|
Mögen die Hundstage der Herkunft ihres Namens nach mit den Griechen
und mit dem Sirius verknüpft sein, ich nehme sie wörtlich. Wenn
man nämlich die geistige Arbeit "bis daher hat", wenn einem
Gescheitreden und Höflichkeit meterweit zum Halse hinaushängen,
wenn einen beim Anblick einer Schreibmaschine ein unwiderstehlicher Ekel
überkommt, welche Symptome gegen Ende eines Sommersemesters aufzutreten
pflegen, dann komme ich auf den Hund, oder besser gesagt, "auf das
Tier". Ich ziehe mich von der Gesellschaft der Menschen zurück
und suche die der Tiere auf, und zwar deshalb, weil ich kaum einen Menschen
kenne, der geistig faul genug ist, um mir in dieser Stimmung Gesellschaft
zu leisten. Ich habe die unschätzbare Gabe, bei hohem Wohlbefinden
meine höheren Denkprozesse völlig abstellen zu können;
dies ist die unbedingte Voraussetzung dafür, dass einem wirklich
so wohl ist wie Goethes sprichwörtlich gewordenen fünfhundert
Säuen.
Wenn ich an einem heißen Sommertage über die Donau schwimme
und dann, tief in den Auen, an einem verträumten Arm des großen
Stromes wie ein Krokodil im Schlamm liege, in einer Urlandschaft, in der
nicht das geringste Anzeichen auf die Existenz menschlicher Zivilisation
deutet, gelingt es mir manchmal, ein Wunder zu vollbringen, das die größten
orientalischen Weisen als höchstes Ziel anstreben: ohne dassich etwa
einschliefe, löst sich mein Denken in der umgebenden Natur auf, die
Zeit steht still, sie bedeutet nichts mehr, und wenn die Sonne sinkt,
die Abendkühle zur Heimkehr mahnt, weiß ich nicht, ob Sekunden
oder Jahre vergangen sind. Dieses animalische Nirwana ist das beste Gegengewicht
gegen geistige Arbeit, ein wahrer Balsam für die vielen wundgeriebenen
Stellen an der Seele des abgehetzten modernen Menschen.
Am leichtesten gelingt mir diese heilende Einkehr in das vormenschliche
Paradies in Gesellschaft eines Wesens, das seiner noch von Rechtswegen
teilhaftig ist - in der eines Hundes. Es sind also ganz bestimmte Gründe,
derentwegen ich einen Hund brauche, welcher mich treu begleitet, der aussieht
wie ein wildes Tier, der die wilde Landschaft nicht durch sein zivilisiertes
Aussehen verdirbt.
Gestern früh war es schon am dämmernden Morgen so heiß,
dass Arbeit - geistige Arbeit - hoffnungslos schien, ein gottgewollter
Donautag zog herauf.
Ich trete mit Käscher und Transportkanne bewaffnet aus meinem Zimmer,
denn von jedem Ausflug an die Donau bringe ich abends lebendes Futter
für meine Fische heim. Wie immer sind die Geräte für Susi
ein untrügliches Zeichen, dass ein Hundstag, ein glücklicher
Hundetag winkt. Sie ist überzeugt, dass ich eine solche Donau-Expedition
nur ihretwegen unternehme, und hat damit nicht so unrecht. Sie weiß,
dass sie nicht nur mitgehen "darf", sondern dass ich größten
Wert auf ihre Gesellschaft lege. Trotzdem drängt sie sich vorsichtshalber
zwischen meinen Beinen zum Hoftor hinaus, um nur ja nicht zurückgelassen
zu werden. Dann trottet sie mit hocherhobener, buschiger Rute vor mir
her, die Dorfstraße entlang, tänzelnden und übertrieben
elastischen Schrittes, muss sie doch allen Hunden des Dorfes zeigen, dass
sie vor ihnen auch dann keine Angst hat, wenn Wolf II. nicht in der Nähe
ist. Mit dem fürchterlich hässlichen Köter des Gemischtwarenhändlers
am Dorfplatz (der hoffentlich nie dieses Buch lesen wird -ich meine den
Greisler, nicht den Köter) flirtet sie kurz. Zur tiefsten Empörung
Wolfs II. liebt nämlich Susi diesen gescheckten Mischling über
alles; heute aber hat sie keine Zeit für ihn, und als er spielen
will, rümpft sie die Nase und zeigt ihre blendend weißen Zähne,
ehe sie weitertrabt, um vorschriftgemäß verschiedene Feinde
hinter verschiedenen Zäunen anzuknurren.
