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Liebig, Pasteur, Virchow - 19. Jh.
Die Fortschritte, welche die Messungen von Wärmemengen in der letzten
Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts zu verzeichnen hatten, ließen
das Wesentliche des Vitalismus unberührt. Obgleich der Mensch und
der Fels unter seinen Füßen aus Materie bestanden, war doch
eine unüberschreitbare Grenze zwischen den Formen der Materie aufgerichtet
- zuerst zwischen dem Organischen und dem Anorganischen und, als diese
Unterscheidung nicht möglich war, zwischen Eiweiß und Nichteiweiß.
In gleicher Weise hätte auch die zur Verfügung stehende Gesamtenergie
für lebende Organismen wie auch für die der unbelebten Natur
gleich sein können, aber sicher gab es auch hier eine scharfe Trennungslinie
zwischen den Methoden, durch welche die Energie verfügbar gemacht
wurde.
So war z. B. eine Verbrennung außerhalb des Körpers von sich
sehr schnell und heftig vollziehender Wähne- und Lichtentwicklung
begleitet, während jedoch die Verbrennung von Nahrungsmitteln innerhalb
des Körpers keine Helligkeit und nur geringe Wärme erzeugte.
Bei der inneren Verbrennung überstieg die Körpertemperatur nicht
die üblichen 37° C, außerdem vollzog sie sich langsam und vollständig
kontrolliert. Wenn der Chemiker im Experiment die Reaktionen wiederholen
wollte, die charakteristisch für lebendes Gewebe waren, musste er
seine Zuflucht zu drastischen Mitteln nehmen: Große Hitze, elektrischer
Strom, starke Chemikalien. Lebendes Gewebe benötigte nichts davon.
Liebig behauptete, dass dem nicht so sei und verwies auf die Gärung
als Gegenbeispiel. Schon seit grauen Vorzeiten hatte die Menschheit Fruchtsäfte
zur Gärung gebracht, um Wein daraus zu gewinnen, und Sommergerste
zur Bierherstellung eingemaischt. Man hatte Hefe dazu benutzt, um eine
Teigmasse Veränderungen zu unterwerfen, die sie unter Bildung von
Luftblasen zum "Gehen" brachten. Auf diese Weise kam man zu leichtem schmackhaftem
Brot.
Diese Veränderungen vollziehen sich unter der Mitwirkung organischer
Substanzen. Zucker oder Stärke verwandeln sich in Alkohol, und dies
ähnelt den Reaktionen, die im lebenden Gewebe vor sich gehen. Auch
braucht man zur Gärung keine starken Chemikalien oder andere drastische
Mittel. Sie geht bei Zimmertemperatur in einer ruhigen und langsamen Art
und Weise vor sich. Liebig behauptete, dass die Gärung ein rein chemischer
Prozess sei, der ohne lebenden Organismus vonstatten gehen könne
und dass dies ein Beispiel für eine Veränderung sei, die sich
in der Form eines Lebensprozesses vollziehe, ohne jedoch selbst ein solcher
zu sein.
Seit Van Leeuwenhoek (vergl. Mikroskopie) wusste man sicher, dass Hefe
aus kleinen Kügelchen bestand. An den Kügelchen konnte man keine
Lebenszeichen erkennen. Aber in den Jahren 1836 und 1837 beobachteten
verschiedene Biologen, unter anderen auch Schwann, wie sie zu keimen anfingen.
Neue Kügelchen bildeten sich, und dies schien ein sicheres Anzeichen
von Leben zu sein. Die Biologen sprachen nun von Hefezellen. Liebig
verwarf diesen Gedanken. Er akzeptierte die Hefe nicht als lebenden Organismus.
Der französische Chemiker Louis Pasteur (1822 - 95) ergriff
gegen den berühmten Liebig Partei. Im Jahre 1856 wurde Pasteur von
den Führern der französischen Weinindustrie zu Rate gezogen.
Wein und Bier wurden oft bei längerer Lagerung sauer, und Millionen
Franken gingen dadurch verloren. Konnte da nicht ein Chemiker helfen?
