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Zu den sprichwörtlich gewordenen Dummheiten, gegen welche die Wissenschaft
vergeblich kämpft, gehört die Meinung, Katzen seien falsch.
Es ist mir unklar, wie sie entstanden sein mag. Unmöglich kann dazu
die Jagdweise der Katze beigetragen haben, das leise Beschleichen der
Beute, denn Tiger und Löwen jagen nicht anders. Hingegen bleibt die
Katze von dem Vorwurf, blutdürstig zu sein, verschont, obwohl sie
gleich jenen Raubtieren ebenfalls ihre Beute totbeißt. Ich weiß
kein einziges, der Katze eigentümliches Verhalten, das man nur annähernd,
wenn auch zu Unrecht, "falsch" nennen könnte. Es gibt wenige
Tiere, in deren Gesicht der Kundige so eindeutig die augenblickliche lesen
könnte wie in dem der Katze. Man weiß immer, woran man ist,
welche Handlung für den nächsten Augenblick erwartet werden
kann. Wie unmissverständlich ist der Ausdruck vertrauensvoller Freundlichkeit,
wenn das Gesicht faltenlos dem Beschauer zugewandt ist, die Ohren aufgerichtet
sind und die Augen offen stehen, wie unmittelbar drückt sich jede
aufwallende, ängstliche oder feindselige Erregung in den Spannungszuständen
der mimischen Muskulatur aus. Die Streifenzeichnung im Gesichte einer
wildfarbigen Katze macht diese leisen Bewegungen der Gesichtshaut noch
besonders deutlich und vermehrt die Ausdrucksfülle der Mimik, einer
der Gründe, weshalb ich die wildfarbig getigerte Hauskatze allen
anderen vorziehe. Ein leises Anklingen von Misstrauen - noch lange nicht
von Furcht -, und schon sind die unschuldig runden Augen etwas länglich
und schräg geworden, die Ohren haben ihre aufrechte und "zugeneigte"
Stellung aufgegeben, und es bedürfte gar nicht der subtilen Veränderung
der Körperhaltung sowie der sich hin- und herbewegenden Schwanzspitze,
um den veränderten Seelenzustand zutage treten zu lassen.
Und wie ausdrucksvoll sind erst die Drohstellungen der Katze, wie voneinander
völlig verschieden, je nachdem, wem sie gelten, dem befreundeten
Menschen, wenn er sich zuviel "herausnimmt", oder einem ernstlich
gefürchteten Feinde; verschieden aber auch, je nachdem, ob die Drohung
bloß defensiv gemeint ist oder ob sich die Katze dem Gegner überlegen
fühlt und ihren Angriff ankündigt. Dies tut sie nämlich
immer. Abgesehen von unverlässlichen und verrückten Psychopathen,
die es unter hochgezüchteten Katzen ebenso gibt wie unter hochgezüchteten
Hunden, kratzt oder beißt eine Katze niemals, ohne den Beleidiger
ernst und verständlich gewarnt zu haben, ja, die allmählich
stärker werdenden Drohgebärden erfahren meist unmittelbar vor
dem Angriff noch eine ruckartige Steigerung, die gewissermaßen ein
Ultimatum bedeutet: "Läßt du nicht sofort ab, bin ich
zu meinem Bedauern genötigt, Repressalien zu ergreifen!"
