. Der Kiefer wird auch Heidelbergermensch
genannt und steht für die Spezies Homo heidelbergensis,
die am Anfang jener Abstammungslinie steht, die zu den Neandertalern führt
und bei ihnen endet. Der Entdecker Otto Schoetensack dachte sich den Namen
aus, ohne ihn aber durch eine Beschreibung der besonderen Eigenschaften
dieser Spezies zu belegen. Es gibt jedoch tatsächlich Merkmale, durch
die sich H. heidelbergensis von Homo erectus, Neandertalern und Jetztmenschen
unterscheiden. Die anatomischen Verhältnisse sind bei Mauer 1 eindeutig
primitiver als bei Neandertalern oder heutigen Menschen. Das Kinn springt
nicht vor, der waagrechte Teil, der den Kiefer mit dem Schädel verbindet,
ist erstaunlich breit und diente zur Anheftung starker Kaumuskeln. Die
vollständig erhaltenen Zähne zeigen keine typischen Merkmale
der Neandertaler und sind für einen Homo erectus zu klein, liegen
aber im gleichen Größenbereich wie bei manchen Jetztmenschen.
Funde eines Homo heidelbergensis aus Arago (Frankreich), Atapuerca
(Spanien), Petralona (Griechenland) und Steinheim (Deutschland) kann man
als Angehörige der "archaischen" Bevölkerung Europas
betrachten, die den Neandertalern vorausgingen und bei denen man noch
mit einigen primitiven Merkmalen ihrer Vorfahren der Spezies erectus rechnen
kann. Homo heidelbergensis, Broken Hill 1, dürfte wie
Bodo und andere Fossilien zu einer alten afrikanischen Population gehört
haben, aus der unsere Spezies hervorging. Das große klobige Gesicht
des "Rhodesiamenschen" ähnelt dem Bodo-Schädel.
Homo neanderthalensis (Homo sapiens neanderthalensis)
Bild: Homo sapiens neanderthalensis (aus GEO)
Den Beginn
der wissenschaftlichen Paläanthropologie stellt die Entdeckung und Untersuchung
eines erwachsenen männlichen Teilskeletts aus dem Neandertal bei Düsseldorf
dar. Es war gleichzeitig der erste Versuch, unsere entwicklungsgeschichtliche
Vergangenheit zu verstehen.
Als Arbeiter mit ihren Schaufeln 1856 auf Knochen stießen, entdeckten
sie als erstes ein Schädeldach. Anschließend fanden sie die
beiden Oberschenkelknochen, die drei Knochen des rechten Armes, einen
Teil des linken Darmbeins sowie Bruchstücke eines Schulterblattes
und einiger Rippen. Möglicherweise lagen noch andere Teile des
Skeletts im Schlamm der Höhle, doch wurden nur die größten
Knochen eingesammelt und für Johann Carl FUHLROTT aufbewahrt, einen
örtlichen Lehrer und Amateur-Naturforscher. Dass hier wahrscheinlich
die Gelegenheit bestanden hätte, ein vollständiges Neandertalerskelett
auszugraben, ist ein ernüchternder Gedanke, aber die Arbeiter dachten,
es handle sich um Knochen eines Höhlenbären. Fuhlrott hatte
dagegen sofort den Verdacht, die Fossilien aus der Feldhofer Grotte könnten
einzigartige Belege für die Vergangenheit der Menschen sein.
Er überließ die Beschreibung dem Anatomen Hermann Schaaffhausen.
Er bemerkte die dicken, gut entwickelten Muskelansatzstellen und Wülste
der Knochen. Noch auffälliger war die ovale Form der Schädeldecke
mit der niedrigen, fliehenden Stirn und den ausgeprägten Brauenwülsten.
Da er ganz anders aussah als jeder menschliche Schädel, wurde der
Neandertalerschädel als "affenartig" bezeichnet. 1857,
zwei Jahre vor Darwins bahnbrechendem Werk "Die Entstehung der Arten",
erschien Fuhlrotts und Schaaffhausens gemeinsame Veröffentlichung.
