|
Gottlieb Sigismund Kirchhoff, Humphry Davy, Eduard Buchner
Bereits im achtzehnten Jahrhundert hatten Chemiker beobachtet, dass
eine Reaktion manchmal durch Einführung eines Stoffes beschleunigt
werden konnte, der allem Anschein nach an der Reaktion nicht beteiligt
war. Beobachtungen dieser Art häuften sich und zogen zu Beginn
des neunzehnten Jahrhunderts die Aufmerksamkeit der Chemiker auf sich.
Ein russischer Chemiker, Gottlieb Sigismund Kirchhoff (1764 bis 1833)
zeigte im Jahre 1812, dass Stärke durch Kochen mit verdünnter
Säure zu einem einfachen Zucker, nämlich Traubenzucker, abgebaut
wurde. Ohne Säure geschah dies nicht, und doch schien sie an der
Reaktion nicht beteiligt zu sein, da nichts von ihr beim Abbauprozess
verbraucht wurde.
Vier Jahre später entdeckte der englische Chemiker Humphry Davy
(1778-1829), dass Platindrähte die Umsetzung verschiedener organischer
Dämpfe, z. B. Alkoholdampf mit Sauerstoff, bei gewöhnlichen
Temperaturen begünstigten. Das Platin schien an der Reaktion jedoch
nicht beteiligt zu sein.
Berzelius lernte diese und andere Beispiele kennen. Er schrieb im Jahre
1836 hierüber eine Abhandlung und schlug den Namen "Katalyse"
für die Erscheinung vor. Dieser ist aus dem Griechischen abgeleitet,
bedeutet soviel wie "Abbau" und bezieht sich möglicherweise auf den
durch Säure bewirkten Abbau der Stärke.
Gewöhnlich brennt Alkohol in Sauerstoff nur, wenn er auf die hohe
Temperatur gebracht wird, bei der sich seine entwickelnden Dämpfe
entzünden. In Gegenwart eines Platinkatalysators findet aber dieselbe
Reaktion ohne vorherige Erwärmung statt. Man konnte daher argumentieren,
dass chemische Prozesse in lebendem Gewebe deshalb unter sehr milden Bedingungen
ablaufen, weil dort gewisse Katalysatoren vorhanden sind, die in der unbelebten
Natur fehlen. Tatsächlich konnte 1833 der französische Chemiker
Anselme Payen (1795-1871), kurz bevor sich Berzelius dieser Sache
annahm, aus keimender Gerste einen Stoff extrahieren, der noch schneller
als Säure den Abbau der Stärke zu Zucker bewirkte. Er nannte
ihn "Diastase". Diastase und andere ähnliche Stoffe wurden "Fermente"
genannt, weil die Verwandlung von Stärke in Zucker eine Voraussetzung
der Gärung von Getreide ist.
Fermente wurden bald auch aus tierischen Organismen gewonnen. Die ersten
erhielt man aus Magensäften. Reaumur hatte gezeigt, dass die Verdauung
ein chemischer Vorgang war, und im Jahre 1824 gelang es dem englischen
Arzt William Prout (1785-1850) Salzsäure aus Magensäften
zu isolieren. Salzsäure war eine streng anorganische Substanz, und
das überraschte die Chemiker. Im Jahre 1835 gelang es jedoch Schwann,
einem der Begründer der Zelltheorie, einen Extrakt aus Magensäften
zu gewinnen, der keine Salzsäure war, aber Fleisch noch wirkungsvoller
als die Säure abbaute. Es handelte sich dabei um das eigentliche
Ferment. Schwann nannte es "Pepsin", nach einem griechischen Wort, welches
soviel wie "verdauen" bedeutet.)
Immer weitere Fermente wurden entdeckt, und in der zweiten Hälfte
des neunzehnten Jahrhunderts wurde klar, dass diese die besonderen
Katalysatoren der lebenden Gewebe waren, jene Katalysatoren, die dem Organismus
erlaubten, was die Chemiker nicht zuwege brachten.
Die aus Magensäften gewonnenen Fermente führten ihre Verdauungsarbeit
sehr gut im Reagenzglas aus. Man konnte daher vermuten, dass sich nach
Sammlung aller verschiedenen Fermente jede innerhalb eines lebenden Organismus
ablaufende Reaktion auch im Reagenzglas ohne das Eingreifen von Lebenskräften
wiederholen lassen würde, da den Fermenten selbst (wenigstens den
bekannten) zweifellos kein Leben innewohnte. Noch mehr: die Fermente gehorchten
sogar denselben Regeln, die auch von anorganischen Katalysatoren, z. B.
