Im Jahre 1908 fanden Hardy und Weinberg unabhängig voneinander
ein Gesetz, das die Verteilung von Erbmerkmalen in Populationen beschreibt.
Betrachten wir eine Population mit Zufallspaarung, in der schwarze,
graue und weiße Individuen (z.b. Mäuse) nebeneinander vorkommen.
Die Eigenschaften schwarz und weiß werden von den Allelen eines
Gens bestimmt. SS bedingt schwarze Färbung, ss weiße; die
Heterozygoten Ss wären aber grau. Wenn wir den Genpool der Population
betrachten, so finden wir, dass die beiden Allele S und s in der Population
eine unterschiedliche Häufigkeit haben. Bezeichnen wir die relative
Häufigkeit von S mit p und die von s mit q, so können wir,
wenn wir Selektion ausschließen, die Population in bezug auf diesen
einen Genlocus bei Panmixie eindeutig durch die Angabe p = 0,4 und q
= 0,6 beschreiben.
Nach der Definition müssen alle Individuen einer lokalen Population
nun gleiche Wahrscheinlichkeit haben, miteinander Nachkommen zu produzieren.
Wir können daher die genetische Zusammensetzung der Nachkommen-Generation
nach den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit berechnen.
Es gilt allgemein. Die Wahrscheinlichkeit, dass zwei voneinander unabhängige
Ereignisse zugleich auftreten, ist gleich dem Produkt der Einzelwahrscheinlichkeiten.
Es ist also z. B. die Wahrscheinlichkeit, dass bei einem Würfel
eine Eins geworfen wird, gleich 1/6. Die Wahrscheinlichkeit, dass bei
gleichzeitigem Werfen von 2 Würfeln sowohl der eine als auch der
andere eine 1 zeigt, ist gleich dem Produkt der Einzelwahrscheinlichkeiten.
Dies
ergibt: 1/6 * 1/6 = 1/36.
Das Hardy-Weinberg-Gesetz ist leicht definierbar, wenn man vom
Genpool ausgeht.
In diesem hat das Allel S die Häufigkeit p und s die Häufigkeit
q. In der nächsten Generation werden die Allele zufällig zu
Zweiergruppen kombiniert, wie es bei der Verschmelzung der Gameten ja
tatsächlich der Fall ist.
Wir erhalten die Kombinationen SS, Ss und ss mit der Häufigkeitsverteilung
p2 : 2pq : q2.
Dieses Ergebnis entspricht dem Hardy-Weinberg - Gesetz.
Mit Hilfe dieser Überlegung können wir nach das Gesetz über
den genetischen Aufbau einer Mendel - Population ableiten. Dazu können
wir sowohl von den Individuen der Population selbst ausgehen, als auch
vom Genpool. Im ersten Fall müssen wir uns zunächst fragen,
wie viel verschiedene mögliche Paarungen es gibt und wie häufig
jeder der einzelnen Paarungstypen zu erwarten ist. Da es sich um Zufallspaarung
handelt, ist die Wahrscheinlichkeit, dass gerade etwa zwei schwarze
Individuen zusammenkommen, gleich dem Produkt aus den Einzelhäufigkeiten.
Wenn P die relative Häufigkeit der schwarzen, H die der grauen
und Q die der weißen Individuen ist, dann erwarten wir also die
Kreuzung Schwarz x Schwarz mit der Häufigkeit P X P =P2
und Grau x Weiß mit der Häufigkeit H x Q + Q x H usw. Nachdem
wir so die Erwartungshäufigkeit für die verschiedenen Paarungen
ermittelt haben, müssen wir uns noch überlegen, welche Nachkommen
jeweils aus den Kreuzungen zu erwarten sind.
Unter Berücksichtigung der Mendelschen Regeln können wir
das leicht tun. Addieren wir nun die Erwartungshäufigkeiten der
drei möglichen Farbtypen schwarz, grau oder weiß unter den
Nachkommen, so erhalten wir die theoretische Verteilung.
Es ergibt sich, dass Schwarz, Grau und Weiß in der Nachkommenschaft
so verteilt sein wird wie
(P+ 0,5 H)2 : 2(P+0,5 H)(Q + 0,5 H)(Q + 0,5H)2
Viel leichter kommen wir zu einem Ergebnis, wenn wir vom Genpool ausgehen.
In diesem hat das Allel S die Häufigkeit p und s die Häufigkeit
q. In der nächsten Generation werden die Allele zufällig zu
Zweiergruppen kombiniert, wie es bei der Verschmelzung der Gameten ja
tatsächlich der Fall ist.
Wir erhalten die Kombinationen SS, Ss und ss mit der Häufigkeitsverteilung
p2 : 2pq : q2.
Die Häufigkeit von S und s sind damit konstant geblieben. Solange
jeder der drei in der Population koexistierenden Genotypen gleiche Überlebenschancen,
gleiche Paarungschancen und gleiche Fruchtbarkeit (bzw. gleiche Fitness)
besitzt und auch kein anderer populationsdynamischer Faktor wirksam
ist, wird sich auch im Laufe weiterer Generationen nichts an der genetischen
Zusammensetzung der Population ändern.
