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Die Anfänge der Naturwissenschaften
Gegenstand der Biologie ist die Erforschung lebender Organismen. Die
vorwissenschaftliche Biologie nahm ihren Anfang, als der menschliche Geist
ein Entwicklungsstadium erreicht hatte, in dem er sich als verschieden
von der ihn umgebenden Natur begreifen konnte.
Ungezählte Jahrhunderte hindurch konnte man aber die Biologie nicht
als Wissenschaft ansprechen. Zunächst mussten die Menschen sich und
andere von ihren verschiedenen Leiden befreien und versuchen, Schmerzen
zu lindern, die Gesundheit wiederherzustellen und den Tod abzuwenden.
Zuerst bedienten sie sich dazu magischer oder religiöser Riten. Der
betreffende Gott oder Dämon sollte gezwungen oder durch Schmeicheleien
dazu gebracht werden, den Lauf der Ereignisse zu ändern.
Und doch erfuhren Menschen dann ganz zwangsläufig etwas von den
Lebensfunktionen des tierischen Organismus, wenn ein Tier vom Fleischer
für die Nahrung oder vom Priester für ein Opfer zerlegt wurde.
Aber die Aufmerksamkeit, die der genauen Beschaffenheit der Organe gewidmet
wurde, galt nicht dem Studium ihrer Funktionen, man wollte vielmehr Weissagungen
für die Zukunft erhalten. Die ersten Anatomen waren daher auch heilige
Männer, die das Schicksal von Königen und Völkern aus der
Gestalt und dem Aussehen der Leber des Widders vorhersagten.
Zweifellos gewann man sogar unter dem überwältigenden Einfluss
des Aberglaubens im Laufe der Zeit viel brauchbares Wissen. Praktische
Kenntnisse der menschlichen Anatomie mussten auch die Menschen besessen
haben, die Mumien im alten Ägypten so geschickt einbalsamierten.
Der in der babylonischen Geschichte auf das Jahr 1920 v. Chr. zurückgehende
Kode von Hammurabi enthielt bis ins einzelne gehende Richtlinien für
den medizinischen Berufsstand, und in jenen Tagen hat es Ärzte gegeben,
deren Kenntnisse auf der generationenlangen Sammlung praktischer Erfahrung
beruhten, die zugleich nützlich und hilfreich gewesen sein mussten.
Solange jedoch die Menschen daran glaubten, dass das Universum vollständig
von launenhaften Dämonen beherrscht und das Natürliche dem übernatürlichen
untergeordnet sei, konnte wissenschaftlicher Fortschritt nur sehr schleppend
vorankommen. Es war nur natürlich, dass sich die besten Geister nicht
dem Studium der sichtbaren Welt widmeten, sondern durch Inspiration oder
Offenbarung ein Verständnis des Unsichtbaren und Kontrolle über
das Jenseits zu erreichen suchten.
Sicher werden einzelne Menschen dann und wann diese Einstellung verworfen
und sich auf das Studium der Sinnenwelt konzentriert haben. Diese waren
jedoch durch eine feindliche Kultur verloren und unterdrückt, so
dass ihre Namen der Nachwelt nicht überliefert sind und ihr Wissen
ohne Einfluss blieb.
Erst durch die alten Griechen trat hier eine Änderung ein. Es war
ein ruheloses Volk: wissbegierig, redefreudig, intelligent, streitsüchtig
und zuweilen auch respektlos. Die überwiegende Mehrheit der alten
Griechen lebte wie alle anderen Völker dieser Zeit und früherer
Jahrhunderte inmitten einer unsichtbaren Welt von Göttern und Halbgöttern.
Obgleich ihre Götter weit anziehender waren als die heidnischen Gottheiten
anderer Nationen, waren sie dennoch nicht weniger kindisch in ihren Motivierungen
und Reaktionen. Krankheit brachten die Pfeile des Apollo. Dieser konnte
durch eine Nichtigkeit in blinde Raserei ausbrechen und durch Opfer und
entsprechende Schmeicheleien ausgesöhnt werden.