Die Dorfstraße liegt noch im Schatten und ihr harter Boden ist
kalt unter meinen bloßen Füßen, aber der tiefe Staub
des Auweges jenseits der Bahnunterführung dringt mir bereits wohlig
warm zwischen die Zehen. Über den Fußstapfen der vor mir trabenden
Hündin steht er in kleinen Wölkchen in der ruhigen Luft. Grillen
und Zikaden zirpen schon! - und in der nahen Au singen ein Pirol und ein
Mönch - Gott sei Dank, dass sie noch singen, dass der Sommer noch
jung ist.
Der Weg führt über eine frischgemähte Wiese, Susi biegt
vom Wege ab, denn dies ist die berühmte Mäusewiese. Ihr Trab
wird zu einem merkwürdigen stelzbeinigen Schleichen, den Kopf trägt
sie hoch, der Gesichtsausdruck verrät äußerste Spannung,
der Schwanz senkt sich tief und gerade nach hinten gestreckt zu Boden.
Susi sieht wie ein zu dick geratener Blaufuchs aus.
Plötzlich fliegt sie in steiler Parabel vorwärts, fast einen
Meter hoch und gut zwei Meter weit. Sie fällt auf steif vorgestreckte
und eng aneinander gehaltene Vorderpfoten und beißt genau dort,
wo sie auftrafen, wiederholt und blitzschnell ins kurze Gras. Mit hörbarem
Schnaufen bohrt sich ihre spitze Nase in den Boden, dann hebt Susi Kopf
und Schwanz und sieht sich wedelnd und verlegen lächelnd nach mir
um: die Maus ist weg! Kein Mensch wird mir einreden, dass sich Susi nicht
bis zu einem gewissen Grade "schämt", wenn ihr großer
Mäusesprung danebengeht, und dass sie stolz ist, wenn sie die Maus
erwischt hat.
Auch die nächsten vier Sprünge verfehlen ihr Ziel. Feldmäuse
sind eben unglaublich rasch und geschickt. Aber jetzt - Susi fliegt wie
ein geworfener Gummiball durch die Luft, und da ihre Pfoten wieder den
Boden erreichen, ertönt ein hohes, scharfes Quietschen. Die Hündin
beißt zu, lässt in einer schnellenden Schüttelbewegung
das, was sie gefasst hat, wieder fahren, ein kleiner grauer Körper
saust im Bogen durch die Luft, Susi in höherem hinterher; sie schnappt
dann mehrmals mit weit emporgezogenen Lefzen und nur mit den Schneidezähnen
zufassend nach etwas Quietschendem und Zappelndem im Grase. Hernach wendet
sie sich mir zu und zeigt mir eine stark aus der Facon geratene große
fette Feldmaus, die sie im Fange trägt. Ich bewundere sie gebührend
und versichere, dass sie ein reißendes und schreckerregendes Tier
sei, vor dem man Achtung haben müsse. Die Maus tut mir sehr leid,
aber ich kannte sie ja nicht persönlich, indes Susi meine nahe Freundin
ist, an deren Triumphen mich zu freuen ich geradezu verpflichtet bin.
Immerhin beruhigtes mein Gewissen, dass Susi die Maus auffrisst und damit
die einzige Berechtigung zum Töten, die es geben kann, beweist. Die
Hündin zerknutscht die Maus zwischen den Schneidezähnen zu einem
formlosen, aber noch in sich zusammenhängenden Gebilde, nimmt dann
die Beute tief ins Maul und beginnt sie zwischen den Reißzähnen
zu zerkleinern und zu schlucken. Dann hat sie vorläufig von der Mäusejagd
genug und schlägt mir vor, weiterzugehen.