Einem Hunde, oder überhaupt einem großen, sie gefährdenden
Raubtiere, droht die Katze, indem sie den bekannten Buckel macht: dieser,
sowie das am Rücken und am Schwanz gesträubte Fell (wobei der
Schwanz etwas seitwärts gehalten wird), lassen das Tier dem Feinde
größer erscheinen als es ist, zumal sich die Katze auch ein
wenig breitseits zum Gegner stellt, ein Verhalten, das dem Imponiergehaben
mancher Fische ähnelt. Die Ohren sind flach niedergelegt, die Mundwinkel
nach hinten gezogen, die Nase ist gerunzelt. Ein leises, aber ungemein
bedrohlich klingendes, metallisches Knurren steigt aus der Brust des Tieres
empor und geht zeitweise unter gleichzeitiger Verstärkung da Nasenrunzelns
in das bekannte "Spucken" über, das heißt in ein
stoßweises Fauchen, bei dem der Rachen sehr weit aufgerissen ist
und die Eckzähne entblößt werden. An sich ist diese Drohmimik
zweifellos defensiv gemeint, man beobachtet sie am häufigsten, wenn
eine Katze sich unerwartet, also ehe sie fliehen konnte, einem großen
Hunde gegenüber sieht. Kommt dieser trotz der Warnung noch näher
heran, so flieht die Katze nicht, sondern greift bei Überschreitung
einer bestimmten "kritischen Distanz" an: sie wirft sich dem
Hunde ins Gesicht und bearbeitet mit Krallen und Zähnen die empfindlichsten
Stellen, womöglich Augen und Nase des Gegners. Prallt der Feind auch
nur einen Augenblick zurück, so benutzt die Katze diese minimale
Atempause regelmäßig zur Flucht. Der kurze Angriff ist also
nur ein Mittel, um loszukommen.
In einem Falle aber kann der Angriff der Katze in der Buckelstellung,
fortgesetzt werden, und zwar dann, wenn eine Mutter ihre jungen von einem
Hunde bedroht glaubt. Hierbei geht die Katze auch aus größerer
Entfernung ihrem Feinde entgegen; da sie Buckel- und Breitseitsstellung
beibehält, kommt eine höchst eigenartige Bewegungsweise zustande:
die Katze galoppiert quer zu ihrer Längsachse auf den Gegner zu.
An einem erwachsenen Kater habe ich dieses Verhalten, ausgenommen im Spiel,
nicht beobachtet; er kommt ja auch nie in die Lage, einen überlegenen
Feind dergestalt angreifen zu müssen. Bei säugenden weiblichen
Katzen jedoch bedeutet der Angriff in Breitseitstellung immer den unbedingten
und restlosen Opfermut. In diesem Zustand ist das sanfteste Kätzchen
beinahe unüberwindlich. Ich habe große Hunde, berüchtigte
Katzentöter, vor solchem Angriff kapitulieren und fliehen gesehen.
Ernest Seton Thompson beschreibt anschaulich eine entzückende und
zweifellos wahre Begebenheit: im Yellowstone-Park schlug eine Katzenmutter
einen Bären in die Flucht und verfolgte ihn, bis er in seiner Angst
auf einen Baum kletterte!
Wiederum anders, und diesmal mit Gebärden der Demut verwandt, ist
das Drohen einer Katze, die von einem befreundeten Menschen übermäßig
sekkiert wird. Diese Art gehemmter, von um Gnade flehenden Gesten der
Unterwerfung überlagerter Drohgebärden kann man oft auf Katzenausstellungen
beobachten, wo die Tiere in fremder Umgebung sind und sich von fremden
Menschen, beispielsweise von Preisrichtern, angreifen lassen müssen.