Es gab aber auch Griechen, die diese Ansichten nicht teilten. Um das
Jahr 640 v. Chr. trat in Ionien (heutige
Türkei) eine Reihe von Philosophen mit einer neu gegründeten
Bewegung hervor, die das alles ändern sollte. Wie uns überliefert
ist, war Thales (640[?] - 546 v. Chr.) der erste von ihnen.
Die ionischen Philosophen schenkten dem Übernatürlichen
keine Beachtung und nahmen statt dessen an, dass sich die Geschehnisse
des Universums nach einem festen, unveränderlichen Plan vollzögen.
Sie legten ihren Betrachtungen das Kausalitätsprinzip zugrunde: Jedes
Ereignis hat eine Ursache, und eine bestimmte Ursache hat unausweichlich
eine bestimmte Wirkung, die nicht durch einen launenhaften Willen geändert
werden kann.
Eine weitere Annahme war die, dass der menschliche Geist das Naturgesetz,
welches das Universum beherrschte, erfassen und aus Grundprinzipien oder
aus Beobachtungen deduzieren könne.
Dieser Standpunkt verlieh der Erforschung des Universums Würde.
Man behauptete, dass der Mensch das Universum verstehen könne, und
gab die Versicherung, dass das einmal gewonnene Verständnis für
alle Zeiten von Dauer sein würde. Wenn z. B. die Bewegungsgesetze
der Sonne bekannt wären, brauche man nicht die plötzliche Nutzlosigkeit
dieses Wissens zu befürchten, nur weil irgendein Phaeton die Zügel
des Sonnenwagens ergriffe und diesen auf willkürlichem Kurs über
den Himmel steuere.
Nur wenig ist von diesen frühen ionischen Philosophen bekannt; ihre
Arbeiten sind alle verlorengegangen. Aber ihre Namen und das Wesentliche
ihrer Lehren leben weiter fort. Auch ist die mit ihnen beginnende Philosophie
des "Rationalismus"(Überzeugung, das Universum durch Vernunft
und nicht durch Offenbarung verstehen zu können) niemals ausgestorben.
Sie hatte eine stürmische Jugend. Ihr Licht wurde aber nach dem Zerfall
des Römischen Reiches nahezu ausgetreten, wenn es auch nie ganz verlosch.
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IONIEN
Nachdem das Studium des inneren Mechanismus des Tierkörpers als
Selbstzweck und nicht mehr zur Übermittlung göttlicher Botschaften
betrieben wurde, kehrte eine wissenschaftliche Betrachtungsweise in die
Biologie ein. Die Überlieferung berichtet uns, dass Alkmäon
(6. Jahrhundert v. Chr.) der erste Mensch war, der Tierkörper sezierte,
nur um ihre inneren Organe zu beschreiben. Ungefähr um das Jahr 500
v. Chr. beschrieb Alkmäon die Nerven des Auges und untersuchte die
Struktur des im Ei sich entwickelnden Huhns. Er kann somit als der erste
Student der Anatomie (Untersuchung der Struktur lebender Organismen) und
der Embryologie (Untersuchung der Organismen vor der Geburt) betrachtet
werden. Alkmäon beschrieb sogar die schmale Röhre, die das
Mittelohr mit der Kehle verbindet. Das wurde von späteren Anatomen
aus dem Auge verloren und erst zweitausend Jahre später wiederentdeckt.
Hippokrates (400[?] - 377[?] v.Chr.) ist jedoch der bedeutendste
Name, den man mit den wissenschaftlichen Anfängen der Biologie in
Verbindung bringen kann
Über den Mann selbst weiß man buchstäblich nichts, außer
dass er auf der Insel Kos, welche der ionischen Küste vorgelagert
ist, geboren wurde. Auf jener Insel befand sich ein Tempel, der dem griechischen
Gott der Medizin, Asklepius, geweiht war. Man kann diesen Tempel als Äquivalent
zu den medizinischen Fakultäten unserer Universitäten auffassen.
Dort als Priester angenommen zu werden, dürfte einem heutigen medizinischen
Abschlussexamen entsprochen haben.
Hippokrates erwies der Medizin dadurch einen großen Dienst,
dass er die Stellung des Gottes Asklepius auf eine bloße Ehrenfunktion
reduzierte. Nach seiner Auffassung konnte kein Gott die medizinische Wissenschaft
beeinflussen, und ein Körper war dann gesund, wenn alle Teile gut
und harmonisch arbeiteten während in einem kranken Körper das
nicht der Fall war.