Unser Weg führt an den Strom, wo ich mich ausziehe und Käscher,
Kanne und Kleider verstecke. Dann geht es stromaufwärts, auf dem
alten "Treppelweg",das heißt auf dem Pfade, der für
die Pferde vorgesehen war, die in alten Zeiten die Schiffe stromauf "treidelten".
Jetzt ist dieser Weg bis auf einen schmalen Streifen zugewuchert und führt
durch einen dichten Dschungel der kanadischen Goldrute (Solidago), die
unangenehm untermischt ist mit Brennnesseln und Brombeersträuchern,
so dass man beide Arme braucht, um sich die stechende und brennende Vegetation
vom Leibe zu halten.
Die feuchte Hitze in dieser Pflanzenwildnis ist unerträglich, hechelnd
folgt mir Susi dicht auf den Fersen, uninteressiert an allen jagdlichen
Verlockungen, die das Dickicht bietet. Schließlich sind wir an jener
Stelle angekommen, von der aus ich den Strom überqueren will. Eine
breite helle Kiesbank streckt sich hier bei niedrigem Wasserstand bis
weit in die Donau hinaus. Während ich auf meinen bloßen Füßen
über den schmerzenden groben Kies schleiche, läuft Susi freudig
voraus zum Wasser, geht bis an die Brust hinein und legt sich dann nieder,
so dass nur der dicke Kopf aus den Fluten ragt, ein eckiges kleines Gebilde
auf dem Hintergrunde der großen Wasserfläche.
Als ich in den Strom wate, kommt Susi dicht aufgeschlossen hinter mir
her und winselt leise. Sie ist noch nie über den Strom geschwommen
und hat vor seiner Breite etwas Angst. Ich spreche ihr beruhigend zu und
wate weiter; sie muss schon schwimmen, als mir das Wasser kaum über
die Knie reicht, und wird stark abgetrieben. Um ihr Mühe zu ersparen,
schwimme ich ebenfalls. Dass ich nicht weniger abwärtsgetrieben werde,
beruhigt sie sichtlich, so dass sie brav und treu neben mir schwimmt.
Von einem Hunde, der mit seinem Herrn schwimmt, wird eine ganz bestimmte
Intelligenzleistung gefordert. Der Mensch steht ja, dem Hunde ungewohnt,
im Wasser nicht lotrecht; so mancher Hund lernt nie, das zu begreifen.
Der Hund sucht deshalb dicht hinter dem aus dem Wasser ragenden Menschenkopf
zu bleiben, wobei er mit den rudernden Vorderpfoten den Rücken des
Herrn fürchterlich zerkratzt. Susi dagegen hat die beim Schwimmen
veränderte Körperhaltung des Menschen sofort begriffen und vermeidet
es sorgfältig, mir von hinten zu nahe zu kommen.
Jetzt, da sie sich auf dem weiten Strome ängstlich fühlt, schwimmt
sie seitlich so dicht wie möglich neben mir. Einmal wird ihre ängstliche
Erregung so stark, dass sie sich im Wasser hoch aufrichtet und nach dem
Ufer zurücksieht, von welchem wir gekommen sind. Ich befürchte
schon, sie würde umkehren, allein sie beruhigt sich wieder.
Bald aber macht sich ein anderer Übelstand bemerkbar: in ihrer Unruhe
und in dem Bestreben, die unheimliche breite Fläche des Stromes möglichst
rasch hinter sich zu bringen, schwimmt meine gute Susi in einem Tempo,
das ich auf die Dauer nicht halten kann. Ich plage mich schnaufend, Schritt
zu halten, aber sie überholt mich und entfernt sich immer weiter.