Wird die Katze durch derartige Umstände in Angst versetzt, duckt
sie sich, ihr Körper wird immer niedriger, bis er schließlich
eng an die Unterlage geschmiegt ist. Die Ohren sind drohend flachgelegt,
die Schwanzspitze peitscht erregt hin und her, bei höheren Graden
der Erregung beginnt die Katze zuweilen auch zu knurren. In dieser Stimmung
sucht das Tier unbedingt Rückendeckung: es fährt blitzschnell
hinter einen Schrank, in einen Kamin oder hinter eine Zentralheizung;
ist eine derartige Deckung nicht erreichbar, drückt sie sich wenigstens
an die Wand, und zwar stets so, dass sie mit dem Rücken zur Wand
gewendet und an diese gepresst, schräg daliegt. Die Schräglage
ist selbst dann zu bemerken, wenn das bedrängte Tier frei auf dem
Tische vor dem Preisrichter sitzen muss; sie bedeutet eine drohende Andeutung
der Bereitschaft, mit der einen Vorderpranke zuzuschlagen. Je ängstlicher
das Tier wird, desto schiefer liegt es da, schließlich hebt es eine
Pfote, der schlagbereit die Krallen entragen. Bei einer weiteren Steigerung
der Angst führt dieselbe Reaktionsweise zu der letzten, verzweifelten
Verteidigungsmaßnahme, die der Katze zur Verfügung steht: sie
rollt sich auf den Rücken und kehrt alle Waffen dem Bedränger
zu. Selbst der Katzenkenner ist erstaunt, wie gelassen die erfahrenen
Preisrichter eine Katze angreifen, welche die Pranke zum Schlage erhoben
und den Rachen aufgerissen hat, wobei sie die am und abschwellende Melodie
des Katerliedes singt. Obwohl die Katze in solchen Fällen unmissverständlich
sagt: "Faß mich nicht an, ich werde sonst beißen und
zuschlagen", tut sie dies im entscheidenden Moment doch nicht, oder
nur gehemmt und mit geringer Durchschlagskraft. Noch unter dieser schweren
Beanspruchung halten die erworbenen Hemmungen des gezähmten "artigen"
Tigers stand! Die Katze stellt sich also nicht vorher freundlich, um dann
plötzlich zu beißen und zu kratzen, sondern sie droht, um den
von ihrem Standpunkt aus unerträglichen Belästigungen der Preisrichter
zu entgehen, bringt es aber dann doch nicht übers Herz, die Drohungen
wahrzumachen. So also ist es mit der "Falschheit" der Katze
bestellt.
Ich möchte es ihr indessen nicht als Verdienst anrechnen, dass sie
nicht imstande ist, sich zu verstellen; wohl aber werte ich es für
ein Zeichen der höheren Intelligenz des Hundes, daß er gerade
dies kann! Hierzu seien einige Beobachtungen mitgeteilt. Mein alter Bully
hatte ein feines Empfinden dafür, wenn er sich "blamiert"
hatte. Zweifellos merken kluge Hunde genau, wenn sie eine irgendwie klägliche
und im menschlichen Sinne komische Rolle spielen. Viele von ihnen geraten
ja auch in höchsten Zorn oder in tiefste Niedergeschlagenheit, wenn
man über sie lacht. Bully war schon alt und die Schärfe seiner
Augen hatte beträchtlich nachgelassen, weshalb es ihm öfter
unterlaufen konnte, dass er versehentlich mich oder heimkehrende Familienmitglieder
anbellte. Dies nahm er offensichtlich für eine schwere Blamage und
war selbst dann in peinlichster Verlegenheit, wenn ich seinen Irrtum taktvoll
überging. Eines Tages aber tat er in solcher Lage etwas Merkwürdiges,
das ich zunächst für Zufall hielt, später aber als eine
sehr hohe Intelligenzleistung, nämlich eine zweckgerichtete Vorgabe
falscher Tatsachen, erkennen musste.
Ich war durch das Hoftor getreten, und ehe ich noch Zeit gefunden hatte,
es hinter mir zu schließen, war der Hund laut bellend auf mich zugestürzt.
