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Charles Scott Sherrington, Gustav Theodor Fechner, Ivan Petrovich Pavlov,
John Broaders Watson, Burrhus Frederic Skinner
Die Neuronentheorie konnte gut auf die Probleme des Verhaltens der Tiere
angewendet werden. Bereits im Jahre 1730 beobachtete Stephen Hales,
dass ein enthaupteter Frosch mit den Hinterbeinen immer noch Wischbewegungen
ausführte, wenn in seine Rückenhaut gestochen wurde. Hier reagierte
ein Körper mechanisch ohne die Hilfe des Gehirns. Dies gab Anlass
zu einer Untersuchung der mehr oder weniger automatischen "Reflexhandlungen",
bei denen nach einem festgesetzten Programm und ohne Einwirkung des Willens
Reaktionen unmittelbar auf eineinen Reiz folgen.
Auch der Mensch ist nicht frei von solchen automatischen Handlungen.
Ein Schlag dicht unterhalb der Kniescheibe ruft den bekannten Kniesehnenreflex
hervor. Wenn man seine Hand zufällig an einen heißen Gegenstand
bringt, zuckt sie sofort zurück, noch bevor man den Gegenstand als
heiß erkannt hat. Der englische Physiologe Charles Scott Sherrington
(1861-1952) untersuchte Reflexhandlungen und begründete die Neurophysiologie,
so wie Golgi mit seiner Färbemethode vorher die Neuroanatomie begründet
hatte. Sherrington demonstrierte die Existenz eines "Reflexbogens", eines
Komplexes von wenigstens zwei und oft mehr als zwei Neuronen. Ein an einer
Stelle erfolgter Sinneseindruck schickt entlang einem Neuron einen Nervenimpuls,
der sich dann über eine Synapse (Sherrington erfand das Wort)
und ein zurückführendes Neuron an eine andere Stelle fortpflanzt
wo er eine Muskelbewegung oder vielleicht eine Drüsensekretion hervorruft.
Die Tatsache, dass möglicherweise noch ein oder mehr als ein Neuron
zwischen dem ersten und dem letzten liegt, ändert nichts am Prinzip.
Es schien so, als ob die Synapsen in solcher Weise angeordnet seien,
dass einige leichter als andere von dem Impuls überquert würden.
So könnte es besondere Bahnen geben, die in dem verschlungenen Spinnengewebe
der Neuronen, aus dem das Nervensystem besteht, leichter zu durchlaufen
wären.
Weiterhin könnte man annehmen, dass eine Bahn die andere öffne,
dass mit anderen Worten eine Reflexhandlung als Anregung einer zweiten,
diese als Stimulus für eine dritte usw. wirke. Das mehr oder weniger
komplexe Verhaltensschema das wir "Instinkt" nennen, könnte dann
durch eine Anhäufung von Reflexen aufgebaut sein.
Ein relativ kleiner und einfacher Organismus wie der eines Insekts könnte
nicht viel mehr als ein Bündel von Instinkten sein. Da sich die "Nervenbahnen"
sehr gut als vererbt denken lassen, wäre auch verständlich,
dass Instinkte erblich und von Geburt an vorhanden sind. So kann zum Beispiel
eine Spinne ihr Netz vollendet ausführen, selbst wenn sie niemals
vorher das Spinnen eines Netzes gesehen hat, und jede Spinnenart führt
ihr Netz nach einem eigenen Plan aus.
Säugetiere (besonders aber der Mensch) besitzen verhältnismäßig
wenig Instinkte, sind aber fähig zu lernen, das heißt, sie
können neue Verhaltensweisen auf Grund von Erfahrungen entwickeln.
Obgleich das systematische Studium ihres Verhaltens mit Hilfe der Neuronentheorie
schwierig sein mag, gelingt seine Analyse doch rein empirisch. Wie die
Geschichte lehrt, haben es intelligente Männer immer wieder gelernt,
die Reaktionen der Menschen unter bestimmten Bedingungen abzuschätzen,
und diese Fähigkeit hat sie zu Meistern in der Menschenführung
werden lassen
Die Anwendung quantitativer Messungen auf den menschlichen Geist (jedenfalls
auf seine Fähigkeit, die Umwelt sinnlich wahrzunehmen) beginnt mit
dem deutschen Physiologen Ernst Heinrich Weber (1795-1878). In den dreißiger
Jahren des neunzehnten Jahrhunderts fand er, dass die Größe
der Differenz zweier Empfindungen der gleichen Art vom Logarithmus der
Stärke der Einwirkung abhing.
