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(1) Historischer Rückblick
Der Augustinerpater Johann Gregor Mendel (1822 - 1884) war der
Entdecker der grundlegenden Gesetze der Genetik. Nach Kreuzungsversuchen
an Erbsen definierte er in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts die
Gene als "Elemente", die von den Eltern auf die Nachkommen nach
bestimmten Regeln (Mendelsche Gesetze) vererbt werden.
Im Jahre 1900 wurden die Mendelschen Erbgesetze vom Österreicher
Erich Tschermak von Seysenegg, vom Deutschen Karl
E. Correns und vom Holländer Hugo de Vries
unabhängig voneinander neu entdeckt.
Der Biologe und Forscher Charles Darwin (1809 - 1889)
begründete 1859 die Selektions- und Evolutionstheorie.
1860 entdeckte der Schweizer Chemiker Friedrich Miescher
(1844 - 1895) in seinem Tübinger Labor in den Spermien von Rheinforellen
ein Riesenmolekül, dessen chemische Zusammensetzung er als "phosphorhaltige
Säure" beschrieb. (Sie wurde später als Desoxyribonukleinsäure,
DNA. bezeichnet).
Der deutsche Zellforscher Walter Fleming (1843 - 1905)
stieß ca. 1871 auf fadenähnliche Gebilde im Zellkern. Er gab
ihnen den Namen "Chromosomen".
Walter Sutton (1876 - 1916), ein Amerikaner, erkannte
einige Jahre später, dass sich " Flemings Chromosomen "
bei Zellteilung genauso verhielten, wie die Mendelschen Erbmerkmale (Gene):
Beide, Gene und Chromosomen treten jeweils paarweise auf. Tiere, Pflanzen
und Menschen besitzen in jedem Kern ihrer Zellen eine konstante Zahl von
Chromosomenpaaren. Somit waren auch die Träger der von Mendel entdeckten
Erbmerkmale gefunden worden.
Im Jahr 1923 gelang es dem amerikanischen Genetiker Thomas Hunt
Morgan (1866 - 1945), die Lage der Gene auf den Chromosomen zu
lokalisieren. Er erstellte für Insektenarten die sogenannten "Morganschen
Gen-Karten", eine Art genetischer Identitätsausweis.
Hermann Joseph Muller, ein Schüler Morgans, machte
1926 eine Entdeckung, die heute, in unserem Atomzeitalter von größter
Bedeutung ist. Er erkannte, dass sich die Erbmerkmale unter Einwirkung
von ionisierenden Strahlen verändern können; dass Strahlen also
Mutationen in der Erbsubstanz bewirken, die in engem Zusammenhang mit
Krebserkrankungen stehen.
Bisher hatte man der DNA keine größere Bedeutung zugestanden,
weil man sie nicht so recht einzuordnen wusste. Erst 1944 identifizierte
der Amerikaner Theodore Avery (1877 - 1955) die DNA eindeutig
als die Substanz des Lebens, der Vererbung. Er wies also nach, dass die
Kernsäure DNA die Trägerin der primären genetischen Information
ist.
Die drei Molekularbiologen Francis H. C. Crick, James D. Watson
und Maurice H. F. Wilkins bekamen 1962 den Nobelpreis für
Medizin für die Entschlüsselung der molekularen Struktur der
DNA und, weil sie deren Form und Funktionsweise erkannten. So waren die
Geheimnisse der Erbsubstanz mit Hilfe von Röntgenstrukturanalysen
offengelegt worden.
Die Amerikanerin Barbara McClintock (1902 - 1992) erkannte in
den zwanziger Jahren bei Experimenten an Mais das Crossing-over (Austausch
einzelner Chromosomen - Abschnitte und der dabei resultierende Austausch
von genetischer Information). 1983 erhielt sie den Nobelpreis für
ihre Entdeckung der springenden Gene, die in der Gentechnologie von allergrößter
Bedeutung sind. (DNA - Bereiche, die innerhalb eines Chromosoms oder auch
von Chromosom zu Chromosom hin- und herspringen können).
Har Gobind Khorana (geb. 1922), ein indischer Chemiker
und Nobelpreisträger, arbeitete an künstlichen Genen bzw. an
der Laborsynthese dieser. 1976 gelang es ihm, ein menschliches Gen im
Reagenzglas nachzubauen und es in Zellen, die durch einen genetischen
Defekt dieses Gens beraubt waren, einzuschleusen und dort zum Arbeiten
zu bringen.
Zu Beginn der 70er Jahre entdeckte der Schweizer Mikrobiologe
Werner Arber (geb. 1929) in Bakterien die Restriktions-Enzyme,
"Scheren", mit denen die Erbsubstanz DNA an spezifischen Stellen
aufgeschnitten werden kann. Für die Entdeckung, Isolierung und Charakterisierung
der Restriktions- Enzyme erhielt er 1978, zusammen mit D. Nathans und
H. O. Smith, den Nobelpreis für Medizin.
Einer der prominentesten Vertreter der modernen Gentechnologie ist der
amerikanische Naturwissenschaftler und Biochemiker Paul Berg
(geb. 1926). Er erkannte sehr früh die anwendungsbezogenen Möglichkeiten,
die sich aus dem Einschleusen von "Produktions-Genen" in (bakterielle)
Wirtszellen ergeben würden. Er besaß aber auch den Blick für
die potentiellen Gefahren und Risiken der Gentechnologie und gehört
gemeinsam mit Chargaff zu den bekanntesten Kritikern der gentechnischen
Forschung.
Der Amerikaner Herbert Boyer (geb. 1936) beschäftigte
sich als Biochemiker mit der Untersuchung von Restriktions-Enzymen. 1972
traf er zufällig mit Stanley Cohen zusammen, der sich mit dem Einschleusen
von bakteriellen Plasmiden (DNA - Moleküle, die von einer Zelle in
eine andere geschleust werden können; man kann sie als Träger
von bestimmter DNA benützen) beschäftigte. Beide begriffen,
was aus der Kombination ihres Know-how entstehen konnte, nämlich
das Cohen - Boyer - Patent: Mit Boyers Restriktions-Enzymen ließen
sich Plasmide aufschneiden und, mit neuen Genen als "Trittbrettfahrer",
über Cohens Verfahren in Wirtszellen einschleusen.
Die Konferenz von Asilomar (1975): Die rasante Entwicklung auf dem Gebiet
der Gentechnologie veranlaßte elf US-Biochemiker und Molekularbiologen,
darunter Paul Berg und James Watson, in einem Moratorium
den vorläufigen Verzicht auf bestimmte gentechnologische Versuche
zu fordern (beispielsweise Versuche mit Krebsgenen) - so lange, bis man
mehr Erfahrungen mit dieser neuen Methodik, und vor allem deren Ergebnissen
gemacht hätte. Darüber diskutierten im Februar 1975 über
hundert Wissenschaftler im kalifornischen Asilomar. Ergebnis der Konferenz:
Gentechnologische Experimente mit menschlichen Krebsgenen wurden verboten;
Experimente mit potentiellen Krankheitserregern dürfen nur mit Sicherheitsstämmen
- das sind Mikroorganismen, die besonders von den Laborbedingungen abhängig
sind und daher außerhalb von diesem nicht überlebensfähig
sind - in besonders eingerichteten Laboratorien geschehen.
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(2) "Omnis cellulae e cellula"
Alle Zellen entstehen aus Zellen (Virchow). Dieser Satz beschreibt
das Prinzip des Lebens. Zellen entstehen nicht aus unbelebter Materie,
können also nicht im Labor "geschaffen" werden. Jede Zelle
ist durch Teilung einer Mutterzelle entstanden.
Alle Zellen enthalten Gene. Gene sind die Träger der Erbinformation.
Von Generation zu Generation werden sie über die Keimzellen der lebenden
Organismen an die Folgegeneration weitergegeben. Die Gesamtheit der Gene
einer Zelle nennt man Genom. Das Genom besteht bei den meisten Organismen
(Mensch, Tier) aus mehreren Chromosomen, das sind fadenförmige Strukturen,
in denen sich die DNA befindet. Jede Art hat eine charakteristische Anzahl
an Chromosomen, die immer paarweise auftreten - eines vom Vater, das andere
von der Mutter. Der Mensch beispielsweise besitzt 23 Chromosomenpaare.
Einzelne Abschnitte dieser Chromosomen nennt man Gene. Chromosomen kommen
nur in Zellen vor, die einen Zellkern besitzen (Eukaryonten). Es gibt
auch Zellen ohne Zellkern (Prokaryonten), beispielsweise Bakterien -
bei ihnen schwimmt die DNA daher frei im Zellplasma (Cytoplasma). Zusätzlich
enthalten viele Bakterien Plasmide, in denen Gene sind. Plasmide sind
sehr wichtig für die Gentechnologie, sie können nämlich
fremde DNA in eine Zelle einschleusen.