Sie löste hitzige Meinungsverschiedenheiten aus. Angesehene deutsche
Gelehrte führten die gebogenen Oberschenkenknochen des Neandertalers
auf häufiges Reiten oder auf Rachitis zurück. Die Brauenwülste
hielt man für eine Folge längeren Stirnrunzelns, dessen Ursache
die Schmerzen an einem schlecht verheilten Bruch der linken Elle sein
sollten. Mit solchen Scheinargumenten machte man den Neandertaler vom
Vertreter einer bis dahin unbekannten Spezies zu einem kranken Jetztmenschen
- vielfach hieß es, er sei ein berittener Kosak gewesen. Aber schließlich
siegte die Vernunft, und während die Echtheit des Neandertalers im
Land seiner Entdeckung noch in Frage gestellt wurde, setzte sich in England
die Anerkennung durch.
Thomas Henry HUXLEY äußerte sich 1863 in seiner Aufsatzsammlung
"Zeugnisse für die Stellung des Menschen in der Natur! Über
die Knochen des Neandertalers, doch erst der Geologe William KING schlug
1863 auf einer Tagung den Namen Homo neanderthalensis vor. Seit
diesem ersten Fund eines Homo neanderthalensis kommen bis zum heutigen
Tag noch unzählige weitere in ganz Europa, in Usbekistan und auch
in Israel hinzu.
Bild: Homo neanderthalensis, La Ferrassie 1; Die schräg
abgeschliffenen Vorderzähne, deren Zahnbein an einigen Stellen freiliegt,
weisen auf waagrechte Kaubewegungen hin. (Aus Johanson)
Das erwachsene fast vollständige Skelett eines Mannes im mittleren
Alter mit der Katalogbezeichnung La Ferrassie 1 zeigt am besten
die "klassische" Anatomie der Neandertaler, die sich im eiszeitlichen
Europa auf halbem Weg zwischen Auftauchen und Aussterben der Spezies entwickelte.
An dem Schädel sind alle charakteristischen Merkmale der Neandertaler
zu erkennen: die fliehende Stirn, das lange, niedrige Schädeldach,
die runde Form beim Betrachten von hinten, der kräftige Brauenwulst
aus zwei Bögen, der vorspringende mittlere Gesichtsteil mit den nach
hinten verlagerten Wangenknochen, das schwach entwickelte Kinn, die Lücke
hinter den letzten Mahlzähnen (die entsteht, weil die Zähne
mit dem ganzen Gesicht nach vorn verlagert sind), und das riesige Gehirnvolumen
(in diesem Fall über 1600 cm³). Die Gliedmaßen zeigen die allgemein
dicken, kräftigen Knochen der Neandertaler und ihre großen
Gelenke. Besonders interessante Aufschlüsse liefern die Zähne
des Schädels. Im Kiefer beobachtet man nicht nur Abszesse und Knochenschwund,
sondern auch sehr stark abgenutzte Zähne: Viele Zahnkronen sind überhaupt
nicht mehr vorhanden, so dass vor allem links unten das Zahnbein oder
sogar die Zahnhöhle freiliegen. Im Oberkiefer sind die Zähne
auf der rechten Seite stärker abgeschliffen. Furchen an der Rückseite
der Zähne weisen darauf hin, dass der Unterkiefer vorwiegend mit
waagrechten Bewegungen kaute und weniger auf und ab ging; die Zähne
zerkleinerten dabei grobe, körnige Nahrung. Die Schäden an den
vorderen Zähnen dürften vor allem dadurch entstanden sein, dass
sie als "dritte Hand" dienten.
Neben dem Skelett des Mannes fand man in dem Felsüberhang von
La Ferrassie auch ein weitgehend unbeschädigtes weibliches Skelett
und die Reste von fünf Kindern, vom Ungeborenen bis zum Zehnjährigen.
Die Skelette befanden sich in sechs Gräbern. Es ist eindeutig, dass
die Neandertaler ihre Toten bestatteten.
