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19. Jh.: Purkinje, Schleiden, Schwann, Baer, Remak, Kölliker
Mit Hilfe der immer höheren Qualität des Mikroskops wurden
für das menschliche Auge neue Details erkennbar. Zunächst erschloss
das Mikroskop - oder vielmehr die menschliche Phantasie - zu viel. Fasziniert
vom flüchtigen Einblick in das unendlich Kleine, versteiften sich
einige der schon früh mit dem Mikroskopieren befassten Wissenschaftler
darauf, Einzelheiten zu finden, die über das Leistungsvermögen
ihrer dürftigen Instrumente hinausgingen. So zeichneten sie mit großer
Mühe Bilder von mikroskopisch kleinen menschlichen Gestalten ("homunculi")
in die Spermien des von ihnen untersuchten Samens hinein.
Sie glaubten, dass der Kleinheit keine Grenzen gesetzt seien. Wenn ein
Ei oder ein Samenfaden bereits eine winzig kleine Gestalt enthielt, könnte
diese winzig kleine Gestalt vielleicht eine noch kleinere enthalten, die
eines Tages ihr Abkömmling wäre usw. ad infinitum. Manche von
ihnen versuchten sogar zu berechnen, wie viel homunculi, die wieder homunculi
enthielten und so fort, es in Eva als erster gegeben haben möge.
Und sie fragten sich, ob das Menschengeschlecht nicht aussterben würde,
wenn die Reihe der so eingebetteten Generationen erschöpft wäre.
Dies war die Doktrin der "Präformation", die eindeutig eine dem
Evolutionsgedanken entgegengerichtete Auffassung darstellte und der
zufolge alle möglichen Glieder einer Art bereits in deren erstem
Glied existiert hatten. Dabei gab es keinen Grund zu der Annahme, dass
irgendwo in dieser Reihe Änderungen der Art aufträten.
Den ersten Großangriff auf diesen Standpunkt führte ein deutscher
Physiologe namens Caspar Friedrich Wolff (1733 - 94) . 1759, im
Alter von 26 Jahren, veröffentlichte er ein Buch, in dem er seine
Beobachtungen über das Wachstum der Pflanzen beschrieb. Er bemerkte,
dass die Spitze eines wachsenden Pflanzenschösslings eine undifferenzierte
und allgemeine Struktur zeigte. Wuchs die Spitze, so entwickelten sich
jedoch besondere Eigenarten. Ein Teil wurde schließlich zu einer
Blüte und ein anderer, der sich zunächst vom ersten durch nichts
unterschieden hatte, zu einem Blatt. Später dehnte Wolff seine Beobachtungen
auf Tiere, wie z. B. auf das Küken im Embryonalzustand, aus. Er
zeigte, dass durch eine allmähliche Spezialisierung undifferenzierte
Gewebe sich zu verschiedenen Unterleibsorganen entwickeln. Dies war die
Lehre von der "Epigenese", ein Ausdruck, den William Harvey - 1651
zum ersten Mal in einem Buch über die Geburt der Tiere benutzt hatte.
Nach dieser Auffassung entwickelten sich alle Lebewesen, so sehr sie
sich auch in ihrem Erscheinungsbild unterschieden, aus einfachen Klümpchen
einer lebenden Substanz und waren ursprünglich gleich. Sie entwickelten
sich also nicht aus einem winzig kleinen bereits spezialisierten Organ
oder Organismus.
Selbst voll entwickelte Organismen unterschieden sich bei richtiger Untersuchung
nicht so stark voneinander wie es schien. Ein französischer Arzt,
Marie Francois Xavier Bichat (1771 - 1802), der ohne Mikroskop
arbeitete, konnte in den letzten Jahren seines kurzen Lebens zeigen, dass
verschiedene Organe aus mehreren Komponenten unterschiedlichen Aussehens
bestanden. Diese Komponenten nannte er "Gewebe" und begründete
somit die Wissenschaft der Histologie, der Untersuchung der Gewebe. Es
stellte sich heraus, dass es nicht sehr viele verschiedene Gewebearten
gab (einige wichtige bei Tieren sind Epithelien [Oberhautgewebe], Bindegewebe,
Muskel- und Nervengewebe) und dass verschiedene Organe verschiedener Arten
aus diesen wenigen Gewebetypen aufgebaut waren. Einzelne Gewebe unterschieden
sich von Art zu Art nicht so grundlegend wie der gesamte Organismus.
Man kann auch noch weitergehen. Bekanntlich hatte Hooke in der Mitte
des 17. Jahrhunderts beobachtet, dass Kork in winzig kleine rechteckige
Kammern unterteilt war, die er Zellen nannte. Diese Zellen waren leer,
aber Kork war dann auch ein totes Gewebe. Spätere Forscher, die lebende
Gewebe oder solche, die kurz vorher noch gelebt hatten, mikroskopisch
untersuchten, erkannten, dass auch diese aus winzigen durch Wände
voneinander getrennte Einheiten bestanden.