Der Grundvorgang des Lebens ist die Zellteilung. Dabei muss die Erbinformation
von der Mutterzelle an die Tochterzelle weitergegeben werden, ohne dass
dabei auch nur das geringste verloren geht. Die Erbsubstanz ist diesem
Ziel gemäß aufgebaut: die Desoxyribonukleinsäure (DNA
oder DNS) ist als in sich gewundene Doppelwendel, als "Doppelhelix",
konstruiert. In ihr ist die gesamte genetische Information abgespeichert.
2.1 Die DNA hat zwei Funktionen:
- Steuerung der Vorgänge in der Zelle
- Vererbung
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(3) Steuerung der Vorgänge
In einer Zelle spielen sich in jeder Minute des Lebens Tausende von biochemischen
Prozessen ab: Stoffe werden chemisch umgewandelt, Substanzen werden transportiert,
am Zellskelett wird gebaut, Erbsubstanz wird repariert etc.; all das kann
nur mit Hilfe von Eiweißen ablaufen.
Proteine (Eiweiße, Polypeptide) werden aus Aminosäuren aufgebaut.
Die Natur verwendet zum Aufbau der Proteine insgesamt zwanzig Aminosäuren,
die in verschiedener Zahl und Reihenfolge aneinandergereiht werden. Aus
welchen und wie vielen Aminosäuren ein Protein aufgebaut ist, bestimmt
ein Gen.
Die Eiweißbildung (Proteinsynthese)beginnt damit,
dass ein "Kopier-Enzym" (ein Enzym ist ein Protein, das eine
Aufgabe ausführt ohne dabei selber verändert zu werden), auch
Polymerase genannt, die Botschaft des Gens in eine "Abklatsch-Kopie"
überträgt, man nennt diesen Vorgang Transkription.
Diese Kopie nun ist die einsträngige Ribonukleinsäure (RNA,
RNS), welche die Anweisung des Gens als Bote in die Eiweiß - Synthesemaschine,
das Ribosom ("Eiweißproduktionsstätte") bringt. Nach
ihrer Botenfunktion heißt diese Ribonukleinsäure "messenger
- RNA", kurz m-RNA. Die RNA hat einen ähnlichen Aufbau wie die
DNA, nur ist in der RNA die Nukleobase Thymin der DNA in Uracil ausgetauscht,
außerdem ist die RNA im Gegensatz zur DNA meist einsträngig.
Am Ribosom findet dann die Translation statt, d.h. die
"Übersetzung" der genetischen Information in Proteine,
indem das Ribosom "Buchstabe für Buchstabe" die chemische
Botschaft von der m-RNA "abliest". Jeweils drei von den abgelesenen
RNA-Basen, Codon genannt, signalisieren den Einbau einer bestimmten Aminosäure.
Nun stellt sich die Frage, woher diese Aminosäuren stammen. Sie werden
herangeschafft, und zwar von der dafür spezialisierten transfer-RNA
(t-RNA). Wenn die Proteinsynthese beendet ist, das Ende genauso wie der
Anfang werden von einem Codon signalisiert, ist ein Kettenmolekül
aus oft vielen hundert Aminosäuren entstanden. Die Bindungskräfte
zwischen den Aminosäuren falten diese Aminosäurekette zu einem
dreidimensionalen Körper: ein funktionsfähiges Eiweißmolekül,
ein Protein, ist fertig.
Wie "weiß" ein Gen, wann es aktiv werden muss, um ein
Protein synthetisieren (bilden) zu lassen? Allein um das Überleben
der Zelle zu gewährleisten, gehen sehr viele Prozesse vor sich. Die
meisten Zellen haben aber noch dazu bestimmte Aufgaben innerhalb des Organismus,
zum Beispiel die Produktion eines Hormons oder mechanische Arbeit (in
Muskelzellen). Diese Arbeiten müssen nun ebenso exakt koordiniert
werden, wie die für das Überleben der Zelle notwendigen Prozesse.
Deshalb ist eine absolute Kontrolle über alle Vorgänge erforderlich.
Die Zelle erreicht dies durch das gezielte Ein- und Ausschalten von Genen,
die sogenannte Kontrolle der Genexpression. Fast alle Zellen spezialisieren
sich im Verlauf ihres Lebens. Bei dieser Spezialisierung werden viele
Gene, die von einer bestimmten Zelle für ihr Überleben nicht
gebraucht werden, inaktiviert. Die Gene, die die Zelle aber öfters
benötigt, die also oft aktiv sind, werden von Enzymen, man bezeichnet
sie dann als Transkriptionsfaktoren, "kontrolliert". Wird nun
ein Protein gebraucht, machen sich diese Transkriptionsfaktoren an die
Arbeit, das entsprechende Gen zu aktivieren; indem sie sich an bestimmten
Stellen, sog. Kontrollregionen, an die DNA binden und so das Gen "erwecken".
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(4) Unterscheidung Genetik - Gentechnik
Die Genetik ist die Wissenschaft von der Vererbung. Sie beschäftigt
sich mit der Weitergabe der Erbinformation von einer Generation auf die
folgende - damit verbunden natürlich auch mit der Verschlüsselung
und Speicherung der Erbinformation im genetischen Code sowie mit der Umsetzung
der Erbinformation in der Zelle und im sich entwickelnden Organismus.
Die Gentechnik (Gentechnologie) ist die gezielte Veränderung
und Neukombination (Rekombination) von genetischem Material; in anderen
Worten, die Veränderung der DNA, um sie neukombiniert in eine lebende
Zelle einzuschleusen und dort vermehren zu lassen.
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(5) Gentechnologische Methoden
Der grundlegende Vorgang in der Gentechnologie, nämlich das Einschmuggeln
eines nach eigenem Wunsch gestalteten genetischen Befehls in eine Wirtszelle,
ist keine Erfindung des Menschen. Im mikroskopischen Kosmos der Viren
und Bakterien ist dieses kuckucksartige Unterschieben eigener DNA bereits
seit Jahrmillionen gang und gäbe: Konjugationheißt
das Phänomen, wonach Bakterien bestimmte Gene untereinander austauschen;
dabei verschmelzen die Zellwände zweier Bakterienzellen an einer
kleinen Stelle miteinander, und über den dabei entstandenen kurzen
"Verbindungsschlauch" wechselt dann ein Plasmid (ein kleiner
DNA-Ring) vom einem zum anderen hinüber.
Beim ebenfalls in der Natur ablaufenden Vorgang der Transduktion
sind Viren die Übeltäter, genauer gesagt Bakteriophagen. Sie
injizieren ihre DNA einfach in Bakterien-, Tier-, Pflanzen- und Menschenzellen.
Bei der Tranformation schließlich schleusen Mikroorganismen
unverpackte DNA-Moleküle durch die Zellwand ihres Gegenübers.
Mit "unverpackt" ist gemeint: ohne Ausbildung eines anbindenden
Schlauchs wie bei der Konjugation, ohne Verschmelzen der Virus-Membran
mit der Zellwand der Wirtszelle wie bei der Transduktion.
5.1 Molekulare Scheren:
Bei der Erforschung dieser natürlichen Gen-Übertragungsmechanismen
kam der Forscher Arber den Restriktions-Enzymen, molekularen Scheren,
auf die Spur. Mit dieser Entdeckung konnten die Wissenschaftler die DNA-Fäden
an spezifischen Stellen zerschneiden, und somit Gen-Stücke von bestimmter
Größe bekommen. Ergänzt wurde dieses System noch durch
eine andere Enzymklasse, die Ligasen. Ligasen sind molekulare Maschinen
aus Eiweiß, die in der Lage sind, DNA-Moleküle aneinander zuknüpfen
- man könnte sie als "Gen-Klebstoff" bezeichnen. Mit der
Entdeckung dieser beiden Enzyme waren perfekte gentechnische Werkzeuge
geschaffen, um die Erbsubstanz-Moleküle neu zu kombinieren. Um ein
Gen, das die gewünschte Erbinformation trägt, in eine Wirtszelle
hineinzupraktizieren, benötigt man einen Vektor. Ein Vektor ist ein
Trägermolekül, das die Zellmembran der Wirtszelle passieren
kann, und dabei das gewünschte Gen mit einschleust. Als Vektor verwendet
man heute überwiegend Plasmide. Andere Verfahren, beispielsweise
für eine direkte Übertragung des gewünschten Gens in eine
Zelle, sind in der Entwicklung.