Es würde mir ja nichts ausmachen, käme sie lange vor mir jenseits
an; das aber will sie wieder nicht, denn als sie sich einige Meter vor
mir befindet, kehrt sie wiederum und schwimmt zu mir zurück. Nun
sieht sie aber das Heimatufer, weshalb die Gefahr besteht, dass Susi dorthin
schwimmt. Denn für ein Tier, das sich ängstigt, hat die Richtung
nach Hause einen gewaltigen Vorzug gegenüber jeder anderen. Hunden
fällt es überhaupt schwer, im Schwimmen die Richtung zu ändern;
deshalb bin ich froh, dass ich die Hündin zur neuerlichen Umkehr
bewegen kann.
Ich bemühe mich nun gewaltig, so nahe hinter Susi zu bleiben, dass
ich sie durch Zurufe in der gewünschten Richtung zu halten vermag,
sooft sie sich anschickt, umzukehren. Dass sie diese Zurufe überhaupt
versteht und sich von ihnen beeinflussen lässt, ist ein neuer Beweis
für ihre überdurchschnittliche Intelligenz.
Wir landen, Susi viele Meter vor mir, auf einer Sandbank, die steiler
abfällt als die, von der wir weggeschwommen sind. Als Susi aus dem
Wasser steigt, sehe ich, wie sie bei den ersten Schritten auf dem Lande
deutlich hin- und herschwankt. Diese kleine und in Sekundenschnelle vorübergehende
Gleichgewichtsstörung nach längerem Schwimmen kenne ich von
mir selbst sehr gut, auch viele gute Schwimmer bestätigen mir diese
Beobachtung, für die ich allerdings keine vernünftige physiologische
Erklärung weiß. Mit Erschöpfung hat die Erscheinung sicher
nichts zu tun, was mir übrigens auch Susi sofort beweist, indem sie,
freudig erleichtert, die unangenehme Überfahrt glücklich beendet
zu haben, in einen Freudentaumel ausbricht, den "Sausewahn"
bekommt, in engen Achterschleifen um mich herumgaloppiert und mir sodann
einen dicken Ast bringt, mit der Aufforderung, Apportel zu werfen, was
ich denn auch bereitwilligst tue.
Als sie dieses Spieles müde geworden ist, rast sie in höchstem
Tempo davon und jagt eine Bachstelze, die fünfzig Meter von uns entfernt
am Ufer sitzt. Natürlich weiß Susi, dass sie den Vogel nicht
fangen kann, aber sie weiß auch, dass Bachstelzen gern das Ufer
entlang fliegen und sich wieder niederlassen, wenn sie einige Dutzend
Meter Vorsprung erlangt haben, so dass man sie wunderbar als Schrittmacher
zu einem kleinen Jagdgalopp benutzen kann.
Ich freue mich, dass meine kleine Freundin so guter Laune ist, soll sie
mich doch wieder und wieder auf meinen Schwimmtouren begleiten. Aber ich
muss sie für ihre erste Donau-Überquerung nach Möglichkeit
belohnen. Ich kann dies nicht wirkungsvoller tun, als dass ich mit ihr
einen langen Spaziergang durch die jungfräuliche Wildnis der Auwälder
unternehme.
Wir wandern zunächst längs des Stromes aufwärts, dann
folgen wir dem Verlaufe eines Seitenarmes, der in seinen unteren Abschnitten
ruhiges, tiefes und klares Wasser hat, stromaufwärts aber in einer
Kette immer seichter werdender und spärlicher aufeinanderfolgender
Tümpel zerfällt.
Merkwürdig tropisch wirkt ein solcher Donauarm: die nicht regulierten
Ufer brechen steil, fast lotrecht ab, bestanden von einem typischen "Galeriewald"
aus hohen Weiden, Pappeln und Eichen, zwischen denen üppig wuchernde
Waldreben die Lianen markieren, Eisvogel und Pirol, Charaktervögel
eben dieser Landschaft, sind beide Vertreter von Vogelgruppen, deren weitaus
meiste Mitglieder Tropenbewohner sind, im Wasser wuchert Sumpfvegetation.
