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Swammerdam, Malpighi, Leeuwenhoek, Hooke (17. Jh.)
Der wunde Punkt in der Harveyschen Theorie des Blutkreislaufs war der
fehlende Nachweis, dass Arterien und Venen wirklich verbunden sind. Harvey
konnte nur annehmen, dass die Verbindung existiert, aber wegen ihrer Winzigkeit
vom Auge nicht wahrgenommen werden konnte. Auch zum Zeitpunkt seines Todes
war die Frage noch unentschieden, und es wäre wohl für alle
Zeiten so geblieben, wenn die Menschheit sich auf ihre unbewaffneten Augen
hätte verlassen müssen.
Die alten Griechen hatten bereits erkannt, dass gekrümmte Spiegel
und mit Wasser gefüllte hohle Glaskugeln Vergrößerungseffekte
bewirken. In den ersten Jahrzehnten des siebzehnten Jahrhunderts fing
man an, mit Linsen zu experimentieren, um die Vergrößerung
soweit wie möglich zu erhöhen. Inspiriert wurde man dazu durch
den großen Erfolg des Fernrohrs, das Galileo Galilei zuerst 1609
in der Astronomie angewandt hatte.
Allmählich kamen Vergrößerungsinstrumente oder Mikroskope
(nach dem Griechischen: "das Kleine betrachten") in Gebrauch. Zum ersten
Mal wurde die biologische Wissenschaft durch ein Instrument auf eine breite
Basis gestellt und beträchtlich an Umfang vermehrt. Dieses Instrument
gestattete dem menschlichen Auge, die ihm gesetzten Grenzen zu überwinden.
Es ermöglichte den Naturforschern, kleine Lebewesen mit einer sonst
unmöglichen Genauigkeit zu beschreiben, und den Anatomen, Strukturen
zu finden, die mit dem bloßen Auge nicht sichtbar waren.
Der holländische Naturforscher lan Swammerdam (1637 - 80) verwandte
seine Zeit auf die mikroskopische Beobachtung von Insekten und fertigte
von jeder winzigen Einzelheit ihrer Anatomie wundervolle Zeichnungen
an. Er entdeckte auch, dass das Blut nicht einheitlich rot gefärbt
war, wie es dem Auge erschien, sondern dass es unzählige winzige
Körper enthielt, die ihm ihre Farbe gaben. (Wir kennen heute diese
Körper als rote Blutkörperchen.)
Der englische Botaniker Nehemiah Grew (1641 - 1712) untersuchte Pflanzen
unter dem Mikroskop, insbesondere ihre Fortpflanzungsorgane. Er beschrieb
die ihnen zugehörigen und von ihnen erzeugten Pollenkörner.
Ein holländischer Anatom, Regnier de Graaf (1641 - 73) stellte
ähnliche Untersuchungen bei Tieren an. Er studierte die Feinstruktur
der Hoden und Eierstöcke. Insbesondere beschrieb er gewisse kleine
Strukturen des Eierstocks, die noch heute "Graafsche Follikel" genannt
werden.
Dramatischer als alle diese Entdeckungen war die des italienischen
Physiologen Marcello Malpighi (1628 - 94). Auch er untersuchte Pflanzen
und Insekten. Aber schon früh widmete er sich unter anderem der Erforschung
der Lunge des Frosches. Hier fand er ein Gewirr von Blutgefäßen,
die zu klein waren, um einzeln sichtbar zu sein und die in allen möglichen
Richtungen untereinander verbunden waren. Als er diese kleinen Blutgefäße
weiter zurück bis zur Einmündung in größere verfolgte,
fand er heraus, dass es sich bei letzteren um Venen (in der einen) und
um Arterien (in der anderen Richtung) handelte.
Arterien und Venen waren also wirklich durch eine Menge verzweigter
Blutgefäße miteinander verbunden, die wegen ihrer Feinheit
vom Auge nicht wahrgenommen werden konnten. Das aber hatte Harveygerade
vermutet. Diese mikroskopisch kleinen Gefäße wurden "Kapillargefäße"
genannt (aus dem Lateinischen, das übersetzt "haarähnlich" heißt,
obgleich sie tatsächlich viel feiner als Haare sind). Die Entdeckung
wurde im Jahre 1660 bekannt, drei Jahre nach Harveys Tod. Sie vervollständigte
die Theorie des Blutkreislaufs.
Aber auch Malpighi brachte die Mikroskopie nicht entscheidend voran.
Das geschah durch den holländischen Kaufmann Anton van Leeuwenhoek
(1632 -1723), für den die Mikroskopie nur ein Hobby war.
