Erste Kriminalfälle, in denen die Gentechnik eine Rolle spielte
Wir erwähnen von den vielen Kriminalfällen, in denen die Gentechnik
zur An-wendung kam, nur drei. Sie standen alle am Beginn einer neuen Entwicklung.
Der Fall O. J. Simpson ist insoferne von Bedeutung als die Geschworenen
der neuen Technik noch keinen Glauben schenkten.
1. Der Fall Unterweger:
1991, Vorarlberg:
"Jack" Unterweger ist ein Frauen- und Serienmörder. Er
ermordet eine Bregenzer Prostituierte; das biologische Material wird gesichert
und in seinem Auto werden Haare gefunden. Das genetische Material wird
mit dem Material von Unterwegers Auto verglichen, zudem geschieht eine
Blutabnahme. Unterweger flieht in die USA, wird dort verhaftet und in
Österreich verurteilt. In der Haft nimmt er sich das Leben.
2. Der Fall Pobornikoff:
1992, Vorarlberg:
Herr Pobornikoff tötet seine Frau, enthauptet die Leiche und vergräbt
sie im Wald. Die später gefundene und stark verweste Leiche ist daher
zunächst unbekannt. Ein Pathologe erstellt ein falsches Gutachten
indem er behauptet, dass die Leiche eine junge Frau gewesen sein müsste.
Später wird festgestellt, dass sich im Winter ein älterer Mann
am Fundort (im Klostertal in Vorarlberg) auffällig benommen hat.
Zugleich ist dessen Frau abgängig. Es werden Blutspuren im Haus des
Mannes entdeckt und mit der Leiche gentechnisch verglichen. Die Blutspuren
im Pobornikoff-Haus stimmen mit dem genetischen Material der Leiche überein.
Der Ehemann wird als Mörder überführt.
3. Der Fall O.J. Simpson:
Der Prozess wurde entschieden, weil die Geschworenen den damals noch
neuen gentechnischen Methoden kein Vertrauen schenkten.
Im Strafprozess gegen den Ex-Footballspieler O. J. Simpson, der mit einem
Freispruch endete, zeigte sich erneut die enorme Leistungsfähigkeit
der DNA-Typisierung. Dennoch führten die Schwächen und Eigenheiten
der amerikanischen Rechtsprechung dazu, dass die DNA-Beweise letztlich
wenig Gewicht erhielten. Zugleich soll eine Übersicht über den
heutigen Stand der Individual-identifikation mittels DNA-Analyse gegeben
werden, die zeigt, dass Verlässlichkeit und Geschwindigkeit der Diagnosestellung
laufend zunehmen.
Der Prozess:
Am 12. Juni 1994 wurde O.J. Simpsons geschiedene Frau Nicole Brown und
deren Freund Ron Goldman zwischen 22.00 und 22.20 Uhr bestialisch ermordet;
die Leichen lagen im Eingangsbereich des Hauses von Nicole Brown Simpson.
Lebende Tatzeugen gab es nicht. O.J. Simpson, der unter anderem wegen
einer oft als Flucht interpretierten Autofahrt in Mordverdacht geraten
war, verweigerte die Aussage.
