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Eine Sprache im eigentlichen Sinne des Wortes jedoch haben die Tiere
nicht. Jedem Individuum einer höheren Tierart, vor allem einer gesellschaftlich
lebenden wie Dohle oder Graugans, ist ein ganzer Signalkodex von Ausdrucksbewegungen
und -lauten angeboren. Und angeboren ist sowohl die Fähigkeit, diese
Signale auszusenden, als auch die, sie richtig zu "verstehen", das heißt,
in arterhaltend sinnvoller Weise zu beantworten.
Mit diesen Erkenntnissen, die durch viele Beobachtungen und Experimente
gesichert sind, geht ein großer Teil der Ähnlichkeit verloren,
die alle tierischen "Verständigungsmittel" bei oberflächlicher
Betrachtung mit der menschlichen Wortsprache haben. Diese Ähnlichkeit
vermindert sich noch weiter, wenn einem allmählich klar wird, dass
das Tier in allen Lebensäußerungen und Ausdrucksbewegungen
keineswegs die bewusste Absicht hat, einen Artgenossen durch sie zu beeinflussen.
Auch allein aufgezogene und gehaltene Graugänse, Stockenten oder
Dohlen geben alle diese Signale von sich, sobald sie die betreffende Stimmung
anwandelt. [ ... ]
Alle Ausdruckslaute der Tiere, wie das Kja und Kjuh der Dohle, der viel-
und der wenigsilbige Stimmfühlungslaut der Graugans, all das ist
unserer Wortsprache nicht vergleichbar, sondern ausschließlich solchen
Stimmungsäußerungen wie Gähnen, Stirnrunzeln, Lächeln
und dergleichen, die unbewusst und angeborenermaßen "geäußert"
und ebenso verstanden werden. Die "Worte" der verschiedenen Tier-"Sprachen"
sind sozusagen nur Interjektionen.
Konrad Lorenz
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