Unzählige Male und unabhängig voneinander haben sich
bei verschiedenen Tiergruppen aus einfachen Photorezeptoren komplizierte
und leistungsfähige Augen entwickelt. Allen ist gemeinsam, dass
sie einen Sehfarbstoff enthalten, der Lichtquanten absorbiert.
Das Auftreffen von Lichtquanten auf die Moleküle des Sehfarbstoffs
führt zu einer Erregung der Photorezeptoren. Meist liegt der Sehfarbstoff
ausgebreitet in den Membranen von Lamellen oder in Röhrchen.
Augentypen und Stufen des Sehens:
Einzelne Photorezeptoren:
Bei verschiedenen Tiergruppen sind Lichtsinneszellen verstreut in die
Haut oder in das Nervengewebe eingelagert. Sie messen die Lichtintensität
und ermöglichen somit ein Hell-Dunkel-Sehen. Beim Regenwurm finden
sich derartige Rezeptoren.
Pigmentbecherocellen
sind
einzelne Lichtsinneszellen von einem Pigmentbecher umgeben, der nach
einer Seite hin offen ist, kann die Richtung festgestellt werden, aus
der das Licht einfällt. Durch den Pigmentbecher wird jeder Rezeptor
zu einem "Spezialisten" für eine bestimmte Richtung.
Je mehr solcher Ocellen mit unterschiedlicher Öffnungsrichtung
vorhanden sind, desto genauer können Richtungen unterschieden werden.
Beispiele für ein derartiges Richtungssehen liefern Strudelwürmer
und das Lanzettfischchen.
Bild rechts: Pigmentbecherocellus eines Plattwurms.
Bild links: Schnitt durch das Pigmentbecherocellus eines Plattwurms.
(Mikroskopische Aufnahme)
Grubenauge:
Bei
diesem Augentyp bilden die Photorezeptoren ein Sinnesepithel, das eine
Grube auskleidet. Pigmentzellen können die Rezeptoren nach der
Seite vom Licht abschirmen. Mit dem Grubenauge ist ebenfalls Richtungssehen
möglich. Medusen und Schnecken zeigen diesen Augentyp.
Bild rechts: Schematische Darstellung des Grubenauges einer Napfschnecke.
Bild links: Das Blasenauge des Nautilus ist eine Weiterentwicklung des
Grubenauges. Die Linse fehlt noch.
Blasenauge:
Das
Blasenauge kann man als Weiterentwicklung des Grubenauges auffassen.
Die Grube ist zu einer Blase erweitert, die zur Körperoberfläche
hin nur noch eine enge Öffnung aufweist. Das Blasenauge funktioniert
wie eine Lochkamera und ermöglicht somit Bildsehen. Bei enger Öffnung
entsteht ein scharfes, aber lichtschwaches Bild. Bei weiter Öffnung
ist das Bild zwar lichtstark, aber unscharf. Blasenaugen gibt es bei
Hohltieren und Weichtieren.
Linsenauge:
Bei
diesem Augentyp sammelt die Linse das Licht, das durch eine weite Öffnung
einfallen kann. Beispiele für diesen Augentyp sind die Linsenaugen
der Wirbeltiere, aber auch mancher Wirbelloser.
Bild rechts: Schnitt durch das einfache Linsenauge einer Weinbergschnecke.
Bild links: Schematische Darstellung eines einfachen Linsenauges einer
Weinbergschnecke.
Das
Linsenauge der Wirbeltiere und des Menschen:
Das menschliche Auge ist von der schützenden harten Augenhaut umgeben.
Der Bereich, der dem Licht zugewandt und lichtdurchlässig ist,
wird als Hornhaut bezeichnet. Der Raum zwischen Hornhaut und Linse,
die vordere Augenkammer, ist vom Kammerwasser erfüllt. Hornhaut,
Kammerwasser und Linse sind an der Lichtbrechung im Auge beteiligt.
Bild rechts: Schnitt durch ein Wirbeltierauge.
Die Brechkraft von Hornhaut und Kammerwasser beträgt
beim Menschen zusammen 43 Dioptrien. Unter einer Dioptrie versteht
man den Kehrwert der Brennweite einer Linse. (1 m Brennweite = 1
Dioptrie, 0,5 m Brennweite = 2 Dioptrien, 0,25 m Brennweite = 4 Dioptrien
usw.)