Die Aufgabe des Arztes bestand in der sorgfältigen Beobachtung,
um dadurch die Störung des Organismus zu finden und diese dann durch
geeignete Maßnahmen zu beheben. Die zu verschreibende Therapie bestand
weder aus Gebet noch aus Opfer, auch nicht daraus, Dämonen auszutreiben
oder Götter zu besänftigen, Sie bestand vielmehr in der 'Hauptsache
darin, ruhig und sauber zu halten, ihm frische Luft zu verschaffen und
einfache, bekömmliche Kost zu reichen. Jede Art von Ausschweifung
musste den Arbeitsmechanismus des Körpers in der einen oder anderen
Weise stören. In allen Dingen war daher das rechte Maß zu halten.
Kurz gesagt beschränkte sich die Rolle des Arztes nach Hippokratischer
Auffassung darauf, durch die natürlichen Gesetze selbst den Heilprozess
herbeiführen zu lassen. Der Körper besitzt selbstheilende Kräfte,
denen jede Möglichkeit zur Entfaltung gegeben werden muss. Im Hinblick
auf die begrenzten Kenntnisse der damaligen Medizin war das ein hervorragender
Standpunkt.
Hippokrates begründete eine medizinische Tradition, die noch jahrhundertlang
fortbestand. Die Ärzte dieser Tradition veröffentlichten ihre
Schriften unter seinem ehrenvollen Namen, so dass man nicht sagen kann,
welche der Bücher von ihm selbst stammen. Zum Beispiel wurde der
Hippokratische Eid, der noch heute von den Studenten der Medizin beim
Empfang der Examensurkunde gesprochen wird, ganz gewiss nicht von ihm
geschrieben, sondern wahrscheinlich erst sechs Jahrhunderte nach seiner
Zeit verfasst. Andererseits handelt eine der ältesten Hippokratischen
Schriften, die sehr gut von Hippokrates selbst stammen könnte, von
der Epilepsie. In diesem Falle wäre sie ein ganz ausgezeichnetes
Beispiel dafür, wie wissenschaftliches Denken Eingang in die Biologie
gefunden hat.
Die Epilepsie ist eine Störung der Gehirnfunktion (auch heute noch
nicht vollständig erforscht), bei welcher die normale Kontrolle des
Gehirns über den Körper versagt. Bei weniger heftigern Auftreten
werden Sinneseindrücke vom Kranken falsch gedeutet, und er leidet
dann an Halluzinationen. In schwereren Fällen können die Muskeln
nicht mehr kontrolliert werden, der Epileptiker fällt zu Boden, schreit,
zuckt krampfartig und verletzt sich manchmal erheblich.
Der epileptische Anfall dauert nicht lange, aber es ist ein schrecklicher
Anblick für die Anwesenden. Wenn man den verwickelten Bau des Nervensystems
nicht kennt, läuft man leicht Gefahr zu glauben, dass eine Person,
die sich nicht nach eigenem Willen bewegt und sich dabei noch selbst verletzt,
von einer übernatürlichen Kraft gesteuert wird. Der Epileptiker
ist "besessen", und die Krankheit ist die "heilige Krankheit", da übernatürliche
Kräfte im Spiele sind.
In dem Buch "Über die heilige Krankheit", welches um das Jahr
400 v. Chr. möglicherweise von Hippokrates selbst geschrieben wurde,
wird dieser Standpunkt scharf bekämpft. Hippokratesbehauptete, es
sei ganz allgemein nutzlos, Krankheiten eine göttliche Ursache zuzuschreiben,
und es gebe keinen Grund, weshalb die Epilepsie davon eine Ausnahme machen
sollte.
Die Epilepsie habe eine natürliche Ursache und müsse vernünftig
behandelt werden. Wenn die Ursache unbekannt und die Behandlung ungewiss
sei, ändere das nichts am Prinzip.
Für die moderne Naturwissenschaft ist keine bessere Grundauffassung
denkbar, und wenn man unbedingt einen Zeitpunkt, einen Mann und ein Buch
sucht, durch die der Beginn wissenschaftlicher Biologie festgelegt werden
kann, so ist es kein Fehler, auf das Datum 400 v.Chr. den Mann Hippokrates
und das Buch "Über die heilige Krankheit" hinzuweisen.