5.2 Plasmide
Will der Gen-Ingenieur ein bestimmtes Stück der DNA in eine Zelle
durch ein Plasmid einschleusen lassen, schneidet er zuerst mit einem
Restriktions-Enzym den Plasmid-Ring, der aus einer Bakterie gewonnen wurde,
an einer Stelle auf. Dann gibt er dasjenige Gen hinzu, das er in die Wirtszelle
einschleusen möchte; danach fügt er der Reaktionslösung
noch das Enzym Ligase zu, das die freien Enden des aufgeschnittenen Plasmids
mit den Enden des hinzugefügten Gens verknüpfen. (Das ganze
ähnelt den Vorgängen im Schneideraum eines Filmstudios: Der
Cutter schneidet den Film an einer Stelle auf und klebt dort ein gewünschtes
Filmstück ein). Die solchermaßen präparierten Plasmide
gibt der Gentechnologe nun zu einer Lösung, in der die Wirtszellen
sind, zusammen mit einem chemischen Reagenz, das die Zellmembranen der
Wirtszellen für einige Zeit durchlässig macht. Jetzt herrscht
sozusagen Durchzug in den Wirtszellen, und die kleinen DNA-Ringe der
Plasmide können in die Zellen hineindiffundieren. Danach ist der
Einschleusevorgang abgeschlossen. Mit Nährstoffen, Kulturmedium
und guten Wachstumsbedingungen versorgt, vermehren die genetisch veränderten
Zellen jetzt die eingeschleusten Plasmide mitsamt dem gewünschten
Gen. Dieser Prozess heißt Gen-Klonierung. Wenn alles
planmäßig abgelaufen ist, produzieren die "umgepolten"
Zellen unter dem Einfluss des eingeschmuggelten Gens massenhaft das gewünschte
Eiweißmolekül. Voraussetzungen für den Erfolg dieses Vorgangs:
Die Wirtszelle muss das ihr untergeschobene Plasmid als "eigen"
anerkennen. Tut sie das nicht, setzen Abwehrorganismen gegen Fremd-DNA
ein, und das mühsam in die Zelle praktizierte Plasmid wird zerstört.
Die Wirtszelle muss den fremden genetischen Befehl verstehen können.
Zwar ist der genetische Code grundsätzlich universell, doch es existieren
sozusagen unterschiedliche Dialekte. (nicht jedes Bakterium versteht die
Start- und Stoppsignale einer anderen Bakterien-Art.)
Woher stammt das Gen, welches in die Wirtszelle eingeschleust wird?
In manchen Fällen lässt sich dieses Gen aus dem Genom eines
anderen Lebewesens isolieren (durch Restriktions-Enzyme). Dann muss es
nur noch mit den Steuersignalen, welche die Ziel-Zelle "versteht",
ausgestattet werden.
Manchmal muss das einzuschleusende Gen aber auch selbst hergestellt
werden. Das geschieht durch chemische Synthese, chemisches Aneinanderkoppeln
einzelner Bausteine. Früher wurde dies in zeitraubender und mühseliger
Arbeit von Hand gemacht; heute gibt es Synthese-Automaten, so genannte
Gen-Maschinen, die computergesteuert die Syntheseschritte vollziehen.
So entstehen "synthetische Gene".
5.3 Das Shotgun-Experiment
Das Shotgun-Experiment war die erste Methode, mit der Gentechnologen
ein bestimmtes DNA-Stück aus der gesamten DNA eines Organismus isolieren
wollten. Dieser Weg war sehr breit gestreut und nicht gerade trefferspezifisch,
denn zuerst wird die gesamte DNA des betreffenden Organismus aus der Zelle
isoliert. Die Erbsubstanz wird dann durch ein Restriktions-Enzym zerschnitten.
Mit demselben Enzym zerschneidet man Plasmide eines Wirtsbakteriums und
mischt die aufgeschnittenen Plasmide mit der zerschnittenen DNA des Organismus.
Die DNA-Fragmente rekombinieren jetzt kreuz und quer miteinander; sie
verknüpfen sich unter dem Einfluss von Ligase-Enzymen zu einer Vielzahl
von DNA-Kombinationen, die erneut zu Ringen geschlossen werden. Nun lässt
man die neukombinierten Plasmide von den Zellen aufnehmen. Einige davon
enthalten jenes DNA-Stück, das man gerne isolieren möchte. Diese
gilt es nun zu finden, und aus ihnen eine Kolonie gleichartiger Zellen
zu ziehen, in der das gesuchte Gen vervielfältigt wird.
5.4 Springende Gene - Transposons
Transposons, DNA-Bereiche, die innerhalb eines Chromosoms oder auch
zwischen Chromosomen hin- und herspringen können, sind für den
Gentechnologen von größtem Interesse, da er stets auf der Suche
nach mobilen Trägermolekülen für das Einschleusen von gewünschten
Genen in Zellen ist. Mit größter Sicherheit werden springende
Gene in der Pflanzen-Gentechnologie eine wichtige Rolle spielen, nämlich
bei der direkten Übertragung eines Gens in eine Zelle.
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(6) Derzeit in der Gentechnologie verwendete Verfahren
6.1 Zellfusion
Durch bestimmte Chemikalien oder durch Impulse von elektrischem Strom
verschmelzt man die Membranen benachbarter Zellen miteinander. Dabei vermischt
sich der Zellinhalt - somit auch die Erbsubstanz. Gezielter lässt
sich operieren, wenn man nicht eine komplette Zelle mit der Zielzelle
vermischt, sondern ein künstlich geschaffenes Membransäckchen
(Mizelle), in das man ausschließlich das zu transferierende Gen
verpackt hat.
6.2 Plasmide
Zu den klassischen Vektoren, mit denen man - wie mit einem Trojanischen
Pferd - ein fremdes Gen in eine Zielzelle einschmuggeln kann, gehören
die Plasmide (Ringmoleküle aus Erbsubstanz DNA). Ein fremdes Gen
lässt sich in den Plasmid-Ring einsetzen, und die Wirtszelle lässt
das Plasmid plus zusätzlichem Gen passieren.
6.3 Viren
Der Gentechniker verpackt das Gen, welches er in die Zielzelle einschmuggeln
will, in ein Virus (Phage). Dieses injiziert seine Erbsubstanz mit dem
dazugekommenen Gen in die Zelle.
6.4 Ti-Plasmid
Ein Bodenbakterium kann durch kleine Verletzungen in Pflanzen eindringen
und ein Tumor-induzierendes Plasmid (Ti-Plasmid) in die Pflanzenzellen
injizieren. Dieser Technik bedient sich der Pflanzen-Gentechnologe, um
neue Gene in Pflanzenzellen einzuschmuggeln. (Allerdings lassen sich nur
zweikeimblättrige Pflanzen mit Ti-Plasmiden infizieren).
6.5 Gen-Transfer per Mikro-Injektion
An ein Bruchstück eines springenden Gens gekoppelt, wird dabei fremde
DNA direkt in pflanzliche Protoplasten (zellwandlose Pflanzenzellen) injiziert.
Die fremde DNA wird in das pflanzliche Genom integriert und gehört
von da an zur genetischen Ausstattung.
6.6
Polymerase-Kettenreaktion
Die Polymerasekettenreaktion (kurz PCR für englisch: polymerase
chain reaction) ist eine gentechnologische Methode zur Vermehrung
eines DNA-Fragments. Das Verfahren wurde 1983 von Kary Mullis
erfunden. Der Kettenreaktion liegt folgendes Prinzip zugrunde: Man synthetisiert
zunächst zwei kurze DNA-Sequenzen (Oligonucleotide), die nach den
Regeln der Basenpaarung komplementär zu den beiden Enden des zu vervielfältigenden
DNA-Abschnitts sind. Die DNA, welche die zu vermehrende Sequenz
enthält, wird zunächst durch Temperaturerhöhung in die
Einzelstränge gespalten. Die beiden synthetisierten Oligonucleotide
hybridisieren mit den Enden der denaturierten DNA. Anschließend
setzt man DNA-Polymerase zu, ein Enzym, das die gebundenen Oligonucleotide
zu vollständigen Kopien der gewünschten DNA verlängert.
Nun sind bereits zwei Exemplare des gewünschten DNA-Moleküls
vorhanden. Durch erneute Erhitzung trennen sich die Stränge wieder,
neue Oligonucleotide können binden und der nächste Verdoppelungszyklus
beginnt.