Da erkannte er mich, stutzte, war einen Augenblick verlegen, begann wiederum
zu bellen, drängte an mir vorbei, lief durch den Eingang auf die
Straße und hinüber an das Tor des Nachbarn, wo er wütend
weiterbellte, als habe er es von Anfang an so "vorgehabt". Damals
glaubte ich ihm noch und nahm den Augenblick der Verlegenheit für
einen Beobachtungsfehler meinerseits. Denn hinter jenem Tor befand sich
tatsächlich ein feindlicher Hund, dem der Bellangriff Bullys hätte
gelten können. Indessen belehrte mich die fast tägliche Wiederholung
dieses Verhaltens, dass der Hund tatsächlich eine "Ausrede"
gebrauchte, um zu verschleiern, dass er irrtümlich seinen Herrn angebellt
hatte. Zwar wurde der Augenblick, da Bully stutzte, immer kürzer,
er log sozusagen immer geläufiger und in dieser Hinsicht glaubhafter,
aber es kam vor, dass er zuweilen an Orte geriet, wo es überhaupt
nichts anzubellen gab, beispielsweise in eine leere Ecke des Hofes. Dort
stand er dann und bellte wütend an der Mauer empor.
Man könnte das beschriebene Verhalten auch einfacher, reizphysiologisch
erklären. Dass jedoch eine echte Verstandesleistung vorlag, ist daraus
ersichtlich, dass es Bully lernte, die gleiche Lüge für einen
völlig anderen Schwindel zu benützen.
Wie allen unseren Hunden war es auch ihm Gesetz geworden, unser verschiedenes
Geflügel nicht zu jagen. Dennoch ärgerte es ihn, wenn sich unsere
Hühner an seiner Futterschüssel mit den Resten seiner Mahlzeit
beschäftigten. Aber auch dann wagte er nicht, sie ernstlich zu jagen,
oder besser gesagt, er wagte nicht einzugestehen, dass er es tat. Er stürzte
grimmig bellend unter das Hühnervolk, das kreischend auseinander
stob, doch anstatt nun einen Vogel zu verfolgen oder gar nach ihm zu schnappen,
rannte er bellend in der eingeschlagenen Richtung weiter. Auch dabei kam
er oft an Orte, wo es durchaus nichts anzubellen gab. Denn so weit reichte
seine Schlauheit nicht, dass er sich in kluger Voraussicht ein in der
Richtung hinter den Hühnern gelegenes glaubhaftes Bellobjekt ausgesucht
hätte.
Anders war der Schwindel meiner Hündin Stasi. Bekanntlich sind viele
Hunde nicht nur wehleidig, sondern lassen sich auch gern bemitleiden.
Erzielen sie einen Vorteil, so lernen sie erstaunlich schnell, den mitleidigen
Menschen in bestimmtem Sinne zu beeinflussen. Auf einer längeren
Radtour in Posen hatte Stasi infolge Überanstrengung eine kleine
Sehnenscheidenentzündung am linken Vorderlauf bekommen. Da sie beträchtlich
hinkte, musste ich, anstatt mit dem Rad zu fahren, einige Tage zu Fuß
gehen. Auch später schonte ich sie und fuhr sofort langsam, wenn
ich merkte, dass sie müde wurde oder gar zu lahmen begann. Dies hatte
die schlaue Bestie bald durchschaut: schon nach kurzer Zeit begann sie
zu hinken, wenn ich in eine ihr unangenehme Richtung fuhr. Radelte ich
von meiner Unterkunft zum Reservelazarett oder gar zur Ambulanz in ein
anderes Krankenhaus, wo sie stundenlang an einer ihr unangenehmen Stelle
mein Rad bewachen musste, dann hinkte sie so erbärmlich, dass man
mir auf offener Straße Vorwürfe machte. Fuhr ich hingegen zur
Militärreitschule, wo ein Ausritt ins Grüne lockte, war das
Leiden weg. Am meisten durchsichtig aber war der Schwindel an einem dienstfreien
Samstag. Morgens, also zum Dienst, konnte das arme Tier selbst bei langsamstem
Tempo dem Rade kaum folgen; nachmittags, wenn ich in raschem Tempo die
sechzehn Kilometer zum Ketscher See fuhr, lief Stasi nicht hinter dem
Rade her, sondern sauste in scharfem Galopp auf dem ihr wohlbekannten
Wege voraus. Und am Montag hinkte sie wieder.
Konrad Lorenz
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