Wenn wir, wie bei der Beleuchtung eines Raumes, zunächst eine Kerze
anzünden, wird das Anbrennen einer zweiten Kerze die Lichtempfindung
um einen Betrag x verstärken. Eine weitere Verstärkung der Lichtempfindung
um den gleichen Betrag x wird aber nicht durch einzelne zusätzliche
Kerzen bewirkt, sondern durch eine jeweils steigende Anzahl. Zuerst genügt
eine zusätzliche Kerze, um einen Helligkeitszuwachs der Größe
x zu erreichen, dann braucht man zwei weitere Kerzen, dann vier, dann
acht usw. für jede Verstärkung des Sinneseindrucks um x. Diese
Regel wurde 1860 durch den deutschen Physiker Gustav Theodor Fechner
(1801-1887) populär gemacht und wird daher auch manchmal als
"Weber-Fechnersches Gesetz" bezeichnet. Das war da Beginn der quantitativen
Erforschung der Empfindungen.
Die Untersuchung der Verhaltensweisen (Psychologie) kann im allgemeinen
nicht so einfach auf ein mathematisches Modell zurückgeführt
werden, doch lassen sich experimentelle Methoden anwenden. Der Begründer
dieser Richtung war der deutsche Psychologe Wilhelm Wundt (1832-1920),
der im Jahre 1879 das erste Institut für experimentelle Psychologie
einrichtete. Aus seiner Arbeit ergaben sich Verfahren, die sich unter
anderem darauf bezogen, wie sich Ratten in einem Irrgarten zurechtfinden
und welche Überlegungen Schimpansen anstellen, um Bananen zu erreichen.
Diese Verfahren wurden auch auf Menschen angewendet. Man benutzte ebenfalls
Fragen und Problemsituationen bei dem Versuch, die menschliche Intelligenz
zu messen. Der französische Psychologe Alfred Binet (1857-1911)
veröffentlichte 1905 seinen ersten IQ (Intelligenzquotient) Test.
Grundlegendere Arbeiten, welche das Verhalten in engerem Zusammenhang
mit dem Nervensystem betrachteten, wurden von dem russischen Psychologen
Ivan Petrovich Pavlov (1849-1936) durchgeführt. Zu Beginn seiner
Laufbahn interessierte er sich dafür, wie die Abscheidung der Magensäfte
durch die Nerven gesteuert wird. Um die Jahrhundertwende begann er jedoch
mit der Untersuchung von Reflexen.
Ein hungriger Hund wird beim Anblick von Nahrung Speichel absondern.
Das ist ein sinnvoller Reflex, denn Speichel wird zur Einweichung und
Verdauung der Nahrung gebraucht. Wenn eine Klingel jedes Mal dann schrillt,
sobald dem Hund Nahrung gezeigt wird, assoziiert dieser das Ertönen
der Klingel mit dem Anblick von Nahrung. Schließlich wird der Hund
auch dann Speichel absondern, wenn er nur die Klingel hört, ohne
dass er Nahrung sieht. Das wurde damals als "bedingter Reflex" bezeichnet.
Pavlov konnte zeigen, dass sich alle möglichen Reflexe auf diese
Weise erzeugen ließen.
Es entstand die psychologische Schule des "Behaviorismus", welche die
Behauptung aufstellte, dass jeder Lernvorgang durch die Entwicklung bedingter
Reflexe und gewissermaßen neue Schaltung des Nervensystems bewerkstelligt
werde. Man bringt das Bild des gedruckten Wortes "Stuhl" mit dem durch
die Aussprache des Wortes erzeugten Klangmuster wie auch mit dem eigentlichen
Gegenstand, auf dem man sitzt, in Verbindung, bis schließlich der
bloße Anblick von "Stuhl" sofort den Gedanken an das Objekt hervorruft.
Die hervorragenden Vertreter der extremen Richtung des Behaviorismus
waren zwei amerikanische Psychologen, John Broaders Watson (1878-1958)
und später Burrhus Frederic Skinner (1904-1990).
Der Behaviorismus ist eine einfache mechanistische Auffassung der Psychologie
und erklärt alle Regungen des Geistes durch die physikalische Anordnung
des komplexen Nervengeflechts. In der Zwischenzeit hat sich die Überzeugung
durchgesetzt, dass diese Interpretation des Behaviorismus banal ist.
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