Tropisch ist auch die feuchte Hitze, die über dieser wundervollen
Landschaft lagert und die nur von einem nackten Menschen mit Würde
ertragen werden kann, und schließlich sei nicht verschwiegen, dass
Stechmücken, Malariamücken und eine Unzahl Bremsen dazu beitragen,
den tropischen Eindruck auch nach der unerfreulichen Seite zu verstärken.
In den breiten Schlammstreifen, welche den Donauarm beiderseits umfassen,
dauern bis zum nächsten Hochwasser, wie in Gips gegossen, die Spuren
verschiedenster Aubewohner. Wer hat behauptet, es gäbe hier keine
Hirsche mehr? Den Spuren nach zu urteilen, leben in diesen Wäldern
noch viele starke Hirsche, wenn man sie auch zur Brunftzeit nicht mehr
hört, so heimlich sind sie nach den Gefahren und Beunruhigungen des
letzten Krieges geworden, der am Ende gerade hier schlimm gehaust hat.
Reh und Fuchs, Bisamratte und kleinere Nager, unzählige Flussuferläufer,
Flussregenpfeifer und Bruchwasserläufer haben den Schlamm mit den
verschlungenen Ketten ihrer Fährten verziert. Und wenn schon meinem
Auge diese Spuren die interessantesten Geschichten erzählen, wie
viel mehr erst der Nase meiner kleinen Hündin! Sie schwelgt in Geruchsorgien,
von denen wir armen Nasenlosen uns überhaupt keine Vorstellungen
machen können. Die Spuren der Hirsche und der Rehe kümmern sie
gar nicht, denn Susi ist keine leidenschaftliche Jägerin größeren
Wildes, wohl deshalb, weil sie von ihrer Passion für die Mäusejagd
so völlig besessen ist.
Aber die Spuren der Bisamratten sind etwas anderes. Aufgeregt schleichend,
die Nase gesenkt, den Schwanz schräg nach hinten und nach oben gestreckt,
folgt sie ihnen, bis sie den Eingang zu einem Bau gefunden hat, der wegen
des ungewöhnlich niedrigen Wasserstandes oberhalb, nicht wie sonst
unterhalb, der Wasserlinie liegt. Susi steckt den Kopf in die Röhre
so tief sie kann und saugt gierig den offenbar berückenden Duft des
Wildes ein. Sie unternimmt sogar den hoffnungslosen Versuch, den Bau aufzugraben;
ich lasse sie gewähren, denn ich liege flach auf dem Bauch im handhohen,
lauen Wasser, die Sonne brennt auf meinen Rücken, ich habe keine
Eile, weiterzugehen. Schließlich wendet mir Susi ihr erdverkrustetes
Gesichtchen zu, wedelt, kommt hechelnd her, seufzt tief auf und legt sich
neben mir ins Wasser.
So liegen wir fast eine Stunde, dann steht Susi auf und bittet mich,
weiterzugehen.
Wir folgen dem immer trockener werdenden Laufe des Armes stromaufwärts,
und da, als wir eben um eine Krümmung biegen und der Blick auf einen
neuen Tümpel frei wird, hat Susi ein großes Erlebnis: am Tümpel
sitzt, noch ahnungslos, weil der Wind zu uns her weht, eine riesige Bisamratte,
das Ideal von Susis kühnsten Träumen, eine Abgottmaus, eine
Maus von ungeahnten Ausmaßen! Susi erstarrt, ich ebenfalls. Dann
beginnt sie, langsam wie ein Chamäleon Fuß vor Fuß setzend,
auf die Wundermaus hinzuschleichen. Sie kommt erstaunlich weit, fast die
halbe Strecke, die uns von der Bisamratte trennt. Es ist ungemein spannend,
da die ernste Hoffnung besteht, dass die Ratte, aufgeschreckt, in den
Tümpel springen wird, der tief im kiesigen Boden des Flussbettes
eingesenkt ist und keinen Ausgang hat. Der Bau liegt sicherlich auch hier
mehrere Meter vom Wasser weg, in der Ebene eines normalen Wasserstandes.