Im lebenden Gewebe sind die Einheiten nicht leer, sondern mit einer gallertartigen
Flüssigkeit gefüllt. Diese Flüssigkeit verdankt ihren Namen
dem tschechischen Physiologen Johannes Evangelista Purkinje (1787-1869).
1839 sprach er vom Embryonalgewebe im Ei als "Protoplasma". Dieses
Wort kommt aus dem Griechischen und bedeutet "Erstgebilde". Der deutsche
Botaniker Hugo von Mohl (1805-72) übernahm es im darauffolgenden
Jahr, aber wandte es allgemein auf in Geweben enthaltene Substanzen an.
Obwohl die voneinander getrennten Einheiten des lebenden Gewebes nicht
leer waren, wurde Hookes Wort "Zelle" weiterhin auf sie angewandt.
Zellen wurden immer häufiger und überall gefunden, und einige
Biologen vermuteten, dass sie allgemein im lebenden Gewebe vorhanden wären.
Dieser Gedanke nahm 1838 konkretere Form an, als der deutsche Biologe
Matthias Jakob Schleiden (1804-81) die Behauptung aufstellte, dass
alle Pflanzen aus Zellen gebildet seien, und dass die Zelle die Lebenseinheit
sei, ein kleines lebendiges Gebilde, aus dem ganze Organismen bestünden.
Im folgenden Jahr erweiterte und vertiefte der deutsche Physiologe
Theodor Schwann (1810-82) diesen Gedanken. Er wies darauf hin, dass
sowohl alle Tiere als auch alle Pflanzen aus Zellen bestünden, dass
jede Zelle von einer Membrane umgeben sei, die sie von der Umwelt trennt
und dass Bichats Gewebe aus Zellen einer bestimmten Art bestünden.
Im allgemeinen werden Schleiden und Schwann als die Begründer
der "Zelltheorie" betrachtet - obwohl viele andere ihren Teil dazu beigetragen
haben -, und mit ihnen beginnt die Wissenschaft der "Cytologie" (Zellenlehre).
Um die Annahme, dass die Zelle eine Lebenseinheit sei, besonders eindrucksvoll
zu machen, wäre es notwendig gewesen zu beweisen, dass eine Zelle
ein unabhängiges Leben führen kann, dass sie nicht in einen
Verband von Billionen und Trillionen von Zellen integriert werden muss,
um lebensfähig zu sein. Dass einige Zellen wirklich zu einem unabhängigen
Leben fähig waren, zeigte der deutsche Zoologe Karl Theodor Ernst
von Siebold (1804 bis 2885).
1845 veröffentlichte Siebold ein Buch über vergleichende Anatomie,
das sich im einzelnen mit den Protozoen beschäftigte, denkleinen
Tieren, die zuerst von Van Leeuwenhoek entdeckt worden waren. Siebold
stellte klar heraus, dass Protozoen als Lebewesen betrachtet werden müssten,
die aus einer einzigen Zelle bestehen. Jedes Protozoon war von einer Einzelmembran
umgeben und besaß in sich selbst alle wesentlichen Lebenseigenschaften.
Es nahm Nahrung auf, verdaute sie, assimilierte sie und stieß die
Rückstände aus. Es nahm seine Umgebung wahr und reagierte entsprechend.
Es wuchs und pflanzte sich durch Zweiteilung fort. Wohlgemerkt, die Protozoen
waren im allgemeinen größer und komplexer als die Zellen, aus
denen ein vielzelliger Organismus wie z. B. der Mensch besteht. Aber die
Protozoonzelle musste ja auch leben. Sie enthielt alle notwendigen Anlagen,
die das unabhängige Leben ermöglichten, wohingegen die Einzelzelle
eines vielzelligen Organismus sich gestatten konnte, vieles davon zu entbehren.
Sogar vielzellige Organismen konnten dazu verwandt werden, die Bedeutung
der Einzelzelle zu demonstrieren. Der russische Biologe Karl Ernst
von Baer (1792 - 1876) hatte 1827 im Graafschen Follikel das Säugetierei
entdeckt. Dann begann er die Art und Weise zu untersuchen, nach der
ein Ei sich zu einem unabhängig lebenden Organismus entwickelte.
Im Lauf der folgenden zehn Jahre brachte er ein zweibändiges Lehrbuch
über dieses Thema heraus und begründete damit die Wissenschaft
der Embryologie (Studium des Embryos oder des sich entwickelnden Eis).
Er griff Wolffs Theorie von der Epigenese wieder auf (die zur Zeit ihrer
Entstehung weitgehend unbeachtet geblieben war), führte sie näher
aus und untermauerte sie. Er zeigte, dass das sich entwickelnde Ei mehrere
Gewebeschichten bildet, von denen jede am Anfang undifferenziert ist,
dass sich jedoch aus jeder dieser Schichten verschiedene spezialisierte
Organe entwickeln. Diese ursprünglichen Schichten nannte er "Keimblätter"
(Keim ist ein allgemeiner Ausdruck für jedes kleine Gebilde, das
zu einem Lebewesen werden kann).
Die Zahl dieser Keimblätter wurde schließlich auf drei festgelegt.