Die Hardy - Weinberg - Verteilung gibt uns also die stabile Gleichgewichtssituation
in einer Population an, in der keine selektiven noch andere Kräfte
wirksam sind. Wenn wir in Populationen eine Abweichung von dieser Verteilung
feststellen können, müssen wir daher annehmen, dass diese
durch eine unterschiedliche Überlebenswahrscheinlichkeit der verschiedenen
Genotypen zustande gekommen ist oder die Paarung nicht rein zufällig
erfolgt oder auch andere Kräfte wirksam sind.
Bei vielen populationsgenetischen Untersuchungen findet die theoretische
Verteilung nach Hardy - Weinberg Anwendung. Da uns dadurch ein besserer
Einblick über den Aufbau natürlicher Populationen gewährt
wird, wollen auch wir einige Betrachtungen anstellen.
Zunächst wollen wir untersuchen, ob die Bedingungen der theoretisch
sehr deutlich, dass bei intermediärem Erbgang die Population bei
derselben genetischen Zusammensetzung dem Betrachter sehr mannigfaltig
erscheint, während bei dominantem Erbgang eine einheitlich aufgebaute
Population vorliegt, in der nur einige wenige, aberrante Typen vorkommen.
Besonders dann, wenn von zwei oder mehreren Allelen das oder die rezessiven
seltener sind, wird ein beachtlicher Teil der genetischen Variabilität
im versteckten Zustand vorliegen und ohne genaue genetische Analyse
dem Betrachter entgehen.
Nun sind aber Dominanz - Rezessiv - Verhältnisse bei vielen Merkmalen
wesentlich häufiger als intermediäre Erbgänge, so dass
wir mit diesem Phänomen häufig zu rechnen haben werden. So
z.B. fanden Dubinin und Mitarbeiter in einer Wildpopulation der Taufliege
Drosophila melanogaster unter 10.000 Individuen 37 mit schmalen Augen,
41 mit rauen Augen, 16 mit dunklen Augen, 2 mit "sepia" - Augen u. s.
f. Greifen wir das seltenste heraus, nämlich "sepia". Dieses Merkmal
ist aus Kreuzungsversuchen gut bekannt. Es beruht auf einem rezessiven
Allel "se". Wir müssen also zunächst annehmen, dass se in
natürlichen Populationen überhaupt keine Rolle spielt, da
nur 2 unter 10000 Individuen das Merkmal "sepia" gezeigt haben. Da sie
rezessiv gegenüber seinem Normalallel ist; das wir mit + bezeichnen
wollen, müssen die beiden gefundenen Individuen homozygot se/se
gewesen sein. Wenn wir annehmen, dass sich die Wildpopulation im Zufallsgleichgewicht
befindet, kann mit Hilfe der Hardy - Weinberg - Verteilung die Häufigkeit
von se in der Population leicht berechnet werden.
Zunächst wissen wir, dass die Verteilung +/+ : +/se : se/se gleich
p2 :2pq: q2 sein muss.
Folglich ist in unserem Fall q2 =0,0002 und q = 0,0141. D. h., dass
die Frequenz von se in der Population 1,41% beträgt. Noch weit
unerwarteter ist die Heterozygotenhäufigkeit, die sich aus 2pq
ergibt.
Da p+q=1 ist, schreiben wir 2pq=2q(1 - q) und erhalten in unserem Fall:
Heterozygotenhäufigkeit = 2 * 0,0141 * 0,9859 = 0,0278. Etwa 3
% der Individuen der Population besitzen se also in heterozygotem Zustand.
Wenn wir anfänglich behauptet haben, dass 'se'im Genpool der natürlichen
Population keine Rolle spielt, da nur 2 unter 10000 Individuen das Merkmal
gezeigt haben, so müssen wir nun doch erkennen, dass se immerhin
ein Allel ist, das wir berücksichtigen müssen.
Die Erkenntnis, dass bei Rezessivität auch seltene Merkmale einer
Population im Genpool eine Rolle spielen können, hat für mehrere,
verschiedene Probleme Bedeutung. Es erscheint uns zunächst nun
die Feststellung, dass eine bestimmte Population keine auffällige
Variabilität hat in bezug auf morphologische, physiologische oder
andere Eigenschaften, die mit der Lebenstüchtigkeit zu tun haben,
als wenig beweisend. Erst wenn Methoden angewendet werden, die es erlauben,
auch die versteckte genetische Variabilität aufzudecken, können
wir eine befriedigende Beschreibung des Genpools erreichen. Bei der
Besprechung der genetischen Bürde, werden wir auf dieses Problem
zurückkommen.
Ein abschließendes Beispiel soll die Bedeutung der Hardy-Weinberg
Verteilung bei menschlichen rezessiven Erbleiden verdeutlichen.
Eine rezessive Erbkrankheit sei in der Bevölkerung mit einer Häufigkeit
von 1: 20.000 vertreten. Diese Krankheit kann als sehr selten bezeichnet
werden. Nach Hardy Weinberg gilt
q2
[aa] = 1/20000 = 0,00005
Daraus lässt sich q [Häufigkeit von a im Genpool] berechnen:
q [a] = 0,00707
Da weiters gilt: p=1-q ist p [Häufigkeit von A] = 0,99293
Daraus errechnet sich schließlich die Heterozygotenhäufigkeit:
2pq
[Aa] = 0,014 (1,4%)
Wir stellen fest: Wenn in einer Population eine Erbkrankheit zu
0,005% (jeder Zweihundertste) auftritt, dann sind etwa 1,4% (jeder Siebzigste) der Menschen Überträger
für eben diese Krankheit.
(Siehe dazu auch das Arbeitsblatt).