Aber ich hatte die Intelligenz des großen Nagers unterschätzt.
Der sieht plötzlich den Hund und schießt wie ein Blitz über
die Schlammfläche davon, uferzu, Susi gleich einer Rakete hinter
ihm drein, und zwar sehr klug nicht direkt auf das Wild zu, sondern in
einer Richtung, die geeignet ist, ihm den Weg abzuschneiden. Dabei schreit
Susi einen Schrei der höchsten Leidenschaft, wie ich ihn kaum je
von einem Hund gehört habe. Allerdings, hätte sie nicht geschrieen,
sondern ihre ganze Kraft auf das Laufen verwendet, wäre die Ratte
ihre Beute geworden, denn kaum einen halben Meter von Susi entfernt, verschwindet
die Gejagte in ihrem Bau. Susi riecht sehnsüchtig am Eingang der
Röhre, wendet sich dann enttäuscht ab und kommt zu mir ins Wasser.
Wir fühlen beide, dass der Tag uns keinen bedeutenderen Höhepunkt
mehr bieten wird.
Der Pirol singt, die Frösche quarren und die großen Libellen
jagen untertrockenem Schwirren ihrer gläsernen Flügel nach den
Bremsen, die uns belästigen - mögen sie recht viele erwischen!
So liegen wir den ganzen Nachmittag, bald im, bald am Wasser, und es gelingt
mir, tierischer als ein Tier zu sein, oder doch wenigstens fauler als
mein Hund, faul wie ein Krokodil.
Dies wird Susi allmählich doch zu langweilig. Sie beginnt, da ihr
nichts besseres einfällt, Frösche zu jagen, die, durch die lange
Bewegungslosigkeit sicher geworden, um uns ihr Wesen treiben. Susi schleicht
auf den nächsten Frosch zu und versucht schließlich, ihn mit
dem großen Mäusesprung zu bekommen. Möglich, dass sie
den Frosch mit den Vorderpfoten auf den Kopf getroffen hat; da aber das
Wasser kein festes Widerlager gewährt, geschieht dem Frosch gar nichts
und er taucht unbeschädigt weg. Susi schüttelt das Wasser aus
den Augen und sieht sich um, wo der Frosch etwa geblieben sein mag. Da
sieht sie ihn - oder glaubt wenigstens ihn zu sehen - weil der mitten
aus dem Tümpel ragende Kopftrieb einer Wasserminze für das schlechte
Auge eines Hundes einem stillsitzenden Frosch nicht unähnlich ist.
Susi beäugt das Ding mit schief gehaltenem Kopf, erst rechts, dann
links, langsam, ganz langsam steigt sie in das Wasser und schwimmt zur
Pflanze hin, beißt hinein, sieht wehleidig nach mir, ob ich etwa
über ihren blamablen Irrtum lache, schwimmt wieder ans Ufer und legt
sich neben mir nieder. Da sage ich: "Gehen wir nach Hause?"
Schon springt Susi empor und bezeugt mit allen ihr verfügbaren Ausdrucksmitteln
ihr Einverständnis. Wir bahnen uns den Weg durch den Dschungel, weit
oberhalb Altenbergs steigen wir in den Strom. Susi zeigt keine Furcht
mehr. Sie schwimmt ruhig und langsam neben mir stromab und lässt
sich vom Wasser tragen.
Wir landen dicht an der Stelle, wo ich Kleider, Netz und Transportkanne
zurückgelassen hatte. Rasch verschaffe ich noch meinen Fischen ein
üppiges Abendbrot aus dem nächsten Tümpel, dann gehen wir
im dämmernden Abend tief befriedigt heim, den gleichen Weg, den wir
gekommen waren. Auf der Mäuse wiese hat Susi großen Erfolg:
sie fängt in rascher Folge drei dicke Feldmäuse und mag sich
so über ihre Mißerfolge mit Bisamratte und Frosch trösten.
Konrad Lorenz
|