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Vitalisten contra Mechanisten (18. Jh.)
Die durch das Mikroskop in der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts gemachten
Entdeckungen schienen den Unterschied zwischen lebenden Organismen und
unbelebter Materie zu verwischen. Damit stellte sich erneut eine Frage,
die schon fast als erledigt galt. Sie bezog sich auf den Ursprung des
Lebens, oder wenigstens der einfacheren Formen des Lebens.
Während man leicht erkennen konnte, dass der Mensch und größere
Tiere aus dem Mutterleib oder aus von Muttertieren gelegten Eiern entsprangen,
war das im Falle kleinerer Tiere nicht so klar. Bis in die Moderne hinein
nahm man es als selbstverständlich an, dass Lebewesen wie Würmer
und Insekten aus faulem Fleisch oder aus anderen in Verwesung übergegangenen
Abfällen stammten. Ein solches Werden von Lebendigem aus Totem
bezeichnete man als "Urzeugung" (spontane Zeugung). Als das klassische
Beispiel für eine spontane Zeugung betrachtete man das Auftreten
von Maden in verfaulendem Fleisch. Es schien offensichtlich, dass diese
kleinen wurmähnlichen Organismen sich aus dem toten Fleisch gebildet
hatten. Fast alle Biologen stimmten dem zu. Harvey war eine der wenigen
Ausnahmen. Er hatte in seinem Buch über den Blutkreislauf die Meinung
geäußert, dass solche kleinen Lebewesen aus Samen oder Eiern
entstünden, die wegen ihrer Kleinheit nicht gesehen werden könnten.
(Diese Hypothese war für einen Biologen naheliegend, der sich gezwungen
sah, die Existenz von Blutgefäßen anzunehmen, die wegen ihrer
Kleinheit für das Auge nicht wahrnehmbar waren.)
Der italienische Arzt Francesco Redi (1626-97) las Harvey und
war von dessen Theorie beeindruckt. Er beschloss, der Sache im Jahre 1668
experimentell auf den Grund zu gehen. Er verteilte verschiedene Fleischsorten
auf acht Flaschen. Vier davon verschloss er, und die restlichen ließ
er offen. Somit konnten sich Fliegen nur auf das Fleisch in den offenen
Flaschen setzen, und nur aus solchen Flaschen kamen Maden. Das Fleisch
in den verschlossenen Behältern zersetzte sich und verfaulte, aber
es entwickelten sich keine Maden. Redi wiederholte das Experiment, indem
er einige der Flaschen mit Fliegendraht versah, anstatt sie vollkommen
zu versiegeln. Auf diese Weise konnte zwar Luft an das Fleisch gelangen,
die Fliegen wurden aber nach wie vor abgehalten. Wiederum entwickelten
sich keine Maden.
Es schien nun wirklich so, dass sich die Maden nicht aus dem Fleisch,
sondern aus den Eiern der Fliegen entwickelten. An dieser Stelle hätte
sich das biologische Denken vollständig vom Begriff der spontanen
Zeugung abwenden können. Jedoch wurde die Schlagkraft von Redis Experiment
durch Van Leeuwenhoeks gleichzeitige Entdeckung der Protozoen abgeschwächt.
Denn Fliegen und Maden waren doch einigermaßen komplizierte Organismen,
wenn auch einfach im Vergleich zum Menschen. Protozoen waren sicher nicht
größer, wenn überhaupt so groß wie Fliegeneier,
und sie waren außerordentlich einfache Lebewesen.
Also nahm man an, dass sie durch Urzeugung gebildet werden. Ließ
man Nährböden ohne diese Protozoen stehen, so erschienen diese
kleinen Organismen bald in großer Zahl. Damit schien die These von
einer spontanen Zeugung begründet zu sein. Dieser Gedanke einer Urzeugung
wurde Teil einer größer angelegten Kontroverse, die im achtzehnten
und neunzehnten Jahrhundert neue Nahrung erhalten sollte: des Streites
zwischen Vitalisten und Mechanisten.
Durch den deutschen Arzt Georg Ernst Stahl (1660 -1734) wurde
die Philosophie des Vitalismus klar formuliert. Stahl ist durch seine
"Phlogistontheorie" berühmt geworden. Er vermutete, dass Phlogiston
ein Stoff sei, den man in Substanzen antreffen könne, die wie Holz
brennen oder wie Eisen rosten. Wenn Holz brennt oder Eisen rostet, verflüchtigt
sich (so Stahl) Phlogiston. Einige Chemiker vermuteten zur Erklärung
der Gewichtszunahme von rostendem Eisen, dass Phlogiston ein negatives
Gewicht habe. Wenn sich Phlogiston verlor, wurde daher das Metall schwerer.