Säuren oder Platin, befolgt wurden.
Die Ansicht der Vitalisten war es daher, dass die Fermente aus Verdauungssäften
ihre Arbeit sowieso außerhalb der Zelle verrichteten. Ein Verdauungssaft,
der in die Därme abgegeben würde, könnte ebenso gut in
ein Reagenzglas geschüttet werden. Aber die Fermente, die innerhalb
der Zelle blieben und ihre Arbeit nur innerhalb der Zelle verrichteten,
waren von anderer Art. Die Vitalisten behaupteten damals, dass diese jenseits
des Zugriffs der Chemiker lägen.
Danach wurden die Fermente in zwei Klassen eingeteilt: "Unorganisierte
Fermente", die außerhalb der Zelle arbeiteten wie z. B, Pepsin,
und "organisierte Fermente", die nur innerhalb der Zelle arbeiteten, wie
diejenigen, welche es der Hefe ermöglichten, Zucker in Alkohol zu
verwandeln.
Im Jahre 1876 regte der deutsche Physiologe Wilhelm Kühne (1837-1900)
an, nur für jene Prozesse das Wort Ferment zu benutzen, die einen
Lebensvorgang erforderten. Dagegen sollten die außerhalb der Zelle
arbeitenden Fermente mit "Enzyme" (aus griechischen Wörtern mit der
Bedeutung "in der Hefe") bezeichnet werden, da sie in ihrer Wirkung den
Fermenten der Hefe ähnlich waren.
Im Jahre 1897 wurden die Vitalisten in dieser Hinsicht ganz unerwartet
von dem deutschen Chemiker Eduard Buchner (1860 bis 1917) auf das
äußerste bedrängt. Er zermahlte Hefezellen solange mit
Hilfe von Sand, bis keine einzige mehr unversehrt war und filterte dann
die zermahlene Substanz. Er erhielt dadurch zellfreien Hefesaft. Er erwartete,
dass dieser Saft keine der Gärungseigenschaften der lebenden Hefezellen
haben würde. Es war für den Versuch natürlich wichtig,
den Saft von einer Verschmutzung durch Mikroorganismen abzuschirmen, denn
sonst würde er dennoch lebende Zellen enthalten und das Resultat
möglicherweise verfälschen.
Eine vielfach erprobte Methode, Materialien gegen Verschmutzung durch
Mikroorganismen zu schützen, ist die Zugabe einer konzentrierten
Zuckerlösung. Buchner tat dies und fand zu seinem Erstaunen, dass
der Zucker langsam zu gären begann, obgleich die Mischung mit Sicherheit
kein Leben enthielt. Er experimentierte weiter, indem er die Hefezellen
durch Alkohol abtötete, und fand, dass die toten Zellen den Zucker
ebenso gut wie die lebenden zur Gärung brachten.
Gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts erkannte man, dass alle Fermente,
die organisierten wie auch die unorganisierten, tote Substanzen waren,
die man aus Zellen gewinnen konnte und die ihre Arbeit auch im Reagenzglas
verrichteten. Der Name "Enzyme" wurde nun in gleicher Weise auf alle Fermente
angewandt, und man erkannte an, dass die Zelle keine Chemikalien enthielt,
die nur in Gegenwart irgendwelcher Lebenskräfte reagieren konnten.
Der Ausspruch Pasteurs, dass es ohne Leben keine Gärung gäbe,
konnte daher nur auf Situationen angewandt werden, wie sie in der Natur
vorkamen. Die einwirkende Hand des Menschen konnte die Hefezellen so behandeln,
dass auch nach ihrer Zerstörung und Abtötung die darin befindlichen
Fermente unversehrt blieben, und dann konnte die Gärung ohne das
Vorhandensein von Leben erfolgen.
Es wurde nun allgemein anerkannt, dass das Leben denselben Gesetzen gehorcht,
die auch die unbelebte Natur beherrschen. Es gibt kein biologisches Problem,
welches nicht grundsätzlich im Laboratorium gelöst werden und
keinen Lebensprozess, der nicht in Abwesenheit des Lebens selbst dort
nachvollzogen werden könnte.
|