Die so entstandenen Molekülkopien werden in den folgenden Zyklen
immer wieder verdoppelt, so dass man innerhalb weniger Stunden das gewünschte
DNA-Fragment millionenfach angereichert hat. Bei dieser Methode verwendet
man eine hitzestabile DNA-Polymerase (die Taq-Polymerase), die das wiederholte
Erhitzen toleriert und deshalb die Verdoppelung immer wieder katalysieren
kann.
Die Polymerasekettenreaktion ermöglicht wie die Genklonierung
die Anreicherung großer Mengen eines ganz bestimmten DNA-Abschnitts.
Anders als bei dem komplizierteren Klonierungsverfahren benötigt
man für die PCR bereits Informationen über die DNA-Sequenz,
damit man geeignete Oligonucleotide herstellen kann. Die PCR findet in
der Grundlagenforschung und medizinischen Diagnostik breite Anwendung.
Bei der medizinischen Diagnose dient sie vor allem zum Nachweis von Krankheitserregern
oder zur pränatalen Diagnose. Innerhalb der Evolutionsbiologie sind
durch die PCR genetische Untersuchungen an paläontologischen Funden
möglich. Der Nachteil der PCR liegt darin, dass es leicht zu Verfälschungen
kommen kann, wenn die zu untersuchende DNA mit geringsten Mengen anderer
Sequenzen verunreinigt ist. Um diesen Effekt zu vermeiden, muss man bei
ihrer Durchführung äußerst sorgfältig vorgehen.
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(7) Anwendungen und Chancen der Gentechnologie
7.1 Anwendungen in der Humanmedizin
Die Entwicklung der angewandten Gentechnologie hat ein rasantes Tempo
erlangt; in kaum einer anderen Disziplin erfolgt ein so schneller Technologietransfer
von der Grundlagenforschung zur Industrie. Zur Zeit sind einige gentechnisch
erzeugten Medikamente auf dem Markt. Das erste war Insulin.
7.2 Rekombinante Proteine
Es gibt keine biologischen Prozesse, bei denen nicht in irgendeiner
Form Proteine beteiligt sind. Daher ist die Idee nicht von der Hand zu
weisen, gewisse Proteine zur Heilung von Krankheiten zu verwenden. Damit
waren aber bisher einige Schwierigkeiten verbunden, denn Proteine werden
nach Einnahme durch den Mund nicht ins Blut aufgenommen; die meisten Proteine
sind für ihren Ursprungsorganismus typisch, d.h., dass beispielsweise
ein Pflanzenprotein nicht in einem menschlichen Organismus wirkt; und
außerdem ist es bei der Vielzahl von verschiedenen Proteinen sehr
schwierig zu wissen, welches eine heilende Wirkung haben könnte.
Trotzdem gibt es heute Proteine, die tatsächlich bei der Heilung
von Krankheiten helfen können. Das erste solche Protein war das aus
Rindern und Schweinen gewonnene Insulin zur Behandlung von Diabetes. Die
Liste der therapeutisch verwendbaren Proteine tierischen Ursprungs ist
aber sehr kurz. Mit Hilfe der Gentechnologie können menschliche Proteine
in ausreichender Menge hergestellt und als pharmakologische Wirkstoffe
verwendet werden. Solche gentechnisch hergestellten Proteine werden als
rekombinante Proteine bezeichnet. Die rekombinanten Proteine bieten auch
verschiedene Diagnostika zur Identifizierung von Infektionskrankheiten,
beispielweise wurde der Erreger von Aids, das menschliche Immunschwäche-Virus
(HIV), vor acht Jahren mit gentechnischen Methoden identifiziert und strukturell
aufgeklärt.
7.3 Interferone
Interferone (eine Proteingruppe) erhielten ihren Namen wegen ihrer Wirkung,
nämlich der Erzeugung eines antiviralen Zustands in Zellen, die dann
nicht mehr von Viren infiziert werden können.
Die Interferone gelten als eine Art Signalstoffe, die auf einen äußeren
Reiz hin von Zellen abgesondert werden, um andere Zellen zu warnen - beispielweise
bei einer Virus-Infektion. Neben dieser antiviralen Wirkung modulieren
Interferone die körpereigene Abwehr; vor allem das Gamma - Interferon
zeigt eine starke Aktivierung des Immunsystems. Die gentechnische Herstellung
von allen drei Arten von Interferonen ist gelungen - und durch sie stehen
die Human - Interferone in Substanzmengen zur Verfügung, die klinische
Versuche zur Erprobung ermöglichen. Alpha - Interferon wird heute
gegen das Wachstum bestimmter Krebsformen eingesetzt.
7.4 Impfstoffe
Bei der Entwicklung und Herstellung von Impfstoffen mit gentechnischen
Methoden werden einzelne Proteine von Krankheitserregern oder Bruchstücke
solcher Proteine hergestellt. Das Ziel bei der Entwicklung eines solchen
rekombinanten (gentechnisch erzeugten) Impfstoffes ist es, dasjenige Protein
bzw. diejenigen Proteinbruchstücke des Krankheitserregers ausfindig
zu machen, das den besten Impfschutz hervorruft und gut verträglich
ist. Rekombinante Impfstoffe können zunächst dort erfolgreich
sein, wo herkömmliche Methoden der Impfstoff - Herstellung versagen.
Die gentechnische Produktionsweise hat den Vorteil, dass nicht mit infektiösen
Krankheitserregern, sondern nur mit nicht infektiösen Teilen von
deren Erbsubstanz gearbeitet werden muss. Der erste eingeführte rekombinante
Impfstoff vermittelt einen Impfschutz gegen Hepatitis B (Nierenentzündung).
Mehrere weitere gentechnisch hergestellte Impfstoffe werden derzeit klinisch
geprüft, darunter befinden sich auch Aids- sowie Malaria- Impfstoffe.
7.5 Gentherapie
Unter Gentherapie versteht man die Behandlung von Krankheiten durch
den Transfer von Genen in menschliche Zellen. Heute werden somatische
Zellen, also Körperzellen im entwickelten Organismus, als Zielzellen
für die Gentherapie in Betracht gezogen. Eine Gentherapie an menschlichen
Keimzellen, also ein genetischer Eingriff, der sich weitervererbt (Keimbahn
- Gentherapie), wird heute allgemein aus ethischen Gründen abgelehnt.
In den USA werden derzeit Versuche angestellt, eine seltene angeborene
Immunschwäche - Krankheit durch somatische Gentherapie zu heilen.
Die Krankheit heißt ADA-Defiziens. Den Patienten fehlt infolge eines
genetischen Defekts ein Enzym. Dieser Defekt verhindert die Entwicklung
eines intakten Immunsystems. Die Patienten können nur unter sterilen
Bedingungen überleben. Amerikanische Wissenschaftler an den National
Institutes of Health (NIH) haben einem unter ADA - Defizienz leidenden
vierjährigem Mädchen Immunzellen entnommen und diesen Zellen
im Reagenzglas ein gesundes ADA-Gen eingesetzt. Die Hoffnung bei diesem
Versuch besteht darin, dass die Zellen, die nun ein gesundes ADA-Gen tragen,
sich im Blut der Patientin vermehren, und so die Bildung eines wenigstens
teilweise funktionellen Immunsystems ermöglichen.
7.6 Genomanalyse
Die Genomanalyse ist ein Teilbereich der Gentechnik und bedeutet die
Analyse der menschlichen Erbinformation. Anfangs war allein schon die
Entschlüsselung der Erbanlagen von primitiven Organismen ein langwieriges
Geschäft. Vor zwanzig Jahren dauerte es zwölf Monate, bis ein
einzelner Forscher hundert Basenpaare analysiert hatte, heute können
automatische Analysegeräte, sogenannte Sequenzer, hunderttausende
DNS-Sprossen täglich entschlüsseln. Man rechnet mit der Decodierung
des gesamten menschlichen Genoms im Laufe der nächsten zehn bis zwanzig
Jahre.
Die Anwendungsgebiete der DNA-Untersuchung sind vielfältig. So
lassen sich Erbkrankheiten feststellen, und zwar bereits im vorgeburtlichen
Stadium. Ebenso lassen sich bei jedem Menschen mögliche genetische
Veranlagungen für bestimmte Krankheiten, etwa Herz- oder Tumor -
Krankheiten, und für Unvertäglichkeiten gegenüber bestimmten
chemischen Stoffen ermitteln. Zu Ende gedacht können schließlich
auch die genetischen Anlagen für geistige und seelische Eigenschaften
des Menschen Untersuchungsgegenstand sein. So scheut man sich nicht, Homosexualität
oder Kriminalität in Verbindung mit chromosomalen Aspekten zu untersuchen.