1845 gab ihnen der deutsche Arzt Robert Remak (1815 - 65) die Namen,
unter denen sie heute noch bekannt sind. Sie heißen "Ektoderm"
(das Wort kommt aus dem Griechischen und bedeutet "äußere Haut"),
"Mesoderm" ("mittlere Haut") und "Endoderm" ("innere Haut").
In den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts wies der Schweizer Physiologe
Rudolf Albert von Kölliker (1817 - 1905) darauf hin, dass Ei
und Sperma Einzelzellen seien. Später ging der deutsche Zoologe
Karl Gegenbaur (1826 -1903) sogar so weit zu zeigen, dass die großen
Eier der Vögel Einzelzellen sind. Aus der Verschmelzung von Sperma
und Ei entstand ein "befruchtetes Ei", das nach Kölliker immer noch
eine einzige Zelle war. (Diese Verschmelzung oder "Befruchtung" leitete
die Entwicklung des Embryos ein. Obwohl Mitte des 19. Jahrhunderts die
Biologen bereits vermuteten, dass solch ein Vorgang stattfand und obwohl
eine Reihe von Beobachtungen im Verlauf der vorangegangenen Jahrzehnte
gemacht worden war, die diese Vermutungen bestätigten, gab es keine
genaue Beschreibung dieses Vorgangs, bis 1879 der Schweizer Zoologe
Hermann Fol die Befruchtung eines Seesterneis durch eine Spermie beobachtete.
Um 1861 veröffentlichte Kölliker ein Lehrbuch über Embryologie,
in dem Baers Forschung im Lichte der Zelltheorie neu interpretiert wurde.
Danach begann jeder vielzellige Organismus als einzelne Zelle, nämlich
als befruchtetes Ei. Wenn sich dieses teilte und immer weiter teilte,
unterschieden sich die entstehenden Zellen anfangs kaum voneinander. Langsam
bildeten sie sich jedoch in verschiedene Richtungen bis zur Entstehung
des komplizierten, eng ineinandergreifenden Gefüges der ausgewachsenen
Form aus. Es war eine auf die Zelltheorie zurückgeführte Epigenese.
Der Begriff von der Einheitlichkeit allen Lebens wurde weitgehend bekräftigt.
Man war kaum in der Lage, die befruchteten Eier eines Menschen, einer
Giraffe oder einer Makrele voneinander zu unterscheiden. Die Unterschiede
entstanden erst allmählich mit der Entwicklung des Embryos. Kleine
Strukturen in den Embryos, die zunächst kaum erkennbar waren, könnten
sich in einem Fall zu einem Flügel, in einem anderen zu einem Arm,
im dritten zu einer Pfote und im vierten schließlich zu einer Flosse
ausbilden. Baer glaubte zeimlich fest, dass die Verwandtschaftsgrade
zwischen Tieren besser durch Vergleiche der Embryonen hergeleitet werden
könnten als durch Vergleiche zwischen den ausgewachsenen Organismen.
Somit wurde er auch der Begründer der vergleichenden Embryologie.
Die Veränderungen von Art zu Art, vom Vorgang der Zellenentwicklung
aus gesehen, schien nur noch eine Frage des Details zu sein und im Bereich
eines evolutionären Vorgangs zu liegen, der notwendig zustande kommen
musste. Baer konnte z. B. zeigen, dass das frühe Embryo der Wirbeltiere
vorübergehend eine "Chorda" besitzt. Dies ist ein steifer Stab, der
am Rücken entlang läuft, und es gibt sehr primitive fischähnliche
Lebewesen, die solch ein Gebilde ihr Leben lang behalten. Diese primitiven
Lebewesen wurden zuerst in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts von
dem russischen Zoologen Alexander Kowalewski (1840 - 1901) untersucht
und beschrieben. Bei Wirbeltieren wird die "Chorda" bald durch ein Gebilde
aus aneinandergefügten Wirbeln, die Wirbelsäule, ersetzt. Dennoch
scheint sogar das vorübergehende Vorhandensein einer "Chorda" auf
eine Beziehung zu den von Kowalewski beschriebenen Tieren hinzuweisen.
Aus diesem Grunde werden die Wirbeltiere und diese wenigen wirbellosen
Tiere im Stamm der "Chordaten" zusammengefasst. Darüber hinaus ist
auch die Vermutung interessant, dass die im Embryo der Wirbeltiere und
sogar im menschlichen Embryo kurzfristig auftretende "Chorda" ein Anzeichen
dafür ist, dass alle Wirbeltiere von primitiven, mit einer "Chorda"
ausgestatteten Geschöpfen abstammen.
Aus den verschiedenen Gebieten, vergleichender Anatomie, Paläontologie,
Biochemie, Histologie, Cytologie und Embryologie, kam zunächst leise
und dann gegen Mitte des 19. Jahrhunderts immer lauter der Ruf nach einer
Art von Evolutionsgedanken. Irgendeine befriedigende Erklärung für
den Ablauf der Evolution musste gefunden werden.
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