Diese Theorie erwies sich für Chemiker als sehr attraktiv, und sie
wurde von den meisten während des ganzen achtzehnten Jahrhunderts
anerkannt.
Unter den umfangreichen Schriften Stahls befanden sich aber auch bedeutende
physiologische Theorien, besonders in einem Buch über Medizin aus
dem Jahre 1707. Er behauptete rundheraus, dass für lebende Organismen
die physikalischen Gesetze nicht zuträfen, dass deren Gesetze vielmehr
von ganz anderer Art seien. Nach seiner Ansicht konnte man durch das Studium
der chemischen und physikalischen Vorgänge der unbelebten Natur kaum
einen Einblick in das Wesen der Biologie gewinnen. Sein Opponent war der
holländische Arzt Hermann Boerhaave (1668 -1738), der bedeutendste
Mediziner seiner Zeit (gelegentlich auch "der holländische Hippokrates"
genannt). Er beschrieb in seinem eigenen Buch über Medizin den menschlichen
Körper in allen Einzelheiten und versuchte den Nachweis zu erbringen,
dass die Funktionen seiner Organe physikalischen und chemischen Gesetzen
gehorchten - dies ist die mechanistische Auffassung.
Für Anhänger der mechanistischen Auffassung, welche
die lebenden Organismen wie auch die unbelebte Natur von den gleichen
Gesetzen beherrscht sahen, hatten Mikroorganismen eine besondere Bedeutung.
Sie schienen beinahe ein Bindeglied zwischen lebender und unbelebter Natur
zu sein. Wenn man zeigen könnte, dass solche Kleinstlebewesen wirklich
aus der unbelebten Natur entspringen, wäre die Brücke hergestellt
und leicht überquert.
Die vitalistische Auffassung würde dagegen, wie primitiv
die Lebensform auch sei, stets von der Unüberbrückbarkeit zwischen
ihr und der toten Materie ausgehen. Eine spontane Zeugung wäre nach
streng vitalistischer Auffassung nicht möglich.
Während des achtzehnten Jahrhunderts traten jedoch weder die Mechanisten
noch die Vitalisten geschlossen für beziehungsweise gegen die spontane
Zeugung auf, denn auch religiöse Anschauungen spielten dabei eine
Rolle. Man glaubte, dass an bestimmten Stellen der Bibel Beispiele einer
Urzeugung beschrieben wurden, so dass viele Vitalisten (im allgemeinen
die religiös konservativeren) es für notwendig hielten, nach
Gründen für die Entwicklung von Leben aus toter Materie zu suchen.
Der englische Naturforscher John Turberville Needham (1713 bis 1781),
der auch gleichzeitig ein katholischer Priester war, brachte im Jahre
1748 Hammelfleischbouillon zum Kochen und füllte sie in eine Versuchsröhre,
die er mit einem Korken verschloss. Nach einigen Tagen wimmelte es in
der Bouillon von Mikroorganismen. Da Needham annahm, dass die vorherige
Erhitzung der Bouillon diese sterilisiert habe, folgerte er, dass die
Mikroorganismen aus totem Material entstanden seien und dass er ihre spontane
Zeugung bewiesen hätte.
Der italienische Biologe Lazzaro Spallanzani (1729-99) zeigte
sich gegenüber diesem Versuch sehr skeptisch. Er glaubte, dass vor
allem die Zeit der Erhitzung nicht genügend verlängert worden
sei, so dass die Bouillon nicht habe steril werden können. Im Jahre
1768 stellte er eine Nährlösung her, welche er zwischen einer
halben und einer dreiviertel Stunde kochte. Erst dann versiegelte er sie
in einer Flasche, und nun traten keine Mikroorganismen auf.
Dieser Versuch schien ein Beweis zu sein, doch die Anhänger
der spontanen Zeugung fanden einen Ausweg. Sie behaupteten, dass in der
Luft eine "Lebenskraft" enthalten sei, etwas bisher Unbeobachtetes und
Unbekanntes, das die Lebensfähigkeit in die tote Materie hineinbringe.
Spallanzanis Versuch, so behaupteten sie, zerstöre diese Lebenskraft.
Fast ein ganzes Jahrhundert hindurch blieb diese Frage noch ungeklärt.
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