Das Skelett eines alten, kranken Mannes aus La Chapelle-aux-Saints
führte bei seiner Entdeckung 1908 zu der verbreiteten, falschen
Ansicht, die Neandertaler seien unbeholfene, dumme Bestien gewesen. Dieses
Individuum hatte eine ganze Reihe von Leiden, unter anderem Zahnbettschwund
beider Kiefer, Arthritis und Knochenbrüche. Erst in den fünfziger
Jahren erfolgte eine nochmalige Untersuchung des Skeletts, wodurch man
zu der einhelligen Meinung kam, dass es sich dabei um eine eigene Spezies
handelt, und zwar um eine sehr erfolgreiche mit abgeleiteten - und nicht
primitiven - Merkmalen, die aber letztlich ausstarb. Die Neandertaler
waren die Endstufe einer isolierten europäischen Evolutionslinie,
die vom Homo heidelbergensis ausging. In Europa hatten sie nicht genügend
Zeit, sich zu Jetztmenschen weiterzuentwickeln. Sie können nicht
unsere unmittelbaren Vorfahren sein.
In der Kalksteinhöhle Krapina in Kroatien fand man insgesamt
850 Fossilien von bis zu 80 Individuen, die meist mit 16 bis 24 Jahren
gestorben sind, 3000 Tierknochen und 1000 Steinwerkzeuge. Der stark zerstückelte
Zustand der Fossilien, aber auch Schnittspuren von Steinwerkzeugen legen
stark die Vermutung nahe, dass manche dieser Neandertaler zerlegt und
vielleicht von ihren Artgenossen gegessen wurden. Das Skelett von Saint-
Césaire liefert faszinierende Einblicke in die Kultur der späten
Neandertaler. Aus der Altersdatierung auf ca. 36 000 Jahre geht hervor,
dass die Neandertaler und der Homo sapiens (Cro-Magnon) in Westeuropa
bis zu 10 000 Jahre lang nebeneinander gelebt haben. Die Frage, wie diese
Koexistenz aussah - ob sie friedlich oder gewalttätig, vertraut oder
distanziert war - gab Anlass zu vielen Debatten und Spekulationen. Vielleicht
waren die Wechselbeziehungen auch in einzelnen Gegenden unterschiedlich
geartet. Da man mit den Skelettfunden Werkzeuge der Chatelperrionien-Kultur
in Verbindung bringen kann, die zuvor ausschließlich dem Geist und
den Händen des Homo sapiens zugeschrieben worden sind, interpretiert
man sie als den Versuch des Neandertalers, die neumodische Technologie,
die mit dem Jetztmenschen nach Europa vorgedrungen ist, nachzuahmen und
zu beherrschen.
Homo sapiens (Homo sapiens sapiens)
Bild: Homo sapiens, Dali (aus Johanson)
Der erwachsene männliche Schädel aus Dali (Provinz Shaanxi)
in China ist außerhalb Afrikas der beste Kandidat für den frühesten
Jetztmenschen. Der Fund von Dali und ein älterer, aus dem mittleren
Pleistozän stammender Schädel mit Skelett, der in Jinniushan
(Provinz Liaoning) gefunden wurde, sind Bindeglieder zwischen den älteren
Fossilien von Homo erectus aus Zhoukoudian und den heutigen Chinesen;
demnach gab es in dieser Region eine lange, ununterbrochene Evolution.
Mit seinem kurzen, flachen Gesicht unter einem kräftigen Brauenwulst
ist Dali eine Mischung der Merkmale von Homo erectus und dem modernen
Homo sapiens.
Eines er ältesten (130 000 Jahre) bekannten Fossilien eines Jetztmenschen
ist der Schädel mit Teilskelett, der bei Kibish aus dem Omo-Becken
in Äthiopien 1967 geborgen wurde. Die zweifellos moderne Anatomie
ist ein entscheidendes Beweisstück für diejenigen, nach deren
Ansicht sich der Homo sapiens vor relativ kurzer Zeit zunächst in
Afrika entwickelt hat und sich dann erst über die übrige Welt
ausbreitete.