Anklage und Verteidigung bildeten von vorneherein je ein gemischtes Team
aus schwarzen und weißen Anwälten. Damit wurde der in den Vereinigten
Staaten bis zum Exzess betriebenen Diskussion um politische correctness
(PC) vorgebeugt bzw. Genüge getan. Die Eltern des Richters Lance
Ito stammen aus Ostasien, was diesen über den möglichen Vorwurf
der Ausländerfeindlichkeit heraushob. Andere Prozessteilnehmer hatten
es da schwerer - so mussten sich Polizeibeamte im Gerichtssaal fragen
lassen, ob sie jemals das abwertende Wort "Nigger" gebraucht
hätten. Der daraus abgeleitete Rassismusvorwurf kann einen Zeugen
- vollkommen unabhängig von seiner Sachkompetenz - vor der Jury bereits
unglaubwürdig machen. Auch die an den Nobelpreisträger und Sachverständigen
Kary Mullis gerichtete Frage, ob er längere Zeit LSD genommen habe
(was dieser freimütig zugesteht), zielte in diese Richtung. Man sieht,
wie sehr die Grenze zwischen Tatsachen, Vermutungen und irrelevantem Gerede
bewusst verwischt wurde. Aus der Sicht unseres Rechtssystemes sind diese
taktischen Manöver nicht akzeptabel, zumal sich die psychische Verfassung
mehrerer Geschworener im Verlaufe des monatelangen Simpson-Prozesses nicht
zuletzt wegen ihrer Unterbringung in einem abgeschirmten Hotel erheblich
litt. Mehrere Jurymitglieder mussten deshalb entlassen werden, so dass
Mitte 1995 nur noch zwei Ersatzschöffen zur Verfügung standen;
bei weniger als zwölf Schöffen aber wäre der Prozess wegen
des Einspruches von Anklage und/oder Verteidigung geplatzt. Bei gleichem
Stimmverhältnis (6:6) hätte der Prozess sogar ohne Entscheidung
enden können. Da von Seiten der Anklage und der Verteidigung eine
ausgesprochene Meinungspolarisierung angestrebt war, spielten die objektiven
Beweise aus der DNA-Untersuchung der auf dem Grundstück von Nicole
Brown Simpson gefundenen Spuren sowie eines blutbe-fleckten Handschuhes
eine herausragende Rolle.
Prozessbeobachter berichten, dass es den Geschworenen schwer fiel, diesem
elementaren Teil der Beweisaufnahme - dem Bericht über die DNA-Typisierungsergebnisse
- zu folgen. Immerhin wurde die Einführung in dieses Thema durch
Dr. Robin Cotton, der Vorsitzenden der mit einigen Typisierungen beauftragten
Firma Cellmark Diagnostics, als didaktischer Höhepunkt beschrieben.
Die Technik:
In den letzten Jahren hat sich die 1985 von Professor ALEC JEFFREYS erdachte
Methode der Untersuchung des Erbgutes zu Identifizierungszwecken erheblich
verändert. Zwar werden nach wie vor sich wiederholende DNA-Bereiche
unter-sucht, deren genetische Funktion bislang unbekannt ist, doch liegen
diese an anderen Stellen des Erbgutfadens DNA und werden auf andere Weise
sichtbar gemacht. Zugleich basieren die heute errechneten Individualisierungswahrscheinlichkeiten
einer Tatortspur auf anderen statistischen Methoden. Die eigentlichen
"genetischen Fingerabdrücke" - diesen Namen hatte ihr geistiger
Vater Jeffreys ersonnen - entstehen dadurch, dass große Mengen genomischer
(das heißt aus dem Zellkern stammender, unfragmentierter) DNA mithilfe
von Schneideenzymen in definierte Stücke zerkleinert und auf einem
Agarosegel elektrophoretisch aufgetrennt wird.
Die gesuchten, sich wiederholenden DNA-Bereiche (sogenannte variable
number of tandem repeats, VNTRs) werden nun unter allen ihrer Größe
bzw. Länge nach aufgetrennten DNA-Fragmenten von "Sonden"
erkannt. Als Sonden dienen den VNTR-Bereichen komplementäre DNA-Stücke,
die durch radioaktive oder chemolumineszente Markierung sichtbar gemacht
werden. Das individualspezifischen Muster der Fragmentlängen (restriction
fragment length polymorphism, RFLP - siehe auch oben) erlaubt die sichere
Identifizierung von Personen bzw. die Klärung von Vaterschaften.
Dass das klassische RFLP-Verfahren technisch einwandfrei ist, zeigte
erst kürzlich wieder der zweimal jährlich stattfindende Ringversuch
unter fast allen forensisch arbeitenden Labors aus Deutschland, Österreich,
den Niederlanden und anderen benachbarten Staaten. Der einzige Nachteil
der RFLP-Technik in ist die große Menge benötigter DNA (5-10
µg). Aus diesem Grund verwendet man die PCR-Technik um winzige DNA-Stücke
zu vervielfältigen ("amplifizieren").