Pasteur griff zum Mikroskop und fand sehr schnell heraus, dass die Flüssigkeit
winzige kugelförmige Hefezellen enthielt, wenn Wein und Bier in der
richtigen Weise reiften. Bei saurem Wein und Bier waren die Hefezellen
dagegen länglich. Es gab offenbar zwei verschiedene Arten von Hefe:
Die eine erzeugte Alkohol, während die andere in einem langsamer
verlaufenden Prozess den Wein säuerte. Durch eine leichte Erwärmung
des Weines würden die Hefezellen abgetötet und der Vorgang aufgehalten
werden. Wenn dies im richtigen Augenblick geschähe, nämlich
nach Bildung des Alkohols und vordem Einsetzen der Säuerung, wäre
alles gut, und so war es auch.
Dabei machte Pasteur zwei Punkte ganz klar. Erstens waren die Hefezellen
tatsächlich Lebewesen, denn geringe Erwärmung zerstörte
ihre Fähigkeit, eine Gärung zu bewerkstelligen. Die Zellen existierten
noch, sie waren nicht zerstört, sondern nur abgetötet worden.
Zweitens konnten nur lebende und keine abgestorbenen Hefezellen eine Gärung
zustande bringen. Die Kontroverse zwischen ihm und Liebig endete mit
einem klaren Sieg für Pasteur.
Pasteur arbeitete weiter, um ein berühmtes Experiment im Zusammenhang
mit der Urzeugung durchzuführen. Dies war ein Gegenstand, an
dem sich die vitalistische Position seit der Zeit von Spallanzani verhärtet
hatte. Biblische Beweise für die Urzeugung verloren an Wert, und
tatsächlich war den religiösen Führern eine Widerlegung
der Urzeugung nicht unwillkommen, denn damit wäre die Schaffung des
Lebens Gott allein zugestanden worden. Es waren die Anhänger des
Mechanismus in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts, die für eine
Urzeugung eintraten.
Spallanzani hatte gezeigt, dass, wenn Bouillon sterilisiert und gegen
Verunreinigung abgeschlossen wurde, sich keine Lebensformen darin entwickeln
konnten. Diejenigen, die damals in der Opposition standen, behaupteten,
dass die Hitze eine "Lebenskraft" in der von der Kammer eingeschlossenen
Luft zerstört hätte. Pasteur ersann ein Experiment, bei dem
die gewöhnliche, nicht erwärmte Luft Zutritt zur Bouillon hatte.
Im Jahre 1860 kochte und sterilisierte er Bouillon, die er dann der gewöhnlichen
Atmosphäre aussetzte. Der Lufteintritt geschah jedoch durch einen
langen, engen, S-förmigen Flaschenhals, der außen angebracht
war. Obgleich nun unerwärmte Luftfreien Zutritt zur Flasche hatte,
setzten sich Staubteilchen am Boden des Flaschenhalses ab und kamen somit
nicht in die Flasche.
Unter solchen Bedingungen entwickelten sich in der Bouillon keine Organismen.
Wurde jedoch der Flaschenhals entfernt, setzte kurze Zeit darauf die Verunreinigung
ein. Es spielte also keine Rolle, ob die Lufterhitzt oder ob eine "Lebenskraft"
zerstört wurde. Es lag vielmehr an den Staubteilchen, von denen einige
aus schwebenden Mikroorganismen bestanden. Nur dann, wenn diese in die
Bouillon kamen, wuchsen sie und vermehrten sich.
Der deutsche Arzt Rudolf Virchow leistete durch eigene Beobachtungen
dazu einen Beitrag. In den Fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts
untersuchte er kranke Gewebeteile sehr genau - daher wird er als Begründer
der Pathologie betrachtet (d.i. die Wissenschaft von den kranken Geweben)
- und zeigte, dass die Zelltheorie darauf ebenso gut anwendbar war wie
auf gesunde Gewebe.
Er zeigte, dass erkrankte Gewebezellen aus normalen gewöhnlichen
Gewebezellen hervorgegangen waren. Es gab keinen plötzlichen Sprung
und auch keine plötzliche Diskontinuität, kein unvermitteltes
Entstehen abnormaler Zellen aus dem Nichts. Im Jahre 1855 umriss Virchow
seine Vorstellung von der Zelltheorie durch eine bedeutsame lateinische
Bemerkung: "Omnis cellula e cellula" ("Alle Zellen stammen von Zellen").
Er und Pasteur hatten somit keinen Zweifel darüber gelassen, dass
jede Zelle, ob unabhängiger Organismus oder Teil eines vielzelligen
Organismus, stets eine vorher existierende Zelle voraussetzte.
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