Cro-Magnon, der Felsüberhang von Les Eyzies ist für Laien
und viele Anthropologen gleichbedeutend mit dem Jetztmenschen geworden.
Bild: Homo sapiens, Cro Magnon 1; Der 30.000 Jahre
alte Schädel zeigt eine ganze Reihe eindeutig moderner Merkmale:
ein flaches Gesicht mit eingedrückten Wangenknochen und vorspringendem
Nasenbein, scharf abgegrenzten Augenhöhlen, eine hohe Stirn undgewölbte
Scheitelbeine. (Aus Johanson)
Die Anatomie der hier gefundenen Menschen war im wesentlichen die gleiche
wie bei uns. Es waren Menschen, die Höhlenwände bemalten und
raffinierte Elfenbeinfiguren schnitzten. Als Arbeiter in der Kleinstadt
Les Eyzies eine Eisenbahnlinie und einen Bahnhof bauten, fanden sie fünf
Skelette, drei erwachsene Männer, eine erwachsene Frau und einen
Säugling. Die Körper waren offenbar absichtlich in einem gemeinsamen
Grab bestattet worden, und zwar zusammen mit Körperschmuck: Bei ihnen
lagen durchbohrte Muschelschalen und Tierzähne, die vermutlich als
Halsband oder Anhänger getragen wurden. Vervollständigt wurde
der Fund durch Knochen von Rentieren, Bisons, Mammuts und anderen Säugetieren
sowie durch steinerne Klingen und Messer aus dem Aurignacien (dem frühesten
Werkzeugstil des oberen Paläolithikums). An den Skeletten von Cro-Magnon
sind mehrere Krankheiten und Verletzungen zu erkennen, die nicht nur zeigen,
dass diese Menschen ein hartes Leben führten, sondern auch, dass
sie von ihren Mitmenschen gepflegt wurden. Die heutigen Europäer
haben sich in der Schädelform von den Cro-Magnonmenschen entfernt.
Die ursprünglich eingewanderten Jetztmenschen, unter ihnen auch
die Bewohner von Cro-Magnon, sehen den heutigen Afrikanern und anderen
Gruppen in subtropischen Gebieten so ähnlich, dass sich vermuten
lässt, dass sie aus Afrika oder dem Nahen Osten eingewandert sind.
Die heutige Vielfalt der Menschen
Die Menschen sehen überall auf der Welt sehr unterschiedlich aus,
und bis zu einem gewissen Grad sind sie es auch. Hautfarbe, Körpergröße,
Proportionen, Haarstärke und andere Merkmale schwanken stark. Außerdem
gibt es Unterschiede in Kleidung und zahllosen kulturellen Gebräuchen.
Genetisch sind sie jedoch bemerkenswert ähnlich. Zwei nicht verwandte
Menschen sind genetisch zu 99,9 Prozent identisch.
Die genetischen Variationen sind innerhalb einer Bevölkerungsgruppe
größer als zwischen verschiedenen Gruppen. Würde man alle
Populationen außer einer ausrotten, bliebe die genetische Vielfalt
der Spezies immer noch zum größten Teil erhalten.
Wegen dieser Einheitlichkeit unserer Spezies lassen sich keine genetischen
Grenzen ziehen, die den kulturell konstruierten Rassengrenzen entsprechen
würden. Drei Viertel der Farbunterschiede bei Haut, Haaren und Augen
gehen auf geringfügige genetische Unterschiede zurück, der Rest
hat seine Ursache in Umweltfaktoren wie Sonnenlicht und Ernährung.
Die Menschen neigen dazu, die Natur einzuteilen, aber Rassen sind nur
bei gezüchteten Tieren und Pflanzen sinnvolle Kategorien. Der genetische
Polymorphismus ist quer durch alle Gruppen jeweils annähernd gleich
hoch.
Bilder:
Die Evolution des Menschen (GEO-Wissen Sept. 1998),
Donald Johanson & Blake Edgar: "Lucy und ihre Kinder" ("From
Lucy to Language", Spektrum), und diverse Lexika.
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