7.7 Transgene Tiere und Pflanzen
Ein Gentransfer in befruchtete Eizellen tierischen Ursprungs ist mittels
einer ganz feinen Glaskapillare unter dem Mikroskop möglich. Die
transferierte (fremde) DNA integriert sich in einigen Fällen in das
Genom dieser befruchteten Eizelle. Der durch Zellteilung wachsende Embryo
enthält dann in jeder Zelle die zusätzliche Erbinformation.
Die Zellen unterscheiden nicht mehr zwischen der eigenen und der eingebrachten
DNA. Ein aus einer solchen Eizelle heranwachsendes Tier wird als "transgenes
Tier" bezeichnet. Grundsätzlich die gleiche Vorgehensweise ist
bei Pflanzen möglich; es entsteht eine "transgene Pflanze".
Die rekombinanten Organismen - oder transgenen Lebewesen - erhalten
so Eigenschaften, die sie auf natürlichem Weg nicht, und wenn, dann
nur in einem sehr langsamen evolutionären Prozess, bekommen würden.
Der Sinn solcher Experimente bestand ursprünglich darin, mehr über
die Funktion eines einzelnen Gens zu erfahren. Das Verhalten des transferierten
Gens kann ja im lebenden Tier studiert werden. Beispielweise haben die
Krebsforschung und die Immunologie aus Experimenten mit transgenen Mäusen
schon wesentliche Erkenntnisse über die Ursachen von Krankheiten
gewinnen können.
Entwürdigende Experimente mit Tieren sind bereits unternommen wurden, zwar unter dem Deckmantel, der Menschheit dienen zu wollen, aber eigentlichen
nur um die Neugierde einiger Wissenschaftler zu stillen. So will nun auch
die (Land-) Wirtschaft ihren Nutzen aus transgenen Tieren ziehen. Im Vordergrund
der Bemühungen in der Nutztierzucht stehen genetische Veränderungen,
die das Wachstum, die Fruchtbarkeit und die Produktivität der Tiere
steigern.
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(8) Anwendungen in der Landwirtschaft
8.1 Nutztierzucht
Das Ziel der Nutztierzucht scheint es zu sein, größtmöglichen
Gewinn aus Tieren zu bekommen. So hofft man beispielsweise, das langsam
wachsende, aber im Gegensatz zum Hausschwein gegen Stress widerstandsfähigere
Wildschwein durch den Transfer eines zusätzlichen Gens zu einem geeigneten
Nutztier machen zu können.
Merino-Schafe glaubt man durch die Übertragung eines besonderen
Fertilitätsgens auf Mehrlingsgeburten umstellen zu können. Darüber
hinaus ist denkbar, dass man die Eigenschaften der Wolle gezielt verbessert,
indem man für deren Synthese verantwortliche Keratin-Gene in ihrer
Struktur verändert. Auch will man Schafen zusätzliche Gene für
die Biosynthese der für den Haarwuchs nötigen Aminosäure
Cystein einpflanzen. Diese Aminosäure kann vom Tier nämlich
nicht gebildet werden (eine erhöhte Cysteinzufuhr steigert nachweislich
die Wollproduktion).
Schließlich kann man natürlich Resistenzen - wie sie etwa
beim westafrikanischen N'Dama Rind gegenüber der Schlafkrankheit
besteht - auf andere Rinderrassen übertragen.
Durch die Gentechnologie können aber nicht nur Nutztiere zu besseren
Lieferanten von Fleisch, Milch oder Wolle gemacht werden, sondern man
könnte Tiere auch auf die Synthese pharmakologisch interessanter
Produkte umprogrammieren. So können die Milchdrüsen von Kuh
und Schaf als "Bioreaktor" etwa so verändert werden, dass
sie bestimmte Eiweiße, die als Impf- und Arzneistoffe wichtig sind,
produzieren.
8.2 Tierpatente
Seit dem 21. April 1987 können in Amerika, neuerdings auch in Europa,
Tiere, deren Erbinformationen im Labor verändert wurden, patentiert
werden. In der Verordnung, die der für das Patentamt zuständige
stellvertretende Wirtschaftsminister Donald Quigg unterzeichnete,
wird die neue Patentklasse "800" beschrieben. Darunter fallen
genetisch veränderte mehrzellige lebende Organismen außer dem
Menschen. Mitte 1987 lagen der Behörde fünfzehn Patentanträge
für diese neue Klasse vor. Darunter war beispielweise ein Antrag
des Versuchshofs in Beltsville (Maryland). Dort baute man jenen Genabschnitt
im menschlichen Erbgut der für die Herstellung eines Wachstumshormons
verantwortlich ist in die DNA von Schweineembryos ein. Die Tiere wuchsen
nun also schneller, hatten weniger Fett, und vererbten das neue Gen an
ihre Nachkommen. Die "neuen" Schweine litten jedoch an Arthritis,
waren anfälliger für Infektionen und begannen zu schielen. Zu
den Antragsstellern gehören auch Wissenschaftler der landwirtschaftlichen
Fakultät der Universität von Kalifornien in Davis. Dort wurde
1985 eine Schimäre aus Ziege und Schaf geboren, die im Reagenzglas
gezeugt worden war.
8.3 Embryo - Splitting
Der Einbau menschlichen Erbguts in tierische DNA oder die Erzeugung
völlig neuer Rassen sind derzeit noch Extremfälle. Bei den meisten
Patentenanträgen geht es um einfache Eingriffe in den tierischen
Reproduktionszyklus. Dazu gehört etwa das Embryo-Splitting, bei dem
eine befruchtete Eizelle kopiert wird. Beide Eizellen werden dann in
das Muttertier eingepflanzt, das somit (identische) Zwillinge austrägt.
Darunter fällt auch das Klonieren exakter Kopien der Erbmasse hochwertiger
Tiere.
Die Firma "Embryogen" aus Athens (Ohio), die sich hauptsächlich
mit der Gentechnik bei Säugetieren befasst, schloss einen Vertrag
mit der amerikanischen Pharmafirma "Upjohn", um Labortiere
wie Mäuse genetisch so zu verändern, dass sie anfällig
für bestimmte Krankheiten werden. "Upjohn" will an ihnen
dann Medikamente testen, die sonst an höheren Lebewesen ausprobiert
werden müssten. "Embryogen" - Chef Stephen Holtzman spekuliert:
"Es wäre großartig, wenn wir Labormäuse hätten,
die Aids bekommen könnten. An ihnen ließe sich die Wirkung
verschiedener Medikamente viel schneller untersuchen als an Schimpansen
oder Menschen."
8.4 Pflanzenzucht
Von der Landoberfläche der Erde ist nur etwa ein Zehntel für
den Anbau unserer heutigen Kulturpflanzen auf Feldern geeignet. In den
übrigen Gebieten ist es entweder zu trocken, zu kalt oder der Boden
ist versalzen, oder die Bodenschicht zu dünn. Durch die Gentechnologie
könnte man Nahrungspflanzen besser an ungünstige Standorte anpassen,
Ackerbauflächen vergrößern und die Produktivität
von Kulturpflanzen steigern, indem die Pflanzen gegen Salz, Trockenheit
und andere feindliche Umweltfaktoren (Schädlinge) resistent gemacht
werden. Doch die Ursachen der Resistenzeigenschaften bei Pflanzen sind
noch nicht genügend erforscht, die erhoffte Schaffung von Kulturpflanzen,
die ihren Stickstoffbedarf aus der Luft decken, noch nicht gelungen -
die Nutzpflanzen beziehen ihren Stickstoff nach wie vor in Form von Nitrat,
das sie über die Wurzeln aus dem Boden aufnehmen; und bei der Ernte
wird der Stickstoff zusammen mit der Biomasse dem Boden entnommen. Damit
Neues gedeiht, müssen diese Nährstoffe dem Boden wieder zugeführt
werden.
Prinzipiell ist es möglich, Pflanzenzellen genetisch gezielt zu
verändern und daraus "neue" Pflanzen aufzuziehen. Am leichtesten
ist das bei Nachtschatten-Gewächs, beispielsweise Tabak. In einem
Universitätslabor in Kalifornien wurden Teile der Erbinformation
von Leuchtkäfer in Tabakpflanzenzellen übertragen. Das Endergebnis
davon war, das die Pflanzen nun dieselbe Strahlkraft besaßen wie
die Leuchtkäfer: Tabakpflanze leuchtet durch Gentransfer!
