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Darwin, Virchow, Dubois, 19. Jh.
Der heikelste Punkt in Darwins Theorie war ihre Anwendung auf den Menschen.
Darwin hatte ihn in seinem "Ursprung der Arten" umgangen, und Wallace
als Mitentdecker der Theorie der natürlichen Auslese behauptete,
dass der Mensch selbst den evolutionären Kräften nicht unterläge.
(In seinem späteren Leben wurde er Spiritualist.) Jedoch wäre
es unsinnig gewesen zu vermuten, die Evolution schlösse alle Arten
von Lebewesen außer dem Homo sapiens ein. Nach und nach häuften
sich die Beweise dafür, dass sie auch auf den Menschen zutraf.
1838 hatte zum Beispiel der französische Archäologe Jacques
Boucher de Crevecoeur de Perthes (1788 - 1868) in Nordfrankreich primitive
Äxte ausgegraben. Aus der geologischen Schicht, in der sie lagen,
musste er entnehmen, dass sie viele tausend Jahre alt waren. Darüber
hinaus ergab sich, dass sie nur von Menschenhand hatten hergestellt werden
können. Zum ersten Mal wurde damit der einwandfreie Beweis erbracht,
dass nicht nur die Erde, sondern auch der Mensch viel älter ist als
einige Tausend Jahre, wie es in der Bibel vermuten lässt.
1846 veröffentlichte Boucher de Perthes seine Entdeckungen und sein
Buch entfachte eine stürmische Reaktion. Französische Biologen,
die immer noch unter dem Einfluss des verstorbenen Cuvier standen, nahmen
eine feindselige Haltung ein und weigerten sich, die Folgerungen aus den
Funden anzuerkennen, obwohl in den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts
die Archäologen immer mehr alte Werkzeuge ausgruben. 1859 kam eine
Anzahl englischer Wissenschaftler nach Frankreich. Sie besichtigten die
Stätten, an denen Boucher de Perthes seine Äxte gefunden hatte,
und stellten sich offiziell auf seine Seite.
Vier Jahre später veröffentlichte der Geologe Lyell, der sich
auf die Funde Boucher de Perthes' bezog, sein Buch "The Antiquity of
Man", in dem er nicht nur die Darwinschen Ansichten energisch unterstützte,
sondern sie auch ganz besonders auf den Menschen anwandte. Ebenso schrieb
Huxley ein Buch, in dem er die gleiche Haltung einnahm.
1871 bekannte sich Darwin mit seinem zweiten großen Werk "The
Descent of Man" (Die Abstammung des Menschen) zum auf den Menschen angewandten
Evolutionsgedanken. Hierin besprach er die verkümmerten Organe
als typische Zeichen evolutionärer Veränderungen. (Im menschlichen
Körper gibt es einige dieser Spuren. Der Blinddarm ist das Überbleibsel
eines Organs, das einst zur Aufspeicherung von Nahrung diente, die auf
diese Weise einem bakteriengesteuerten Abbau unterworfen werden konnte.
Am Ausgangspunkt des Rückgrats befinden sich vier Knochen, die früher
Teil eines Schwanzes waren: Es gibt unnütze Muskeln, die zur Bewegung
der Ohren gebildet sind; sie wurden von Vorfahren übernommen, deren
Ohren beweglich waren usw.)
Die Beweise basierten jedoch nicht nur auf Indizien. Der Mensch aus der
Vorzeit erschien selbst auf dem Plan. 1856 wurde in Deutschland im
Neandertal (Rheinland) eine Schädeldecke aus der Vorzeit ausgegraben.
Sie stammte mit Bestimmtheit von einem Menschen her, war aber primitiver
als die Schädeldecke irgendeines gewöhnlichen Menschen.
Entsprechend der geologischen Schicht, in der sie gelagert hatte, musste
sie viele tausend Jahre alt sein. Sofort entspann sich eine wissenschaftliche
Kontroverse. Handelte es sich um eine frühe primitive Form des modernen
Menschen, oder lediglich um einen gewöhnlichen Wilden vergangener
Zeiten, der an einer Knochenkrankheit oder einer angeborenen Schädeldeformierung
gelitten hatte?
