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Mendel-Populationen und Genpool
Das Wort "Population"wird im täglichen Sprachgebrauch mit
verschiedenen Begriffsinhalten verwendet. Für die Genetik kommt es
darauf an, wie die Verteilung der Gene der Elterngeneration auf die Individuen
der Nachkommengeneration erfolgt. Meist wird zwischen Populationen mit vegetativer,
ungeschlechtlicher Fortpflanzung und solchen mit sexueller Fortpflanzung
ein deutlicher Unterschied gemacht. Veränderungen in der Genzusammensetzung
können jedoch auch bei vegetativer Vermehrung durch Mutation, auftreten
und parasexuelle Prozesse mögen in manchen Fällen auch zur Umkombination
des Erbgutes führen. Sexuelle Fortpflanzung hingegen führt fast
stets zu einer Neukombination der Gene in der Meiose und es entsteht so
in Wechselwirkung mit der Auslese eine dynamische Situation. Je nachdem,
ob die Individuen der Population in allen Lebensstadien einen einfachen
Chromosomensatz haben, also Haplonten sind, oder einen doppelten, also Diplonten
sind, werden sich wegen der Möglichkeit der Dominanz bei Diploidie
Unterschiede ergeben.
Einen Sonderfall stellen Haplo-Diplonten dar, bei denen in einem antithetischen
Generationswechsel haplo- und diploide Generationen abwechseln. Wie wir
später noch zeigen werden, spielt auch die Zufallspaarung, die Panmixie,
eine bedeutende Rolle. In Populationen, in denen starke Inzuchttendenzen
bestehen, werden andere Gesetzmäßigkeiten zu erwarten sein,
als in panmiktischen. Direkt aus den Mendelschen Erbregeln, ohne weitere
Zusatzannahmen ableitbare Verhältnisse werden in panmiktischen Populationen
zu finden sein, die aus diploiden, sich sexuell fortpflanzenden Individuen
bestehen. Solche Populationen werden allgemein als Mendel-Populationen
bezeichnet. Da für Populationen der meisten höheren Pflanzen,
der Mehrzahl der Tiere und des Menschen diese Voraussetzungen erfüllt
sind, beziehen sich auch die meisten Experimente und Überlegungen
auf Mendel-Populationen.
Populationen können verschiedene Größe haben. Ihre Abgrenzung
gegenüber anderen wird vielfach unscharf und daher nur schwer möglich
sein. Mendel-Populationen bestehen aus Individuen, deren Zusammengehörigkeit
in der Möglichkeit der Paarung besteht. Solche Populationen sind
Fortpflanzungsgemeinschaften. Lokale Populationen können dann als
eine Gruppe von Individuen angesehen werden, die räumlich zusammengehören,
so dass die Wahrscheinlichkeit der Paarung und Fortpflanzung zwischen
allen Individuen gleich groß ist. Von benachbarten Populationen
werden aber immer Individuen hinzukommen und aus der lokalen Population
in andere abwandern. Dadurch kommt es zu einem Genfluss zwischen benachbarten
Populationen. Wir können daher auch benachbarte, lokale Populationen
als eine Fortpflanzungsgemeinschaft betrachten und sie als eine Population
im übergeordneten Sinn zusammenfassen. Aber auch diese übergeordnete
Population wird wieder in Übereinheiten aufgehen. Schließlich
und endlich werden wir doch zu einer natürlichen Abgrenzung kommen,
nämlich dann, wenn wir alle Individuen einer Art (Spezies) als Population
auffassen.
Zwischen Individuen einer Art besteht die prinzipielle Möglichkeit
einer Paarung und Fortpflanzung, wenn auch aus räumlichen Gründen
nicht für alle Individuen die gleiche Paarungschance besteht. Immerhin
kann durch den Genfluss zwischen den lokalen Populationen das Erbgut einer
Art als Einheit aufgefasst werden. Wir betrachten also die Art als eine
große Mendel-Population.
Anders liegen wohl die Verhältnisse bei vegetativer Fortpflanzung
oder bei vorwiegend obligater Selbstbefruchtung, wie sie bei Pflanzen
sehr oft, aber gelegentlich auch bei Tieren vorkommt. Auch hier spricht
man von Populationen, obwohl es sich vorwiegend um Mischungen von Linien
oder Klonen handelt. Immerhin kommt wohl in den meisten Fällen gelegentliche
Fremdbefruchtung vor und die Definition der Population als Fortpflanzungsgemeinschaft
ist auch hier anwendbar. Wie besonders an verschiedenen Pflanzenpopulationen
gezeigt werden konnte besteht auch bei hoher Selbstbefruchtungsrate ein
dynamisches Populationssystem, das durch Selektion und Wechselwirkung
zwischen den Individuen derselben Art aufrechterhalten wird.
Der Zusammenhang zwischen den Individuen einer Population ist somit
in den meisten Fällen durch das gemeinsame Beisteuern zum Erbgut
der nächsten Generation gegeben. Die Gesamtheit der Erbanlagen aller
Individuen einer Population wird häufig als Genpool bezeichnet. Wir
können uns diesen Genpool als ein imaginäres Gefäß
vorstellen, in das wir von jedem Individuum einen vollständigen Satz
aller seiner Erbanlagen geben.
Neben Angaben über Fortpflanzungsweise, lnzuchttendenz etc. wird
eine genaue Beschreibung der Genverteilung in diesem Genpool-Gefäß
die genetische Situation der entsprechenden Population charakterisieren.
Die Genpool-Gefäße der einzelnen lokalen Populationen kommunizieren
miteinander. Der Genpool zweier verschiedener Arten weist jedoch keine
Verbindung auf. Selbst wenn die beiden Arten dieselbe ökologische
Nische bewohnen, also sympatrisch sind, bleibt ihr Genpool streng getrennt.
Aus der Abbildung geht auch hervor, dass Populationen, die
am Rande des Verbreitungsgebietes vorkommen, eine Sonderstellung einnehmen.
Diese Marginalpopulationen erhalten Genzufluss meist nur durch einen einzigen
Kanal, und die Möglichkeit einer Isolation ist leicht gegeben. Die
Dicke der Verbindungskanäle hängt von der Lebens- und Fortpflanzungsweise
der Arten ab. Bei manchen dicht siedelnden Arten mit großem Aktionsradius
werden die Populationsgrenzen weitgehend ineinander verschmelzen, bei
anderen, hoch spezialisierten und festsitzenden werden die Verbindungskanäle
oft sehr eng werden.
Verwenden wir nun den Genpool-Begriff für die Definition von
"lokaler Population" und "Art", so ergibt sich: Eine lokale Population
umfasst alle Individuen, die Anteil an demselben lokalen Genpool haben,
eine Art aber alle Individuen, die eine potentielle Fortpflanzungs-gemeinschaft
bilden und deren lokale Genpools miteinander in ständiger und dauerhafter
Verbindung stehen.
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