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ATHEN
Die griechische Biologie und die Naturwissenschaft ganz allgemein erreichten
eine Art Höhepunkt mit Aristoteles (384 - 322 v. Chr.). Er kam aus
Nordgriechenland und war der Lehrer des jungen Alexander, der später
einmal "der Große" genannt werden sollte. Aristoteles hatte seine
große Zeit in seinen mittleren Jahren, als er das berühmte
Lyzeum in Athen gründete, an dem er auch lehrte. Er war der vielseitigste
und gründlichste aller griechischen Philosophen, der über fast
alle Gegenstände schrieb, voll der Physik bis zur Literatur, von
der Politik bis zur Biologie. In späteren Zeiten erreichten seine
physikalischen Schriften, die sich hauptsächlich mit der Struktur
und Funktionsweise des unbelebten Universums befassten, große Berühmtheit.
Doch waren gerade diese Arbeiten, wie sich später herausstellte,
völlig falsch.
Andererseits war die Biologie und besonders das Studium der Meerestiere
seine erste und liebste intellektuelle Beschäftigung. Zudem erwiesen
sich die biologischen Bücher als die besten seiner wissenschaftlichen
Arbeiten, obgleich sie in späteren Zeiten am wenigsten beachtet wurden.
Aristoteles beschrieb sorgfältig und genau Erscheinung und Eigenart
von Tieren (naturgeschichtliche Betrachtungen). Seine Liste umfasste ungefähr
fünfhundert Arten oder "Spezies" von Tieren, unter denen er differenzierte.
Das Aufstellen der Liste an sich würde noch keine besondere Leistung
gewesen sein, aber Aristoteles ging weiter. Er erkannte, dass verschiedene
Tiere in Kategorien eingeteilt werden konnten und dass diese Gruppierung
nicht unbedingt einfach und leicht durchzuführen war. Zum Beispiel
ist es leicht, die Landtiere in Vierflügler, in fliegende und gefiederte
Tiere (Vögel) und einen verbleibenden Rest (Schädlinge) einzuteilen.
Meerestiere können alle unter der Überschrift "Fische" aufgeführt
werden. Wenn man nach dieser Methode vorgehen will, ist es jedoch nicht
immer einfach zu entscheiden, zu welcher Kategorie ein bestimmtes Tier
gerechnet werden muss. Zum Beispiel ergab sich sehr deutlich aus Aristoteles'
sorgfältiger Beobachtung des Delphins, dass dieses Tier in vielfacher
und wichtiger Hinsicht einem Fisch in keiner Weise ähnelte, obgleich
eine oberflächliche Betrachtung seines Aussehens und seiner Gewohnheiten
seine Zugehörigkeit zur Kategorie "Fisch" nahe legte. Der Delphin
hatte Lungen und atmete Luft; er würde, ganz im Gegensatz zu Fischen,
ertrinken, falls er unter der Wasseroberfläche festgehalten würde.
Er war ein Warmblütler und kein Kaltblütler wie gewöhnliche
Fische. Außerdem, und das war das
Wichtigste, brachte er lebende Junge zur Welt, die vor der Geburt durch
den Mutterkuchen ernährt wurden. in allen diesen Dingen war der Delphin
den behaarten warmblütigen Tieren des Landes sehr ähnlich. Aristoteles
hielt es dieser Ähnlichkeit
wegen für notwendig, die Gruppe der Wale (Wale, Delphine) mit den
Landtieren und nicht mit den Fischen in eine Klasse zu werfen. Darin war
er seiner Zeit um zweitausend Jahre voraus, denn die Wale wurden im Altertum
und im Mittelalter zu den Fischen gerechnet. Auch seine Einteilung der
Schuppenfische in solche mit einem Knochenskelett und solche (wie die
Haifische) mit einem Knorpelskelett entspricht wiederum ganz der modernen
Auffassung. Bei der Klassifikation der Tiere und seinem Vergleich dieser
mit dem Rest des Universums konnte ' Aristoteles' ordnender Geist nicht
widerstehen, die Dinge immer komplexer einzuordnen. Er sah, wie die Natur
stufenweise in Richtung auf den Menschen fortschritt, der (und das zu
glauben ist für den Menschen ganz natürlich) an der der Spitze
der Schöpfung stand.