Abbildung: Bau des menschlichen Linsenauges
Die Brechkraft der Linse lässt sich verändern. Sie
reicht in der Jugend von 16 Dioptrien bei Ferneinstellung bis 30 Dioptrien
bei Naheinstellung. Auf diese Weise wird eine scharfe Abbildung naher
und ferner Gegenstände auf dem Sinnesepithel der Netzhaut möglich.
Den Vorgang der Anpassung an unterschiedliche Entfernungen nennt man
Akkommodation: Bei Ferneinstellung wird die elastische Linse durch den
Zug ihrer Aufhängefasern, der Linsenbänder, abgeflacht. Ihre
Brechkraft ist dann gering. Der ringförmige Ciliarmuskel,
an dem die Fasern ansetzen, ist in diesem Zustand entspannt. Bei Naheinstellung
kontrahiert sich der Ciliarmuskel. Dadurch wird der Zug der Linsenbänder
vermindert. Die Linse kugelt sich durch ihre eigene Elastizität
ab, ihre Brechkraft nimmt zu. Das menschliche Auge akkommodiert also
aktiv auf die Nähe. Diese Fähigkeit geht im Alter teilweise
verloren: Das nennt man Altersweitsichtigkeit.
Bei Fischen und Amphibien wird zur Akkommodation die Entfernung
der starren Linse von der Netzhaut durch Muskeln verändert. Vögel
und Reptilien akkommodieren wie die Säugetiere durch Änderung
der Linsenkrümmung. Bei ihnen setzen jedoch die Muskeln unmittelbar
an der Linse an.
Neben der Helligkeit wird auch die Schärfe der Abbildung
im Wirbeltierauge durch die Iris verbessert. Muskelfasern, die an dieser
Blende ansetzen, verändern die Öffnungsweite und damit die
Größe der Pupille.
Abbildung: Aufbau der Netzhaut im Auge des Menschen.
Die Dicke beträgt etwa 400 µm.
Die Netzhaut:
In der Netzhaut, der Retina, liegen die Photorezeptoren in der am weitesten
vom Licht abgewandten Schicht, unmittelbar vor dem Pigmentepithel. Man
spricht daher auch von einer inversen Lage der Sehzellen. Zwei Rezeptortypen
finden sich in der Netzhaut: etwa 120 Millionen Stäbchen und
6 Millionen Zapfen. Sie geben ihre Erregung über Bipolarzellen
an die Ganglienzellen weiter. Die Axone der Ganglienzellen bilden den
Sehnerv. Wo er das Auge verlässt, ist die Netzhaut unterbrochen.
Dieser Bereich wird als blinder Fleck bezeichnet. Die inverse
Lage der Rezeptoren hinter Blutgefäßen, Nervenzellen und
Stützzellen mag wie ein Konstruktionsfehler erscheinen. Sie ist
aber, ebenso wie der blinde Fleck, eine Folge der Entwicklung des Auges.
Retina und Pigmentepithel entstehen beim Embryo als Ausstülpung
des Zwischenhirns. Neben den Photorezeptoren, Bipolarzellen und
Ganglienzellen enthält die Retina noch zwei weitere Zelltypen:
Die Horizontalzellen verbinden Rezeptoren und Bipolarzellen untereinander.
Die Amakrinen verbinden Ganglienzellen und Bipolarzellen jeweils untereinander.
Stäbchen und Zapfen sind die Photorezeptoren in der Netzhaut.
Das System der verschiedenen, miteinander verschalteten Nervenzellen
weist darauf hin, dass die Netzhaut letztlich ein Teil des Gehirns,
ein "vorgeschobener" Sinnes und Verrechnungsapparat ist.
Chemie des Stäbchensehens:
Elektronenoptische
Bilder zeigen, dass die lichtabgewandten Teile der Photorezeptoren von
Wirbeltieren zahlreiche Lamellen enthalten. Diese Lamellen entstehen
durch Einfaltungen der Zellmembran. Bei den Stäbchen lösen
sie sich vollständig von der Membran, so dass ein Stapel von etwa
1000 "freischwimmenden" Scheibchen entsteht. In ihre Membranen
sind die Moleküle der Sehfarbstoffe eingelagert. Der Sehfarbstoff
der Stäbchen, der Sehpurpur oder das Rhodopsin, ist im Dunkeln
rot. Durch Licht wird er gebleicht. Chemisch ist das Rhodopsin
ein Chromoproteid. Der Proteinanteil ist das Opsin, der Farbstoff
das Retinal. Durch Einwirkung eines Lichtquants verändert
das Retinal seine Struktur und löst sich vom Opsin. Dadurch
ändert sich die Durchlässigkeit der Rezeptormembran für
Ionen: Eine Erregung wird ausgelöst. Retinal und Opsin
werden enzymatisch wieder zu Rhodopsin verknüpft. Opsin kann
im Körper selbst synthetisiert werden. Retinal dagegen muss
in einer Vorstufe, dem Vitamin A1, mit der Nahrung aufgenommen werden.