Weil die durch PCR vervielfältigten DNA-Bereiche wesentlich kürzer
sind (max. 500 DNA-Bausteine oder Nukleotide) als beim Restriktionslängenpolymorphismus
(bis ca. 20.000 Nukleotide), kann auch DNA, die durch Trockenheit, Licht
oder sonstige Umwelteinflüsse zerbrochen ist, noch typisiert werden.
Winzige Blutspritzer auf einer Hose, Speichel an Zigarettenkippen oder
einem Kaugummi sowie ausgefallene Haare sind daher heute sicher individualisierbar.
Mittlerweile trennen einzelne Labors die vervielfältigten DNA-Stücke
nicht nur der Länge nach auf, sondern untersuchen sie zusätzlich
Nukleotid für Nukleotid mittels der Sequenzanalyse. Auf diese Weise
werden auch die kleinsten überhaupt vorhandenen Unterschiede zwischen
einzelnen Individuen dargestellt.
Mit der immer gründlicheren Kenntnis der untersuchten DNA-Bereiche
nimmt die Aussagekraft der DNA-Typisierung weiter zu. Interlaborielle
Vergleiche garantieren nicht nur die volle Reproduzierbarkeit der Ergebnisse:
Breitgefächerte Untersuchungen der Verteilung der untersuchten DNA-Bereiche
(Allelfrequenzen) innerhalb verschiedener Populationen (auch Rassen) ermöglichen
darüber hinaus präzise mathematische Aussagen zur Wahrscheinlichkeit,
mit der eine Spur einer verdächtigen Person (oder ein Kind einem
Vater) zugeordnet werden kann.
Beide Verfahren - RFLP und PCR - wurden im Fall Simpson benutzt.
Die DNA-Beweise im Prozess:
Auf dem Grundstück von Nicole Brown Simpson wurden insgesamt an
sieben Stellen biologische Spuren (Blut und Fingernagelmaterial) sichergestellt.
Besonders informativ waren dabei Blutstropfen auf dem Gehweg, die sowohl
mit der klassischen Typisierungsmethode (RFLP) als auch mittels der neuen
Methode (PCR) untersucht wurden. Die Wahrscheinlichkeit, dass die genannten
Blutspuren von O.J. Simpson stammten, wurde zu 1:240.000 (PCR) und 1:170
Millionen (RFLP) errechnet.
Auch auf dem Gelände in und um O.J. Simpsons Heim wurde Blut gefunden.
Wieder belasteten mehrere Spuren Simpson: Drei Blutstropfen auf Socken,
die in seinem Schlafzimmer gefunden wurden, konnten mit einer Wahrscheinlichkeit
von 1:21 Milliarden seiner Exfrau zugeordnet werden. Allein von einem
blutbefleckten Handschuh, der hinter einer Mauer von Simpsons Grundstück
lag, wurden elf Materialproben anhand von insgesamt 22 RFLPs und 17 PCR-Polymorphismen
untersucht. Das Blut am Handschuh stammte mit einer Wahrscheinlichkeit
von 1:41 Milliarden von Ron Goldmann, dem Freund von Frau Simpson.
Als verfahrenstechnische Besonderheit wurden die DNA-Beweise im Prozess
nicht in Form von Aus- oder Einschlusswahrscheinlichkeiten präsentiert.
Dies sollte von vorneherein verhindern, dass die Verteidigung etwaige
Zahlenwerte als zu abstrakt hinstellen würde oder dass die Medien
durch lax formulierte Wahrscheinlichkeitsangaben irreführende Ergebnisse
veröffentlichen würden (dennoch geschah beides).
Der Jury wurde vielmehr mitgeteilt, welche der drei beteiligten Personen
(Simp-son, Brown Simpson, Goldmann) als Verursacher jeder einzelnen Spur
nicht ausgeschlossen werden konnte. Ernste Bedenken gegen die DNA-Typisierung
als Methode ließen sich zum Zeitpunkt des Simpson-Prozesses nicht
mehr erbringen. Selbst Dr. Eric Lander aus Cambridge, der Ende der achziger
Jahre durch ein vernichtendes Gutachten eine Kontroverse um die statistische
Sicherheit der DNA-Typisierung mit ausgelöst hatte, war sich mit
Dr. Bruce Budowle vom FBI einig: "The DNA fingerprinting wars are
over". Der einstmals heftige Streit führte im Gegenteil dazu,
dass regelmäßige Laborvergleiche, computergestützte Auswertungsverfahren,
bei denen in jedem Schritt die opti-sche Darstellung der DNA-Fragmente
beibehalten bleibt, sowie breit angelegte populationsgenetische Untersuchungen
durchgeführt wurden; routinierte Laborteams garantieren seitdem die
sichere Handhabung der DNA-Typisierung.
