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Es sind sehr verschiedene Motive, welche die Menschen zur Anschaffung
und Haltung eines Tieres veranlassen können: aber nicht alle sind
gut. Vor allem unter den Hundefreunden gibt es Leute, die nur bitterer
Erfahrungen wegen beim Tier Zuflucht suchen. Es stimmt mich ernst und
traurig, wenn ich den bösen und völlig falschen Satz höre:
"Die Tiere sind doch besser als die Menschen." Sie sind dies
nämlich wirklich nicht! Zugestanden, die Treue eines Hundes findet
nicht leicht ihresgleichen unter den sozialen Loyalitäten des Menschen.
Dafür kennt aber der Hund jenes Labyrinth oft einander widersprechender
moralischer Verbindlichkeiten nicht, er kennt nicht, oder nur in verschwindendem
Maße, den Zwiespalt zwischen Neigung und Sollen, kurz alles das,
was uns arme Menschen schuldig werden lässt. Auch der treueste Hund
ist im Sinne menschlicher Verantwortlichkeit amoralisch.
Die wirklich genaue Kenntnis sozialer Verhaltensweisen höherer Tiere
führt durchaus nicht, wie viele glauben, zu einer Unterschätzung
der Unterschiede zwischen Mensch und Tier, im Gegenteil: nur ein guter
Kenner tierischen Verhaltens ist imstande, die einzigartige und hohe Stellung
richtig einzuschätzen, die der Mensch unter den Lebewesen einnimmt.
Der wissenschaftliche Vergleich des Tieres mit dem Menschen, der einen
so wesentlichen Teil unserer Forschungsmethode ausmacht, bedeutet ebenso
wenig eine Herabsetzung der Menschenwürde wie die Anerkennung der
Abstammungslehre. Es liegt im Wesen des schöpferischen organischen
Werdens, dass dieses immer völlig Neues und Höheres schafft,
das in der Vorstufe, in der es seinen Ursprung nahm, in keiner Weise vorgebildet
oder auch nur enthalten war. Wohl steckt auch heute noch alles Tier im
Menschen, keineswegs aber aller Mensch im Tier. Unsere stammesgeschichtliche
Untersuchungsmethode, die notwendigerweise von der unteren Stufe, vom
Tiere, ausgeht, lässt uns gerade das wesentlich Menschliche, jene
hohen Leistungen menschlicher Vernunft und Ethik, die in der Tierreihe
nie da gewesen sind, besonders klar sehen, da wir sie von jenem Hintergrunde
alter historischer Eigenschaften und Leistungen abheben, die dem Menschen
auch heute noch mit den höheren Tieren gemeinsam sind. Der Satz,
die Tiere seien doch besser als die Menschen, ist einfach eine Gotteslästerung;
auch für den kritischen Naturforscher, der den Namen Gottes nicht
so leicht eitel nennt, bedeutet sie die satanische Leugnung der schöpferischen
Höherentwicklung in der Organismenwelt.
Leider verharrt ein erschreckend großer Teil der Tierfreunde, vor
allem aber der Tierschützer, auf diesem ethisch höchst gefährlichen
Standpunkt. Nur jene Tierliebe ist schön und veredelnd, die der weiteren
und allgemeineren Liebe zur gesamten Welt der Lebewesen entstammt, deren
wichtigster und zentraler Teil die Menschenliebe bleiben muss: "Ich
liebe, was da lebt", lässt J. V. Widmann in seiner dramatischen
Legende "Der Heilige und die Tiere" den Erlöser sagen.
Nur wer von sich das gleiche behaupten kann, darf ohne moralische Gefahr
sein Herz an die Tiere hängen. Wer aber, von menschlichen Schwächen
enttäuscht und verbittert, seine Liebe der Menschheit entzieht und
sie an Hund oder Katze wendet, begeht zweifellos eine schwere Sünde,
eine soziale Sodomie sozusagen, die ebenso ekelerregend ist wie die geschlechtliche.
Menschenhass und Tierliebe ergeben eine sehr böse Kombination.