Der Arzt Rudolf Virchow (1821 - 1902), eine außergewöhnliche
Äutoritat, behauptete das Letztere. Dagegen bestand der französische
Chirurg Paul Broca (1824 - 80), der berühmteste Schädelexperte
seiner Zeit, auf der Ansicht, dass kein Mensch der Gegenwart, ob krank
oder gesund, einen Schädel gleich dem des Neandertalers haben könne,
und dass dieser deshalb eine Frühform des Menschen gewesen sei, die
sich in einigen Punkten von dem modernen Menschen wesentlich unterschieden
habe. Um diese Fragen beantworten zu können, mussten weitere Funde
gemacht werden: Fossilienfunde von fehlenden Stufen zwischen Mensch und
Affe. Unter den Fossilien waren solche sogenannten "fehlenden Glieder"
keine Seltenheit. 1861 z. B. erwarb das britische Museum die Fossilien
eines Lebewesens, das einwandfrei als Vogel identifiziert wurde, da sich
in dem Felsen Eindrücke von Federn befanden, aber dennoch einen eidechsenähnlichen
Schwanz und ebensolche Zähne besaß. Dies benutzte man sofort
als den bestmöglichen Beweis dafür, dass Vögel Abkömmlinge
von Reptilien waren.
Die Suche nach einem auf den Menschen zugeschnittenen fehlenden Glied
war allerdings jahrzehntelang vergeblich. Endlich war dem holländischen
Paläontologen Marie Eugene Francois Thomas Dubois (1858 - 1940)
Erfolg beschieden. Besessen von der Hoffnung, das fehlende Glied zu finden,
war er der Meinung, dass in solchen Gebieten nach primitiven menschenähnlichen
Geschöpfen geforscht werden müsste, in denen es noch Affen in
großer Zahl gab. Dies war entweder in Afrika, der Heimat des Gorillas
und Schimpansen oder in Südostasien, dem Ursprungsland des Orang-Utan
und Gibbon.
1889 wurde er von der holländischen Regierung beauftragt, in
Java (damals noch in holländischem Besitz) nach Fossilien zu forschen.
Er machte sich mit großem Eifer an die Aufgabe. Innerhalb weniger
Jahre entdeckte er eine Gehirnschale, einen Hüftknochen und zwei
Zähne, die zweifellos von einem Urmenschen stammten. Die Gehirnschale
war wesentlich größer als die eines lebenden Affen und dabei
erheblich kleiner als die eines Menschen. Auch die Größe der
Zähne lag zwischen der von Menschen und Affen. Dubois nannte das
Lebewesen, zu dem diese Knochenrückstände gehörten, den
"Pithecantropus erectus" (den aufrechtgehenden Affenmenschen).
Einzelheiten darüber veröffentlichte er 1894.
Wieder begann ein großer Streit. Jedoch wurden auch ähnliche
Funde in China und Afrika gemacht, so dass man jetzt weiß, dass
es eine Reihe von "fehlenden Gliedern" gegeben hat. Es besteht kein begründeter
Zweifel mehr an dem Tatbestand einer menschlichen Evolution oder einer
Evolution im allgemeinen. Bis ins 20. Jahrhundert hat es viele gegen den
Evolutionsgedanken gerichtete Strömungen gegeben. Einige davon existieren
auch heute noch, hauptsächlich bei den religiösen Sekten. Es
gibt heute keinen namhaften Biologen, der die Evolution der Lebewesen
ablehnt.
IRRTÜMER und ABARTEN des Evolutionsgedankens:
Befanden sich die Gegner der Evolutionstheorie grundsätzlich im
Irrtum, so galt dies ebenso für diejenigen unter ihren Anhängern,
die sie voreilig auf Gebiete übertragen wollten, auf die sie sich
nicht anwenden ließ. So griff der englische Philosoph Herbert
Spencer (1820 - 1903), der sich bereits vor dem Erscheinen des Darwinschen
Buches Gedanken zur Evolutionstheorie gemacht hatte, mit Freuden zu diesem
Werk. Die darin enthaltenen Darlegungen fügte er seinen eigenen Betrachtungen
über die menschliche Gesellschaft und Kultur hinzu und wurde so zum
Pionier auf dem Gebiet der Soziologie. Spencer glaubte, dass die menschliche
Gesellschaft und Kultur zunächst undifferenziert gewesen und von
einer einfachen Ebene ausgegangen sei. Erst allmählich hätten
sie sich zu ihrem gegenwärtigen heterogenen und komplexen Zustand
entwickelt. Spencer popularisierte den Terminus "Evolution" (den Darwin
selbst kaum benutzte) und auch die Redensart "das Überleben des Tüchtigsten".