Somit könnte man das Universum in vier Reiche in aufsteigender Folge
einteilen:
In das unbelebte Reich des Festlandes, des Wassers und der Luft,
in das Pflanzenreich,
in das Tierreich und
am höchsten stehend das Reich der Menschen.
Das unbelebte Reich existiert nur, das Pflanzenreich existiert nicht
nur, sondern vermehrt sich auch, die Tiere bewegen sich außerdem;
und der Mensch besitzt darüber hinaus noch die Fähigkeit zu
denken.
Jedes der Reiche lässt sich aber noch unterteilen. Die Pflanzen
kann man in einfacher und höher organisierte gruppieren. Bei den
Tieren ist das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein von rotem Blut ein
Unterscheidungsmerkmal. Die Tiere ohne rotes Blut schließen folgende
Arten in der Reihenfolge komplizierterer Organisationen ein: Schwämme,
Weichtiere, Insekten, Krustentiere und Tintenfische (nach Aristoteles).
Die Tiere mit rotem Blut stehen höher in seinem Schema und umfassen
Fische, Reptilien, Vögel und vierbeinige Landtiere.
Aristoteles erkannte, dass es auf dieser "Leiter des Lebens" keine scharfen
Grenzen gab und dass man außerstande war, die einzelnen Arten genau
zu klassifizieren. Primitive Pflanzen schienen kaum eine Eigenschaft des
Lebens zu besitzen, einfache Tiere (z. B. Schwämme) waren pflanzenähnlich
und so weiter.
Die Überzeugung aber, dass sich eine Form des Lebens in eine
andere verwandeln, dass eine Kreatur, die auf einer höheren Sprosse
steht, von einer, die sich weiter unten befindet, abstammen könnte,
zeigte sich bei Aristoteles an keiner Stelle seiner Arbeiten.
Aber gerade diese Auffassung ist der Schlüssel moderner Evolutionstheorien.
Aristoteles war jedoch kein Anhänger des Evolutionsgedankens. Die
Aufstellung der Lebensleiter brachte aber unvermeidlich Gedankengänge
hervor, die schließlich zwangsläufig zum Evolutionsbegriff
führten.
Aristoteles ist zwar der Begründer der Zoologie (Erforschung des
Tierreichs), doch geht aus seinen erhaltengebliebenen Schriften hervor,
dass er das Pflanzenreich ziemlich vernachlässigt hat. Nach seinem
Tode übernahm sein Schüler Theophrastus (ungefähr 380 -
287 v. Chr.) die Leitung der aristotelischen Schule und machte das Versäumnis
seines Meisters wett. Theophrastus begründete die Botanik, (die Lehre
von den Pflanzen) und beschrieb etwa 5oo Pflanzenarten in seinen Schriften.
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ALEXANDRIA
Nach der Eroberung des Persischen Reiches durch Alexander den Großen
breitete sich die griechische Kultur schnell unter den Völkern des
Mittelmeergebietes aus. Ägypten fiel unter die Herrschaft der PtoIemäer
(Nachfahren eines der Generale Alexanders), und Griechen strömten
in die neu gegründete Hauptstadt Alexandria. Dort errichteten und
unterhielten die ersten Ptolemäer das Museum, welches von den Bildungsstätten
des Altertums wohl am ehesten einer heutigen Universität entsprach.
Die alexandrinischen Gelehrten sind berühmt wegen ihrer Forschungen
auf den Gebieten Mathematik, Astronomie, Geographie und Physik. Weniger
bedeutend ist die alexandrinische Biologie, doch können wenigstens
zwei hervorragende Namen genannt werden. Das sind Herophilus und sein
Schüler Erasistratus (auf der Höhe ihres Schaffens 300 v. Chr.
resp. 250 v. Chr.).