8.5 Anwendungen in Chemie und Technik
Technische Enzyme, zumeist auf natürlichem Weg gewonnen, werden
heute im Bereich des Rohstoffaufschlusses und der Lebensmittelindustrie
angewendet. Für die Herstellung von in Limonade verwendetem Flüssigzucker
wird mit Enzymen gearbeitet; genauso bei der Herstellung von Backwaren
oder Fruchtsäften. Mit Hilfe gentechnisch veränderter Mikroorganismen
lassen sich diese Verfahren effektiver machen, indem bei gleichem Rohstoffverbrauch
höhere Enzymausbeuten erzielt werden. Auch neue Verfahren wurden
möglich: Das zur Käsereifung verwendete Chymosin, das bisher
aus Kälbermägen extrahiert wurde, kann durch die Gentechnik
erstmals aus Mikroorganismen gewonnen werden.
Eine völlig neue Forschungsrichtung ist das Protein-Engineering.
Indem man gezielt Mutationen in Gene einführt, kann man die Aminosäuresequenz
von Proteinen verändern. Man gewinnt so Enzym-Varianten, die es in
der Natur nicht gibt, die aber an die jeweiligen Verfahrensbedingungen
besser angepasst sind. So werden sich eines Tages Enzyme für chemische
Umsetzungen regelrecht konstruieren lassen. Mikroorganismen sollen dann
organische Verbindungen produzieren, die als Lösungsmittel in großen
Mengen oder zur Kunststoffherstellung benötigt werden.
Viele unserer Energie- und Umweltprobleme, vor allem die Verwertung
von Abfällen und die Ausnutzung von Energiequellen hängt direkt
mit der Umsetzung organischen Materials zusammen. Viele dieser Prozesse
sind jedoch noch unwirtschaftlich oder funktionieren nur im Labor, weil
optimal an den Zweck angepasste Mikroorganismen fehlen. Als Anwendungsgebiete
hat die Industrie etwa das Recycling von Abfällen, den Abbau von
Schadstoffen, verbesserte Kläranlagen-Mikroorganismen, Bakterien,
die nach Tankerunfällen Öl beseitigen, im Auge. Auch das Verfahren,
bei dem Bakterien gleichsam als Bergarbeiter Metallverbindungen aus Erzlagerstätten
und Abraumhalden herauslösen, könnte verbessert werden; fossile
Brennstoffe ließen sich durch die Umwandlung von Biomasse, wie Stroh
oder Holz in energiereiche Verbindungen einsparen.
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(9) Internationale Sicherheitsrichtlinien in der Gentechnologie
So viele Chancen und Verbesserungen uns durch die Gentechnologie beschert
werden können, so viele Gefahren birgt sie auch in sich. Was die
Befürchtungen betrifft, durch Unvorsichtigkeit, menschliches Versagen
oder gar böse Absicht könne einmal ein gentechnologisch verändertes
Virus oder Bakterium aus dem Labor ins Freie gelangen, existieren zwei
Kategorien von Maßnahmen: Die Laborsicherheit und die biologische
Sicherheit.
Zur Laborsicherheit gibt es eine Abstufung, je nach dem Gefahrenpotential
der geplanten Versuche: Jeder, der Gen-Experimente betreiben will, muss
dies abgestuft nach dem Gefährlichkeitsgrad der Versuche - in einer
Gen-Labor-Kategorie mit einem jeweils fest umrissenen Leistungskatalog
tun.
9.1 L1
Im L1-Labor, der niedrigsten Gefahrenstufe, müssen lediglich die
Regeln beachtet werden, die in jedem beliebigen medizinischen Laboratorium
üblich sind: Man darf dort nicht essen, trinken oder rauchen, muss
eine Gelegenheit zum Händewaschen haben und sterilisierbare Arbeitskleidung
(Kittel) tragen. Abfälle, die Mikroorganismen oder Nukleinsäure
(DNA) enthalten, müssen am Arbeitsplatz zerstört werden können.
Die Fußböden müssen leicht desinfizierbar sein.
9.2 L2
Im L2-Labor, dem gängigen Gen-Labor-Typ an vielen Hochschulen und
Industrieforschungseinrichtungen, muss zusätzlich zu den L1-Bedingungen
noch eine spezielle Arbeitsbank verfügbar sein. Das ist ein etwa
schrankgroßer Kasten, der auf der Vorderseite eine Arbeitsöffnung
hat, die man mit einer Glasplatte verschließen kann. In der Arbeitsbank
wird ein zirkulierender Luftstrom durch ein Schwebstoff-Filter geleitet,
bei jedem Durchlauf keimfrei gemacht und wieder in den Kreislauf eingeblasen.
Ferner muss das L2-Labor einen Autoklaven aufweisen, ein Gerät, in
dem jeglicher Abfall vor dem Verlassen des Labors in über 100° C heißem
Wasserdampf sterilisiert wird. Während der Arbeit müssen die
Labortüren geschlossen sein, ein außen aufgebrachtes Schild
"Biohazard" (biologische Gefahr) muss vor dem Zutritt warnen.
Nur die Experimentierenden und der eigens dazu ernannte Sicherheitsbeauftragte
haben Zutritt.
9.3 L3
Im L3-Labor finden sich, zusätzlich zu den L1- und L2-Bedingungen,
folgende Einrichtungen: Nur durch eine zweitürige Schleuse dürfen
Experimentatoren und Sicherheitsbeauftragte den Raum betreten oder verlassen
können, ansonsten muss der Raum von seiner Umgebung abgeschirmt sein.
Zur Einrichtung der Schleuse gehört ein Handwaschbecken mit Ellbogen-,
Fuß- oder Sensor-Betätigung. In der Schleuse muss Schutzkleidung
(Schuhe und hinten schließender Mantel) getragen werden, und beim
Arbeiten im eigentlichen Laborraum ist das Tragen von Einweghandschuhen
Pflicht. Beim Arbeiten unter L3-Bedingungen muss der Laborraum stets unter
leichtem Druck stehen, so, dass ständig ein minimaler Luftzug von
außerhalb einströmt. Das soll zusätzlich verhindern,
dass Zellen oder Nukleinsäuremoleküle durch Fugen im Raum nach
draußen entweichen. Der Unterdruck im Laborraum muss mit einem Messgerät,
das von außen wie von innen ablesbar ist, kontrolliert werden. Wenn
das Messgerät einen Abfall des Unterdrucks registriert oder selbst
ausfällt, muss eine akustische Warnanlage in Aktion treten. Das L3-Labor
darf entweder keinen Abguss enthalten, oder es muss mit einer Abwasserdesinfektion
versehen sein Die Abluft wird durch ein bakteriendichtes Filter geleitet,
das nach dem Auswechseln im Autoklaven sterilisiert werden muss. Nur wenn
eine vom Laborraum aus einschaltbare Alarmanlage vorhanden ist, darf der
Experimentierende allein arbeiten; ansonsten müssen sich stets mindestens
zwei Personen gleichzeitig im Labor aufhalten.
Letzten Endes können alle diese Maßnahmen von einem Menschen,
der böse Absichten hat, unterlaufen werden. Daher gibt es eben noch
das biologische Sicherheitssystem, das vermutlich höher einzuschätzen
ist als alle noch so dicht schließenden Schleusensysteme. Die biologischen
Vorkehrungen sollen sicherstellen, dass die vom Gentechnologen neukombinierte
DNA sich nicht außerhalb des Labors ausbreiten kann. Dazu werden
Vektoren und/oder Wirtszellen genetisch geschwächt:
Die Vektoren tragen genetische Marker, das sind einkonstruierte Gene
oder Gen-Defekte, die diese Vektoren nur bei Labor-Wirtszellenstämmen
funktionieren lassen, die in der freien Natur ja nicht überlebensfähig
sind. Bei natürlichen Wirtszellen darf maximal einer von 100 Mio.
Bakteriophagen überleben, so dass erst gar kein Infektionszyklus
beginnen kann.
Die im Handel befindlichen Wirtszellstämme (derzeit noch überwiegend
E.-coli-Stämme) sind ebenfalls durch genetische Marker mit bestimmten
absichtlichen Konstruktionsfehlern behaftet. Man könnte sie mit gezüchteten
" Haustieren " vergleichen, weil sie durch ihre Defekte nur
im Labormilieu existieren können und außerhalb des Labors sofort
zugrunde gehen.
Klarerweise können weder die biologischen Sicherheitsmaßnahmen
noch die Laborsicherheitsvorkehrungen eine absolute Garantie dafür
sein, dass es nicht doch irgendwie, irgendwann zu einem Unfall kommen
könnte, bei dem gentechnologisch veränderte und überlebensfähige
und beim Menschen krankheitserregende Mikroorganismen in die Umwelt
gelangen.