Die ersten Benutzer des Mikroskops, einschließlich Malpighi, hatten
völlig richtig Linsensysteme benutzt, die eine stärkere Vergrößerung
als eine einzelne Linse hervorbringen konnten. Die von ihnen benutzten
Linsen waren jedoch unvollkommen. Sie besaßen auf der Oberfläche
Unebenheiten und im Inneren Blasen. Versuchte man eine zu starke Vergrößerung,
dann erschienen die Einzelheiten verschwommen.
Van Leeuwenhoek benutzte dagegen einzelne Linsen, die nur so groß
waren, dass sie aus kleinen blasenfreien Stückchen Glases hergestellt
werden konnten. Er schliff diese solange mit peinlicher Genauigkeit, bis
er klare Bilder in bis zu 200 facher Vergrößerung erhielt.
Die Linsen waren in einigen Fällen nicht größer als ein
Stecknadelkopf, reichten aber für seine Zwecke vollkommen aus.
Er sah sich alles durch seine Linsen an und konnte die roten Blutkörperchen
und die Kapillargefäße mit mehr Einzelheiten und größerer
Genauigkeit beschreiben, als es die ursprünglichen Entdecker Swammerdam
und Malpighi gekonnt hatten. Van Leeuwenhoek sah, wie sich Blut durch
die Kapillaren im Schwanz einer Kaulquappe bewegte, so dass er die Harveyschen
Theorie bestätigen konnte. Einer seiner Assistenten sah die Spermatozoen,
die winzigen, einer Kaulquappe ähnlichen Körper im männlichen
Samen.
Am aufsehenerregendsten war jedoch die Entdeckung, die er bei der Betrachtung
von stehendem Wasser durch seine Linsen machte. Er sah winzige Gebilde,
die dem bloßen Auge verborgen blieben, die aber mit allen Anzeichen
des Lebens ausgestattet waren. Diese "Animalcules" (wie er sie nannte)
sind heute als "Protozoen" bekannt. Das Wort stammt aus dem Griechischen
und bedeutet "Urtiere". Es wurde somit deutlich, dass nicht nur
Gegenstände, sondern auch Lebewesen von solcher Winzigkeit existierten,
die mit dem nackten Auge nicht wahrgenommen werden konnten. Ein weites
und neues biologisches Gebiet eröffnete sich hier vor den erstaunten
Augen der Menschen. Das war die Geburtsstunde der Mikrobiolgie (Untersuchung
mikroskopisch kleiner Organismen). Im Jahre 1683 erblickte Van Leeuwenhoek
kaum sichtbare Lebewesen, die noch erheblich kleiner als die Protozoen
waren. Seine Beschreibungen sind notwendigerweise undeutlich. Aber es
erscheint ganz sicher, dass sein Auge als erstes in der Geschichte das
sah, was später unter dem Namen "Bakterien" bekannt werden
sollte.
Die einzige andere Entdeckung dieser Epoche, die in ihrer Bedeutung an
die von Van Leeuwenhoek heranreicht, wenigstens was ihre Auswirkungen
anbetrifft, war die des englischen Wissenschaftlers Robert Hooke (1635
-1703). Er war von dem Mikroskop fasziniert, und seine Untersuchungen
zählen zu den besten der frühen Arbeiten. Im Jahre 1665 veröffentlichte
er ein Buch mit dem Titel "Mlcrographia", das einige der hervorragendsten
Zeichnungen mikroskopischer Beobachtungen enthält, die jemals angefertigt
worden sind. Die bedeutendste Einzelbeobachtung war die einer dünnen
Korkscheibe. Wie Hooke bemerkte, bestand diese aus winzigen rechteckigen
Kammern. Er nannte sie "Zellen" (ein geläufiger Ausdruck für
kleine Räume). In späteren Jahre sollte diese Entdeckung weittragende
Konsequenzen haben.
Während des achtzehnten Jahrhunderts führte die Mikroskopie
ein Schattendasein, hauptsächlich deshalb, weil das Instrument die
Grenze seiner Wirksamkeit erreicht hatte. Erst im Jahre 1773, fast hundert
Jahre nach Van Leeuwenhoeks erster Beobachtung, gelang es dem dänischen
Mikrobiologen Otto Friederich Müller (1730 - 84), die Bakterien so
gut zu erkennen, dass er Gestalt und Form der verschiedenen Typen beschreiben
konnte.
Die ersten Mikroskope hatten u. a. den Fehler, dass ihre Linsen das weiße
Licht in Regenbogenfarben zerlegten. Kleine Objekte waren von Farbringen
umgeben ("chromatische Aberration"), die ein Erkennen kleinster Einzelheiten
unmöglich machten. Erst um das Jahr 1820 war man in der Lage, "achromatische
Mikroskope" zu bauen, die bei der Beobachtung solche Farbringe nicht aufwiesen.
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