Unter dem Christentum beschuldigte man sie der öffentlichen Sezierung
menschlicher Körper zum Zwecke des Lehrens. Aber wahrscheinlich haben
sie das bedauerlicherweise nicht getan. Herophilus war der erste, der
dem Gehirn ausreichende Beachtung schenkte. Er betrachtete es als Sitz
der Intelligenz. AIkamäon und Hippokrates hatten das im Gegensatz
zu Aristoteles auch angenommen. Letzterer vertrat die Ansicht, dass
das Gehirn nur die Funktion hätte, das Blut zu kühlen. Herophilus
konnte zwischen sensorischen Nerven (sie empfangen Sinnesempfindungen)
und motorischen Nerven (sie leiten Bewegungsreize vom Gehirn und Rückenmark
zum Muskel hin) und auch zwischen Arterien und Venen unterscheiden. Dabei
bemerkte er den Pulsschlag der Arterien und stellte fest, dass die Venen
nicht diese Eigenschaft hatten. Er beschrieb die Leber, die Milz die Netzhaut
des Auges und den vorderen Teil des Dünndarms (welchen wir heute
Zwöllfingerdarm nennen). Ferner wurden die Eierstöcke und verwandte
Organe des weiblichen und die Vorsteherdrüse des männlichen
Körpers beschrieben. Erasistratus leistete Beiträge zur Untersuchung
des Gehirns und wies auf die Einteilung dieses Organs in das größere
"Großhirn" und das kleinere "Kleinhirn" hin. Insbesondere bemerkte
er die Windungen des Gehirns und beobachtete, dass diese beim Menschen
ausgeprägter als bei Tieren auftreten. Aus diesem Grunde brachte
er die Gehirnwindungen mit der Intelligenz in Zusammenhang.
Nach einem solch vielversprechenden Anfang muss der Niedergang der alexandrinischen
Schule der Biologie sehr bedauert werden. Aber der Verfall war unabwendbar.
Tatsächlich ging die gesamte griechische Naturwissenschaft ungefähr
ab 200 v. Chr. ihrem Ende entgegen. Vier Jahrhunderte hindurch hatte sie
in hoher Blüte gestanden. Energie und Wohlstand waren aber durch
die ständigen Kriege der Griechen untereinander leichtsinnig vertan
worden. Sie fielen zuerst unter mazedonische und später römische
Herrschaft. Immer mehr wendete sich ihre Gelehrsamkeit dem Studium der
Rhetorik, Ethik und Moralphilosophie zu. Dagegen zeigten sie wenig Interesse
für Naturphilosophie, für das wissenschaftliche Studium der
Natur, welches mit den Ioniern begonnen hatte.
Die Biologie litt besonders schwer unter diesen Verhältnissen. Das
Leben wurde im Gegensatz zur unbelebten Natur als heilig betrachtet und
war daher ein weniger geeigneter Gegenstand für die wissenschaftliche
Forschung. Das Sezieren des menschlichen Körpers erschien vielen
als Frevel. Daher unterließ man es entweder ganz oder unterband
es, zunächst unter dem Druck der öffentlichen Meinung, dann
durch Gesetz. In einigen Fällen waren die Einwände gegen eine
Sektion des menschlichen Körpers religiöser Natur. Die Unversehrtheit
des Körpers war für den Genus des Lebens nach dem Tode erforderlich.
Anderen, z. B. den Juden und später den Christen, war die Sektion
eine Gotteslästerung, da der menschliche Körper als Ebenbild
Gottes geschaffen worden und daher heilig war.
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ROM
Aus den aufgeführten Gründen stellten die Jahrhunderte der
römischen Herrschaft über das Mittelmeergebiet eine Zwangspause
für den biologischen Fortschritt dar. Die Gelehrten schienen damit
zufrieden, die Entdeckungen der Vergangenheit zu sammeln und zu erhalten
und sie für eine römische Zuhörerschaft zu popularisieren.
So sammelte zum Beispiel Aulus Cornelius Celsus (seine große
Zeit lag um 30 nach Chr.) griechisches Wissen für eine Art naturwissenschaftliche
Übersichtsvorlesung. Sein Abschnitt über Medizin blieb der Nachwelt
erhalten und wurde von den Europäern zu Beginn der Neuzeit gelesen,
wodurch er als Arzt zu größerer Berühmtheit kam als er
es in Wahrheit verdient hätte.