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(10) Risiken der Gentechnologie
10.1 Missbrauchsmöglichkeiten bei der Genomanalyse
Es zeichnen sich zwei Schwerpunkte der Genomanalyse-Anwendung ab, die
Gefahren in sich bergen. Zum einen die Anwendung der DNA-Analyse bei Arbeitnehmern,
zum anderen bei der Einsetzung der DNA-Analyse zur pränatalen Untersuchung.
Daneben kommt der DNA-Analyse auch im Strafverfahren Bedeutung zu. Da
die Erbanlage eines jeden Menschen einmalig ist, bietet sich die DNA-Analyse
als prinzipiell unverfälschbare Identifizierungsmethode an. Deshalb
hat sich hierfür im strafrechtlichen Bereich bereits der Begriff
"genetischer Fingerabdruck" eingebürgert.
Wenn man über die Folgen der Genomanalyse in der Arbeitswelt nachdenkt,
ist zu bezweifeln, dass sie dort zu einer Verbesserung der gesundheitlichen
Situation führen wird. Eher wahrscheinlich scheint, dass mit Hilfe
der Genomanalyse eine Verschärfung des gesundheitlichen Ausleseprozesses
erfolgt. Wer aufgrund seiner genetischen Anlagen für bestimmte Stoffe
oder Krankheiten anfällig erscheint, wird erst gar nicht eingestellt.
So würde der Mensch zum zweitrangigen, jederzeit reproduzierbaren
Produktionsfaktor; als solcher wäre er dem Gewinnstreben absolut
untergeordnet. Dies bricht einen über Jahrzehnte hinweg bestehenden
gesellschaftlichen Konsens, wonach ein Erkrankter wie in einem Netz aufgefangen
wird. Ein "Hauptfaden" von diesem Netz ist sicher der Arbeitgeber,
der im Falle der Krankheit Vergütungsfortzahlungen für den Arbeitnehmer
zu leisten hat. Zukünftig wird die Versuchung groß sein, das
Erkrankungsrisiko mit Hilfe der Gentechnologie den Arbeitnehmer allein
tragen zu lassen. Ergibt die Genomanalyse eine erhöhte Krankheitsanfälligkeit,
erhält der betreffende Arbeitnehmer erst gar keinen Arbeitsplatz
und wird mit seinem Erkrankungsrisiko allein gelassen. Es wäre verhängnisvoll,
wenn Lebens- und Aufstiegschancen in der Arbeitswelt nach der genetischen
Konstitution, an der er der Mensch selber ja unschuldig ist, vergeben
würden.
Eine zweite nicht minder große Gefahr liegt darin, dass die Bemühungen
nachlassen bzw. aufgegeben würden, schädliche Arbeitsstoffe
und Umweltgifte zu vermeiden und stattdessen versucht würde, nur
noch diejenigen Arbeitnehmer einzusetzen, die aufgrund ihrer genetischen
Konstitution am widerstandsfähigsten erscheinen. Nicht die Verträglichkeit
von Arbeitsstoffen und Arbeitsumgebungen für den Menschen würde
geprüft, sondern die Verträglichkeit von Menschen auf schädliche
Arbeitsstoffe und Arbeitsumgebungen. Anpassung des Menschen an die vergiftete
Umwelt statt Sanierung der verschmutzten Umwelt kann und darf aber niemals
eine gesellschaftspolitische Zielvorstellung sein.
Schließlich muss auf eine dritte Gefahr in diesem Bereich hingewiesen
werden. Ist die komplette Genomanalyse erst einmal möglich, ist über
den untersuchten Arbeitnehmer eine unvorstellbar große Datenmenge
hinsichtlich aller genetischen Anlagen vorhanden. Dieses Datenreservoir
ist praktisch das ganze Berufsleben des Arbeitnehmers nutzbar; es könnte
ihm auf jeder beruflichen Station wie auch bei allen möglichen sonstigen
Anlässen vorgehalten werden. Auf diese Art und Weise entsteht der
"genetisch gläserne Mensch", dessen genetische Anlagen
im Handumdrehen offengelegt werden kann. Wer also die vollständigen
Ergebnisse einer Genom-Analyse vorliegen hat, verfügt über ein
unvorstellbar großes Wissen über die genetisch bedingten Eigenschaften
einer Person. Es leuchtet ein, welch ungeheure Macht mit diesem Wissen
verbunden sein kann. Die Missbrauchsmöglichkeiten werden durch die
Speicherung dieser Information in elektronischen Datenverarbeitungsanlagen
potenziert. Hier zeigt sich ganz deutlich die Wechselbeziehung zwischen
Gen-und Datentechnik. Wie unterentwickelt der Datenschutz hinsichtlich
der Gesundheitsdaten im Betrieb schon ohne Gentechnik ist, zeigt die empirische
Untersuchung von Prof. Wolfgang Kilian, wonach 41,8% von untersuchten
Unternehmen in Deutschland Gesundheitsdaten, darunter auch Krankheitsbefund,
Diagnose- und Therapiedaten, die nur dem Betriebsarzt zugänglich
sein dürften, im zentralen Personalinformationssystem - mit der jederzeitigen
Zugriffsmöglichkeit durch die Personalabteilung - gespeichert hatten.
10.2 Missbrauchsmöglichkeiten bei der pränatalen Diagnostik
Die pränatale Diagnostik ermöglicht die Diagnose genetischer
Defekte des Embryos. Die Ergebnisse sollen eine Hilfestellung bei der
Frage sein, ob eine Schwangerschaft ausgetragen werden soll oder nicht.
Bereits gegenwärtig hat die pränatale Diagnostik einen erheblichen
Stellenwert (Ultraschall, Fruchtwasseruntersuchung). Durch die Genomanalyse
auf DNA-Ebene werden sich zukünftig erweiterte Möglichkeiten
bieten, Erbkrankheiten festzustellen. Diese Anwendung bedeutet natürlich
einen großen Fortschritt. Nicht zu übersehen sind jedoch die
gerade hier bestehenden Missbrauchsmöglichkeiten. Denn die DNA-Analyse
ist nicht auf schwere Erbleiden beschränkt. Möglich ist ebenso
gut das Herausfinden von genetischen Anlagen, die für wertvoll bzw.
nicht wertvoll gehalten werden. So könnte die pränatale Genomanalyse
zur Selektion von erwünschten, weil genetisch hochwertig, und
zu unerwünschten, weil genetisch minderwertig, Kindern führen.
Letztendlich wäre damit sogar eine auf einer Genhygiene aufbauende
Rassenhygiene möglich. Dass es solche Überlegungen tatsächlich
gibt, zeigt die Äußerung des US-Genetikers Bentley Glass aus
dem Jahr 1971: "Kein Ehepaar wird in dieser Zukunft das Recht haben,
die Gesellschaft mit einem mißgestalteten oder geistig unfähigen
Kind zu belasten." Wer will sicher ausschließen, dass hierauf
aufbauend nicht versucht würde, gezielte Aussonderung derjenigen
zu betreiben, die in der Gesellschaft als andersartig gelten? So könnte
beispielsweise die in der Kriminologie schon abgeschriebene Theorie vom
"geborenen Verbrecher" hervorgezerrt und versucht werden, "kriminalitätserzeugende"
Gene zu finden; und die entsprechenden Embryonen schlicht auszusortieren.
Ebenso, wenn es um "abweichendes Sexualverhalten" geht.
Die Gefahren gehen aber auch dahin, dass Eltern eines Tages nach trivialen
Gesichtspunkten eine Aussonderung vornehmen. Dass dies nicht in den Bereich
der Phantasie gehört, zeigt die heutige Praxis in Indien und China:
dort finden häufig Fruchtwasseruntersuchungen statt, mit dem Ziel,
Geschlechtsselektion durchzuführen - weibliche Föten abzutreiben.
Ferner besteht die Gefahr, dass die DNA-Analyse zu einer grundlegenden
Änderung im Verhalten der Gesellschaft führt. Gilt Behinderung
heute als unabwendbares Schicksal, und wird es als Aufgabe der Gesellschaft
verstanden, Behinderten zu helfen und sie zu integrieren, so kann durch
die Gentechnik die Bereitschaft zunehmen, Behinderte als einen von den
Eltern verschuldeten gesellschaftlichen Missstand anzusehen und das behinderte
Leben als vermeidbares unwertes Leben abzuqualifizieren. Zugleich erhöht
sich der Druck auf das Elternverhalten. Da Erbkrankheiten in vermehrtem
Maße erkennbar sind, könnten sich Eltern zunehmend zur Genhygiene
und zur Aussonderung bzw. Abtreibung genetisch geschädigter Embryos
veranlasst sehen. Dies würde zu einer "Selektionsdiagnostik"
führen, bei der Kinder "zurückgegeben" werden wie
Sachgegenstände. Krankheiten würden geheilt werden, indem man
Kranke vermeidet.