Natürlich ist es harmlos und durchaus erlaubt, wenn einsame Menschen,
die irgendwelcher Gründe wegen sozialen Anschluss entbehren, aus
dem inneren Bedürfnis, zu lieben und geliebt zu werden, sich einen
Hund anschaffen. Man fühlt sich tatsächlich nicht mehr allein
auf der Welt, wenn wenigstens ein Wesen da ist, das sich darüber
freut, dass man wieder nach Hause kommt. Tier- und menschenpsychologisch
außerordentlich lehrreich, zuweilen auch erheiternd, ist das Studium
der harmonischen Abgestimmtheit von Herrn und Hund aufeinander. Schon
in der Wahl des Hundes, noch mehr aber in der späteren Entwicklung
der Beziehungen, kann man interessante Feststellungen machen. Wie im menschlichen
Leben führen auch hier sowohl äußerste Gegensätze
als auch größte Ähnlichkeit zu einem glücklichen
Zusammenleben. Findet man an älteren Ehepaaren Züge, als seien
Mann und Frau Geschwister, so lassen sich auch zwischen Herrn und Hund
im Laufe der Jahre Ähnlichkeiten des Gehabens feststellen, die rührend
und komisch zugleich wirken. Bei erfahrenen Hundekennern verstärken
sich diese Ähnlichkeiten natürlich noch dadurch, dass die Wahl
der Rasse und des Einzelhundes von der Sympathie für das Wesensverwandte
bestimmt wird. Die Chowhündinnen, die in zeitlicher Aufeinanderfolge
meine Frau durch das Leben begleiteten, sind typische Beispiele solcher
"Sympathie-" oder "Resonanzhunde". Mir geht es prinzipiell
ähnlich, so dass es für gute Freunde, die uns beide wie auch
unsere Hunde genau kennen, eine Quelle der Erheiterung ist, das Spiegelbild
unserer Eigenschaften in unseren Hunden zu finden. Die Hunde meiner Frau
sind stets auffallend reinlich und haben einen gewissen Ordnungssinn:
sie treten, scheinbar von selbst, nicht in Schmutzlacken und bewegen sich
auf den schmalsten Weglein zwischen Blumen- und Gemüsebeeten, ohne
je in diese hineinzutreten. Meine dagegen wälzen sich grundsätzlich
in jeder Pfütze und bringen unbeschreiblichen Dreck ins Haus, kurz,
sie unterscheiden sich in analoger Weise von meiner Gattin wie ich. Manches
ist daraus zu erklären, dass unter den Hunden unserer Zucht meine
Frau nur solche junge wählte, in welchen das Erbe der zurückhaltenden,
katzenhaft reinlichen und im ganzen "edleren" Chow-Chow überwog,
indes ich stets die bevorzugte,
In welchen mehr von dem lebhafteren, vitaleren, aber zweifellos ordinäreren
Naturell meiner alten Schäferhündin Tito zu erkennen war. Eine
weitere Parallele besteht darin, dass trotz enger Blutsverwandtschaft
die Hunde meiner Frau zart und mäßig, meine aber maßlos
viel fressen. Wie das zustande kommt, vermag ich einfach nicht zu erklären.
Meiner Meinung nach spricht es stets für eine gewisse Ausgeglichenheit
des Hundefreundes, ja geradezu für seine Selbstzufriedenheit, wenn
er einen Parallel- oder Resonanzhund hat. Ein Verhältnis, wie es
sich in einem solchen Fall zwischen Herrn und Hund bildet, hat ja zur
Voraussetzung, dass sie, nach den schönen Worten von Wilhelm Busch,
"beiderseits mit sich zufrieden sind". Anders ist dies beim
typologischen Gegenstück des Resonanzhundes, das ich als den "Komplementärhund"
bezeichnen möchte. Nicht, dass etwa hier das Verhältnis zwischen
Herrn und Hund weniger erfreulich und innig wäre, im Gegenteil, es
kann sogar besser sein, ähnlich jenen menschlichen Freundschaften,
in denen die Partner einander ergänzen. Anderseits gibt es Fälle,
in denen das Komplementär-Verhältnis unerquicklich wird. Einen
solchen beobachtete ich jüngst auf der Straße. Ein blasser,
schmalbrüstiger Herr mit bekümmertem und ärgerlichem Gesichtsausdruck,
in seiner Kleidung von schäbiger Respektabilität, mit Stehkragen
und Zwicker, kurz in jedem Zoll Büromensch und kleiner Beamter, ging
mit einem sehr großen, sichtlich etwas unterernährten deutschen
Schäferhund, der in gedrückter Haltung dicht "bei Fuß"
einher schlich.
Der Mann trug eine schwere Hundepeitsche, und als er plötzlich stehen
blieb und der Hund dabei mit der Nase um nur wenige Zentimeter über
die dressurmäßig festgesetzte Linie vorwärtskam, schlug
er hart und scharf mit dem Peitschenstiel nach der Nase des Hundes. Der
Gesichtsausdruck des Menschen zeigte in diesem Augenblick einen solchen
Abgrund von Hass und gereizter Nervosität, dass ich mich nur mühsam
zurückhalten konnte, Anlass zu einem öffentlichen Streit zu
geben. Ich wette Tausend gegen Eins, dass jener unglückliche Hund
seinem noch unglücklicheren Herrn gegenüber genau die gleiche
Rolle spielte, wie dieser im Büro gegenüber seinem vielleicht
ebenso bedauernswerten Vorgesetzten.
Konrad Lorenz
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