Die Erweiterung der geographischen Grenzen, die sich aus den Eroberungen
der Römer ergab, ermöglichte es den Gelehrten, Pflanzen und
Tiere aus Gegenden zu sammeln, die den Griechen noch unbekannt gewesen
waren. Der in der römischen Armee dienende griechische Arzt Dioscorides
(in der Blüte seines Schaffens 6o n. Chr.) überflügelte
Theophrastus, indem er sechshundert Pflanzenarten beschrieb. Er schenkte
ihren medizinischen Qualitäten besondere Beachtung und kann daher
als Begründer der Pharmakologie (Wissenschaft von den Drogen und
Arzneien betrachtet werden.
Sogar in der Naturgeschichte fasste der Enzyklopädismus Fuß.
Der auf diesem Gebiet am besten bekannte römische Name ist Gaius
Plinius Secundus (23 - 79 n. Chr.), der gewöhnlich als Plinius bekannt
ist. Er schrieb eine siebenunddreißigbändige Enzyklopädie,
in der er all das zusammenfasste, was er über Naturgeschichte bei
den alten Autoren finden konnte. Seine Informationen stammten fast alle
aus zweiter Hand, aus den Büchern anderer. Nicht immer unterschied
er zwischen dem Einleuchtenden und dem gänzlich Undenkbaren, so dass
sein Material, obgleich es in beträchtlichem Maße Tatsachen
enthält (meistens von Aristoteles), dem Aberglauben und der Entstehung
fantastischer Erzählungen (aus allen möglichen anderen Quellen)
reichlich Vorschub leistete.
Plinius verkörpert die Abwendung seines Zeitalters vom Rationalismus.
Bei der Behandlung der verschiedenen Pflanzen- und Tierarten versuchte
er in sehr starkem Maße deren Funktion für den Menschen herauszustellen.
Nach seiner Meinung existierte nichts zum Selbstzweck, sondern als
Nahrung für Menschen, als Quelle für Arzneimittel, zur Stärkung
der Muskeln und des Charakters oder schließlich als eine moralische
Belehrung. Das war ein den frühen Christen sehr sympathischer Gesichtspunkt,
der zusammen mit dem wirklichen Interesse, welches seinen Phantasiegebilden
entgegengebracht wurde, zum Teil die Tatsache erklärt, dass Plinius'
Werke bis in die Neuzeit erhalten geblieben sind.
Der in Kleinasien geborene und in Rom tätig gewesene griechische
Arzt Galen (ca. 130-200 n. Chr.) war der letzte wirkliche Biologe des
Altertums.
Er hatte in seinen jüngeren Jahren als Chirurg in der Arena der
Gladiatoren praktiziert und zweifellos Gelegenheit gehabt, auf grobe Art
menschliche Anatomie zu beobachten. Obgleich man in der damaligen Zeit
nichts gegen die grausamen und blutigen Gladiatorenspiele für das
pervertierte Amüsement des Volkes einzuwenden hatte, runzelte man
nach wie vor die Stirn, wenn tote Körper aus wissenschaftlichen Gründen
seziert wurden. Galens anatomische Studien mussten sich hauptsächlich
auf Sektionen von Hunden, Schafen und anderen Tieren beschränken.
Wenn er die Gelegenheit hatte, sezierte er Affen, denn er hatte erkannt,
dass hier eine Ähnlichkeit mit dem Menschen vorlag.
Galen schrieb sehr viel und stellte bis ins einzelne gehende Theorien
über die Funktionen der verschiedenen Organe des menschlichen Körpers
auf. Die meisten seiner Theorien waren aber den heute anerkannten nicht
ähnlich. Das hat seinen Grund sowohl in dem Mangel an Gelegenheit,
den menschlichen Körper selbst zu studieren, als auch im Fehlen moderner
Instrumente. Er war kein Christ, doch er glaubte fest an die Existenz
eines einzigen Gottes und, wie auch Plinius, daran, dass alles zu einem
bestimmten Zweck geschaffen war. So fand er überall im Körper
Zeichen göttlichen Wirkens. Das alles passte gut zu der sich immer
weiter verbreitenden christlichen Auffassung und erklärt Galens Popularität
in späteren Jahrhunderten.
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