Die Verteidigung:
Wegen der erdrückenden Beweislast der DNA-Untersuchung verlegte
sich die Verteidigung Simpsons nun darauf, die Herkunft der fraglichen
Blutspuren und nicht die DNA-Typisierung anzuzweifeln (zur Diskussion
stand unter anderem die mögliche künstliche Spurenlegung durch
einen Polizeibeamten). Betrachtet man die oben genannten Wahrscheinlichkeiten
und Fundorte der Spuren, so erkennt man deutlich, dass besonders die ausgewalzte
Diskussion um die Herkunft des blutigen Handschuhes viele Züge einer
der Ablenkung dienenden Show trug.
Sowohl die Beamten, welche die Beweise sichergestellt hatten, wurden
von der Verteidigung persönlich in Misskredit gebracht (ob zurecht
oder zu Unrecht soll hier nicht beurteilt werden) als auch die Spurensicherung
an sich. Von einem schlampigen ("sloppy") Vorgehen der Polizisten
und Wissenschaftler mit der Gefahr der Kontamination der Spuren wurde
gesprochen. Die Verteidigung wusste dabei sehr wohl, dass die Verunreinigung
einer Spur durch einen Beamten oder Wissenschaftler - hätte eine
solche stattgefunden - die DNA-Typisierung im Fall Simpson kaum hätte
stören können: Die Typisierungsmuster aller Beteiligten waren
bekannt und konnten bei der Auswertung berücksichtigt werden. Dennoch
gelang es den Verteidigern, darunter den in Amerika sehr bekannten Anwälte
Johnnie Cochran junior und Robert Shapiro durch hauchdünne Mutmaßungen,
die hieb- und stichfeste DNA-Analyse zu unterwandern.
Schlussbemerkung zum Fall Simpson:
Es ist anzunehmen, dass eine strenge Berücksichtigung wissenschaftlich
gewonnener Tatsachen den Ausgang des Strafprozesses im Falle Simpson geändert
hätte. Während deutsche Richter DNA-Beweise anfangs zögerlich
verwendeten und damit wacklige Gutachten, wie sie vor zehn Jahren in den
Vereinigten Staaten vorgelegt wurden, gar nicht erst ermöglichten,
bewirkt die Art amerikanischer Strafprozesse mit Geschworenen, dass alle
Sachbeweise - auch DNA-Typisierungsergebnisse - vollkommen willkürlich
gewichtet werden können. Ob es sich wirklich um einen "Kulturschock"
handelt, wenn Richter, Geschworene und Wissenschaftler im Gerichtssaal
aufeinander treffen, wie es die angesehene Wissenschaftszeitschrift "Science"
vermutet, bleibt dahingestellt. Vielmehr ist zu hoffen, dass die unwürdige
Schwerpunktverlagerung weg von den Tatsachen und hin zu Spekulationen
nur im Einzelfall des Simpson-Prozesses dazu geführt hat, dass Sachbeweisen
unverdient wenig Bedeutung beigemessen wurde.
(aus: Kriminalistik 50, pp. 481-483, 1996, leicht gekürzt)
Die österreichische DNA-Datenbank:
In Österreich wurde inzwischen eine DNA-Datenbank errichtet. "Genetische
Fingerabdrücke" werden von Verdächtigen übernommen;
zudem von Verbrechern, welche schwere Delikte wie Sexualverbrechen, Körperverletzung,
Raub, Mord etc. begangen hatten. Die DNA-Datenbank ist in Innsbruck. Dorthin
werden im Bedarfsfall Haare u.a. Spurenmaterial zur Analyse geschickt.
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