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Darwin, Owen, Huxley, Haeckel, 19. Jh.
"Der Ursprung der Arten" zählt zu den bedeutendsten Büchern
in der Geschichte der Biologie. Viele Teilgebiete dieser Wissenschaft
wurden plötzlich verständlicher, wenn man sie unter dem Gesichtspunkt
der Entwicklung durch natürliche Selektion betrachtete. Dieser Gedanke
rationalisierte das Sammeln von Einzelkenntnissen der Taxonomie, Embryologie,
vergleichenden Anatomie und Paläontologie. Durch Darwins Buch wurde
die Biologie mehr als eine Zusammenstellung von Tatsachen; sie wurde eine
organisierte Wissenschaft, die sich auf eine breite und außerordentlich
nützliche Theorie gründete.
Doch für manche war es hart, Darwins Buch hinzunehmen. Es zog
die biologische Sonderstellung des Menschen in Zweifel. Insbesondere
schien es sich gegen den Wortlaut der Bibel zu richten und zu besagen,
dass die Menschheit und die Welt nicht von Gott erschaffen worden seien.
Sogar unter denjenigen, die nicht besonders religiös eingestellt
waren, gab es viele, die von dieser Ansicht abgestoßen wurden, einer
Ansicht, die das Leben mit all seiner Schönheit und selbst das Wunder
Mensch zu dem Ergebnis eines blinden Zufalls herabwürdigte.
In England war der Zoologe und Führer der Opposition Richard
Owen (1804 - 92) ein Anhänger dieser Gruppe. Er war ein Schüler
Cuviers und wie Cuvier selbst ein Meister in der Rekonstruktion ausgestorbener
Tiere aus Fossilresten. Es war nicht der Evolutionsbegriff selbst, dem
er widersprach, sondern der Gedanke, dass die Evolution durch Zufall zustande
gekommen sein sollte. Er glaubte eher an einen inneren Drang.
Darwin selbst nahm nicht aktiv am Kampf um seine Theorie teil. Er war
zu sanftmütig (und glaubte sich gewöhnlich zu krank), als dass
er ein großer Streiter hätte sein können. So trat der
englische Biologe Thomas Henry Huxley (1825 - 95) für Darwin ein.
Huxley gebärdete sich auf dem Katheder aggressiv, hatte aber die
Gabe, besonders populärwissenschaftlich zu schreiben. Er nannte sich
selbst "Darwins Bulldogge" und mehr als irgend jemand anders konfrontierte
er die Öffentlichkeit mit Darwins Evolutionstheorie.
In Frankreich setzte sich der Darwinismus zunächst nur langsam durch.
Dort blieben die Biologen für mehrere Jahrzehnte unter dem antievolutionären
Einfluss Cuviers.
Deutschland bot jedoch enen fruchtbareren Boden. Der deutsche Naturforscher
Ernst Heinrich Haeckel (1834 - 1919) war nicht nur ein Anhänger
Darwins, sondern er ging noch etwas weiter als dieser. Er sah in der sich
vollziehenden Entwicklung des Embryos den gerafften Vorgang der Evolution.
Das Säugetier z. B. begann als Einzeller wie ein Protozoon. Es entwickelte
sich zu einem aus zwei Keimblättern bestehenden Gebilde, etwa gleich
einer Qualle, dann zu einem aus drei Keimblättern bestehenden Lebewesen,
etwa gleich einem primitiven Wurm. Im Verlauf der weiteren Entwicklung
bildete und verlor das Säugetier dann die Chorda der primitiven Chordaten.
Anschließend erzeugte und verlor es Gebilde, die der Ansatz zu fischähnlichen
Kiemen waren: In dieser Hinsicht fand Haeckel einen Gegner in dem älteren
Embryologen Baer, der selbst fast zu dieser Auffassung gelangt war, Darwins
Theorien jedoch nicht anerkennen wollte.
In den Vereinigten Staaten war der amerikanische Botaniker Asa Gray
(1810 - 1888) ein äußerst rühriger Wortführer für
den Darwinismus. Er war ein prominenter religiöser Laie, was insofern
seinem Standpunkt Nachdruck verlieh, als man ihn nicht als Atheisten abtun
konnte. In Opposition zu ihm stand der in der Schweiz geborene amerikanische
Naturforscher Jean Louis Rodolphe Agassiz (1807-1873). Agassiz
hatte seinen wissenschaftlichen Ruf durch eine erschöpfende Studie
über Fischfossilien begründet. An die Öffentlichkeit gelangte
er durch eine mehr ins Auge fallende Tat, die Popularisierung des Begriffs
"Eiszeiten". Er war vertraut mit der alpinen Gletscherwelt seiner schweizerischen
Heimat und verstand es darzustellen, wie die Gletscher sich langsam vorwärts
geschoben und durch auf ihrer Unterseite eingebettete Kieselsteine und
Geröllmassen an den Felsen, über die sie hinweggewandert waren,
Furchen und Kerben hinterlassen hatten.
Agassiz fand solche zerfurchten Felsen, die zweifellos von Gletschern
gezeichnet waren, in Gebieten, in denen es seit Menschengedenken keine
Gletscher gegeben hatte. In den Jahren zwischen 7840 und 1850 kam er zu
der Schlussfolgerung, dass vor vielen tausend Jahren die Gletscher weit
verbreitet sein mussten. 1846 ging er in die Vereinigten Staaten, zunächst
um Vorlesungen zu halten. Dann aber ließ sein Interesse an der Naturgeschichte
des nordamerikanischen Kontinents den Entschluss in ihm reifen, für
immer dort zu bleiben. Auch hier fand er Spuren vergangener ausgedehnter
Gletscherbildung.
Die Eiszeit - von der man heute weiß, dass sie sich in vier getrennte
Eiszeitalter gliedern, die sich über die letzten vergangenen 500.000
Jahre erstreckten - war ein guter Beweis dafür, dass das von Hutton
und Lyell ins Extrem getriebene Uniformitätsprinzip (die Umweltbedingungen
haben sich nie geändert) nicht gerechtfertigt war. Schließlich
hatte es Katastrophen gegeben. Gewiss waren sie nicht so plötzlich
eingetreten und hatten auch nicht solche zerstörenden und verhängnisvollen
Auswirkungen gehabt, wie es die Theorie Cuviers forderte, aber immerhin
hatte es sie gegeben. Hin- und hergerissen zwischen seinen an Cuvier angelehnten
Vorstellungen und seiner Frömmigkeit, fanden sich Agassiz und andere
Zeitgenossen am Ende außerstande, die Darwinsche Lehre anzunehmen.
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