Vitamin A1-Mangel führt zu Nachtblindheit.
Durch
mikroskopische Untersuchung lassen sich in der Netzhaut zwei Typen von
Rezeptoren feststellen, nämlich Stäbchen und Zapfen.
Andererseits lehrt die Erfahrung, dass wir bei hellem Licht farbig sehen,
im Dämmerlicht aber nur Helligkeitsunterschiede feststellen können
Zwei verschiedene Strukturen, zwei verschiedene Funktionen. Diese Beobachtung
hat schon vor über hundert Jahren zur Aufstellung der Duplizitätstheorie
geführt. Danach wird das Farbensehen der einen Sorte von Rezeptoren,
die Wahrnehmung von Helligkeitsunterschieden der anderen zugesprochen.
Welcher Rezeptortyp ist aber für welche Funktion zuständig?
- Bei Fischen sind die Sinneszellen der Retina beweglich. In hellem
Licht liegen die Zapfen vor den Pigmentzellen zum Licht hin, und die
Stäbchen sind im Pigment verborgen. Bei Dämmerlicht verhält
es sich umgekehrt.
- Wenn wir tagsüber ein Objekt genau betrachten wollen, drehen
wir Kopf und Augen so, dass das Bild auf den gelben Fleck der Netzhaut
fällt. Im Bereich des gelben Flecks stehen ausschließlich
Zapfen. Im Bereich außerhalb des gelben Flecks stehen Stäbchen
zwischen den Zapfen, an der Peripherie der Netzhaut sind es ausschließlich
Stäbchen.
Schaut man nachts an einem Stern absichtlich vorbei, sieht man ihn.
Sobald man ihn aber fixiert, verschwindet er. Jetzt fällt sein
Bild auf den gelben Fleck. Die Stäbchen sind also empfindlicher
als die Zapfen.
Die Zapfen sind die Elemente des Tagsehens und des Farbensehens.
Die Stäbchen sind die Elemente des Dämmerungssehens und des
Hell-Dunkel-Sehens.
Das Facettenauge:
Bei den Insekten und den Krebsen hat sich ein ganz anderer Augentyp
entwickelt, das Facetten- oder Komplexauge. Der Begriff Facettenauge
bezieht sich auf die meist sechseckigen Oberflächen der Einzelaugen.
Aufbau des Facettenauges und Mosaiksehen:
Hunderte bis Tausende von Einzelaugen oder Ommatidien bilden zusammen
das Komplexauge. Jedes dieser Ommatidien besitzt in der Regel acht Rezeptoren,
die um die Ommatidienlängsachse herum angeordnet sind. Der Längsachse
zugekehrt haben die Rezeptoren einen Saum aus winzigen Röhrchen,
der Rhabdomer heißt. In den Röhrchen befindet sich
der Sehfarbstoff. Die Rhabdomere eines Ommatidiums sind häufig,
beispielsweise im Bienenauge, zu einem zentralen Rhabdom verschmolzen.
Als lichtbrechende Struktur besitzt das Ommatidium einen Kristallkegel.
Auch die Cornea aus Chitin ist an der Lichtbrechung beteiligt. Ihrer
Funktion nach entsprechen Kristallkegel und Cornea der Linse im Wirbeltierauge:
Sie brechen das einfallende Licht zum Rhabdom hin. Schräg einfallendes
Licht erreicht das Rhabdom normalerweise nicht. Es wird von den Pigmentzellen,
die jedes Einzelauge umgeben, absorbiert. Jedes Einzelelement des Komplexauges
ist innerhalb des gesamten Gesichtsfeldes für einen kleinen Teilbereich
zuständig.
Abb.: Bildentstehung im Linsen- und Facettenauge
Anders als beim Linsenauge, wo ein umgekehrtes Bild auf der Netzhaut
entsteht und dort von vielen Sinneszellen abgenommen wird, erfolgt beim
Facettenauge die "Aufrasterung" bereits beim Eintritt des
Lichts ins Auge. Das bezeichnet man als Mosaiksehen.