Spencer schien es, als ob die Menschen im ständigen Wettkampf
miteinander lägen, wobei der Schwächere notwendigerweise an
die Wand gedrückt würde. Er betrachtete das als eine unvermeidliche
Begleiterscheinung der sich vollziehenden Evolution. 1884 äußerte
er die Ansicht, dass man die Menschen, die nicht in einen Arbeitsprozess
eingeschaltet werden können oder sonst eine Belastung für die
Gesellschaft seien, eher zugrunde gehen lassen sollte, als sich ihrer
aus Hilfsbereitschaft oder Nächstenliebe anzunehmen. Güte und
Weichherzigkeit - so behauptete Spencer - behinderten den Fortgang der
Entwicklung und wären auf die Dauer schädlich.
Dies war jedoch eine falsche Anwendung des Evolutionsbegriffs, denn der
Darwinsche Mechanismus der natürlichen Zuchtwahl erforderte lange
Zeiträume. Spencer konnte nur durch die Annahme, dass es eine Form
von Erblichkeit erworbener Eigenschaften im Lamarckschen Sinne gäbe,
die schnellen Veränderungen in der Menschheitgeschichte rechtfertigen.
Er musste auch die Tatsache außer acht lassen, dass die Überlebenschancen
einer menschlichen Gesellschaft darin liegen kann, dass sie sich ihrer
Alten und Schwachen annimmt, wodurch ihr das einzelne Mitglied mehr ergeben
sein könnte. Die Geschichte der Zivilisation zeigt tatsächlich,
wie soziale Zusammenarbeit in Landwirtschaft und Gewerbe auf lange Sicht
den Triumph über den schroffen Individualismus der Jäger und
Nomaden davongetragen haben.
Dessen ungeachtet hatte der Spencersche Evolutionsgedanke insofern seine
Auswirkungen auf die Geschichte, als er im Laufe der Jahrzehnte, die dem
Ersten Weltkrieg vorausgingen, Nationalisten und Militaristen die Handhabe
dazu gab, vom Krieg als einer "guten Sache" zu sprechen, die den Tüchtigsten
überleben ließ. Glücklicherweise sind derartige romantische
Illusionen über das schandhafte Geschäft des Krieges ausgestorben.
Eine andere umstrittene Auffassung vom Evolutionsgedanken wurde durch
Darwins Vetter, den englischen Anthropologen Francis Galton (1822 -
1911), vertreten. In jungen Jahren betätigte er sich als Entdeckungsreisender
und als Meteorologe, wandte sich jedoch nach dem Erscheinen des Buches
seines Vetters der Biologie zu. Sein besonderes Interesse galt dem Vererbungsproblem,
und er war der erste, der die Bedeutung der Untersuchung eineiiger Zwillinge
unterstrich. Hier ließen sich erbliche Einflüsse als identisch
betrachten, so dass vorhandene Unterschiede einzig und allein Umwelteinflüssen
zugeschrieben werden mussten.
Er verfolgte das Auftreten hoher geistiger Leistungsfähigkeit durch
Generationen einzelner Familien hindurch und konnte auf diese Weise die
Theorie entwickeln, dass geistige Fähigkeiten erblich waren. So kam
er zu der Überzeugung, dass die menschliche Intelligenz sowie auch
andere wünschenswerte Eigenschaften durch geeignete Partnerwahl verstärkt,
unerwünschte aber ausgemerzt werden konnten. Im Jahre 1883 führte
er den Namen "Eugenik" (aus griechischen Wörtern gebildet,
die "gute Geburt" bedeuten) für die Untersuchung der Methoden ein,
die dies am besten zustande bringen konnten. In seinem Testament hinterließ
er einen Fonds, der zum Aufbau eines Forschungslaboratoriums für
Vererbungslehre gedacht war.
Nachdem immer weitere Einzelheiten über den Vererbungsmechanismus
bekanntgeworden waren, verloren die Biologen in zunehmendem Maße
den Glauben daran, dass es eine leichte Sache sei, die menschliche Rasse
durch bewusste Auswahl bei der Fortpflanzung (gewissermaßen gezielte
Evolution) zu verbessern. Inzwischen ist es aber zur Gewissheit geworden,
dass es sich hierbei um einen sehr komplizierten Vorgang handelt, der
zur Zeit nicht einmal mit den Methoden der Gentechnik realisierbar erscheint.
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