10.3 Missbrauchsmöglichkeiten bei der Gentherapie
Die Gentherapie lässt sich auf zwei Ebenen vollziehen. Es gibt
die somatische Gentherapie und die Keimbahn-Therapie, bei der vom Menschen
herbeigeführte genetische Veränderungen nicht nur bei dem Menschen,
bei dem sie vorgenommen wurden, sondern auch bei dessen Nachkommen stattfinden.
(Neue Lebensart!)
Die Anwendung der Keimbahn-Therapie wird heute beim Menschen (noch)
strikt abgelehnt - derzeit wird sie "nur" bei Tierexperimenten
angewendet.Doch wer weiß schon, wie weit uns die "Forschungsmanie"
der Menschheit eines Tages bringen wird? Aber auch bei der somatischen
Gentherapie könnte die Versuchung, nicht nur Erbkrankheiten zu bekämpfen,
sondern auch bestimmte Eigenschaften zu züchten, sehr groß
werden - der "manipulierte genetisch durchgeplante und -gestylte
Mensch", der seiner auf genetischem Zufall beruhenden Individualität
beraubt wäre, könnte Wirklichkeit werden. Noch mehr wird das
zur Schreckensvision, wenn die Computertechnik als Mittel zur genetischen
Konstruktion von Lebewesen eingesetzt würde. Dass dies nicht als
völlig absurd abgetan werden darf, belegen die Äußerungen
von Genetikern, etwa die, man müsse zur Verbesserung der genetischen
Qualität des Menschen kommen, den durchschnittlichen Intelligenzquotienten
steigern, und die schöpferischen Möglichkeiten der genetischen
Verbesserung nutzen - der Mensch als Gott.
Es dürfen auch die Konsequenzen des Weges hin zur Gentherapie nicht
außer Betracht gelassen werden. Eine praktische Umsetzung wird nur
möglich sein, wenn Embryonen als verbrauchbares Forschungsmaterial
gezüchtet und benützt werden dürfen. Ohne eine solche verbrauchende
Embryonenforschung lässt sich eine praktische Umsetzung der Gentherapie
nicht vorstellen.
10.4 Freisetzung genetisch manipulierter Organismen
Die Freisetzung gentechnisch manipulierter Organismen wird allgemein
als bedenklich eingestuft. Ängste, neuartige Organismen gerieten
außer Kontrolle und bedrohten Mensch und Umwelt, erhielten durch
das Verhalten einiger Firmen zusätzliche Nahrung. So hatte zum Beispiel
1985 das kalifornische Unternehmen "Advanced Genetic Sciences",
ein kleines Gentechnik-Labor in Oakland, ohne Erlaubnis im Freien mit
veränderten Mikroben experimentiert. Es handelte sich dabei um Bakterien,
die verschiedene Kulturpflanzen vor Frostschäden schützen sollen.
Man wollte die Wirkung von Bakterien der Gattung Pseudomonas an 48 Obstbäumen
untersuchen, die in Kübeln auf dem Dach des Firmengebäudes aufgestellt
waren. Nach den Vorschriften der Behörde hätte das Obstbaum-Experiment,
das als Vorversuch für den Antrag auf ein Freilandexperiment an Erdbeeren
erforderlich war, unter definierten Bedingungen im Gewächshaus vorgenommen
werden müssen. Ein Firmensprecher beteuerte, von einer Gefahr für
die Umwelt könne nicht gesprochen werden, weil man die Bakterien
schließlich direkt in das Holz gespritzt habe. Als das Vorhaben
bekannt wurde und der Verdacht auf schuldige wissenschaftliche Arbeit
aufkam, ja sogar von Fälschung von Ergebnissen gesprochen wurde,
ordnete die zuständige Behörde von Monterey County ein vorläufiges
Verbot an und bestand auf ordnungsgemäßen Vorversuchen im Gewächshaus.
Durch solche und ähnliche Vorfälle wird ersichtlich, dass
auf die Selbstkontrolle der Industrie wenig Verlass ist. Die Freisetzungsexperimente
nehmen weltweit zu.
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(11) Zusammenfassung
Der Beginn der modernen Genetik lässt sich mit der Entdeckung
der Mendelschen Erbgesetze ansetzen. Ab dort nimmt die Entwicklung
auf diesem Gebiet einen schnellen Lauf. Eine der Schlüsselentdeckungen
war die Identifizierung der Desoxyribonukleinsäure (DNA); in ihr
ist die gesamte genetische Information abgespeichert. Sie ist ihrem Zweck
gemäß, die Erbinformation von der Mutterzelle an die Tochterzelle
weiterzugeben, als in sich gewundene Doppelwendel konstruiert. Die DNA
befindet sich bei den meisten Organismen in den Chromosomen, das sind
fadenförmige Gebilde im Kern einer Zelle. Einzelne Abschnitte der
Chromosomen nennt man Gene. Ein Gen ist für die Ausbildung eines
Merkmals verantwortlich. Der grundlegende Vorgang in der Gentechnologie,
das Einschmuggeln eines nach eigenem Wunsch gestalteten genetischen Befehls
in eine Wirtszelle, ist keine Erfindung des Menschen. Seit Jahrmillionen
bedienen sich die Viren und Bakterien Techniken (Konjugation, Transduktion,
Transformation), um eigene DNA in fremde Zellen hineinzubringen. Nach
diesen Prinzipien wird auch in der Gentechnologie gearbeitet - freilich
nur mit Hilfe gentechnischer Werkzeuge, wie etwa den Restriktions-Enzymen,
die gleich molekularen Scheren DNA-Stücke von gewünschter Größe
zurechtschneiden können. Ein anderes gentechnisches Werkzeug ist
das Enzym Ligase; es ist in der Lage, DNA-Moleküle aneinanderzuknüpfen
- man könnte sie als "Gen- Klebstoff" bezeichnen. Die Kombination
dieser beiden Enzyme bietet ein perfektes System um die Erbsubstanz-Moleküle
neu zu kombinieren, und das ist ja das Ziel der Gentechnologie - gezielte
Veränderung und Neukombination von genetischem Material.
Das wichtigste Anwendungsgebiet der Gentechnik liegt sicherlich in
der Medizin. Mit gentechnologisch hergestellten Proteinen, rekombinanten
Proteinen (Interferone, Interleukine, Impfstoffe), konnten schon einige
Erfolge erzielt werden. Auch die Anwendung der Gentherapie als Behandlung
von Krankheiten durch den Transfer von Genen in menschliche Zellen findet
in der Medizin Anwendung. Mit Hilfe der Genomanalyse schließlich,
können Erbkrankheiten, genetische Veranlagungen für bestimmte
Krankheiten und Unverträglichkeiten gegenüber bestimmten Stoffen
ermittelt werden, und zwar bereits im vorgeburtlichen Stadium.
Anwendung findet die Gentechnik aber auch in der Landwirtschaft (Nutztier-
und Pflanzenzucht), wo es das oberste Ziel zu sein scheint, mit Hilfe
der neuen Technik den Gewinn zu steigern, und in der Chemie und Technik.
Die internationalen Sicherheitsrichtlinien in der Gentechnologie umfassen
zwei Kategorien von Sicherheitsmaßnahmen: Die Laborsicherheit und
die biologische Sicherheit. Die Laborsicherheit beinhaltet mehrere Abstufungen,
je nach dem Gefahrenpotential der Versuche. Die biologischen Sicherheitsvorkehrungen
sollen sicherstellen, dass die vom Gentechnologen neukombinierte DNA sich
nicht außerhalb des Labors ausbreiten kann.
Dass die Gentechnologie Gefahren in sich birgt, ist allgemein bekannt,
beispielsweise sind die Missbrauchsmöglichkeiten der Genomanalyse
(sowohl in der Arbeitswelt als auch in der pränatalen Diagnostik)
nur allzu deutlich erkennbar. Auch die "falsche" Anwendung der
Gentherapie, insbesondere in der Keimbahn, hätte fatale Folgen (der
Mensch als Schöpfer). Sicherlich ist auch die Frage der Freisetzung
von gentechnisch manipulierten Organismen ein Risikopunkt.
Roberta Okhovat, Rudolf Öller.
Frau Dr. Roberta Okhovat hat diese Arbeit in den Neunzigerjahren als Matura-Fachbereichsarbeit
geschrieben.
Heute ist sie Ärztin in Österreich.
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