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Der König Salomo, so steht geschrieben, redete mit dem Vieh, den
Vögeln, den Fischen und dem Gewürm. Das kann ich auch. Zwar
nicht mit allem Getier, wie der alte König es gekonnt haben soll,
zugegeben, dass ich ihm darin unterlegen bin. Aber ich rede mit einigen
Arten, die ich gut kenne; ich brauche dazu jedoch keinen Zauberring. In
dieser Hinsicht bin ich wiederum dem alten König überlegen,
zumal dieser ohne seinen Ring nicht einmal die Sprache der ihm am besten
vertrauten Tiere verstanden hätte. Und als er den Ring nicht mehr
besaß, verhärtete sich sogar sein Herz gegen die Tierwelt.
Salomo soll den Zauberring nämlich im Zorn weggeworfen haben, als
ihm eine Nachtigall verriet, dass eine seiner neunhundertneunundneunzig
Frauen einen Jüngeren liebe. So wenigstens erzählt dies J. V.
Widmann in seiner reizenden Legende „Der Heilige und die Tiere“.
Das mag nun sehr weise oder sehr dumm von Salomo gewesen sein; ich für
meine Person finde es jedenfalls unsportlich, im Verkehr mit Tieren Zauberringe
zu benützen. Ohne jede Zauberei erzählen einem die lebendigen
Wesen die schönsten Geschichten, nämlich solche, die wahr sind.
Und die Wahrheit ist in der Natur immer noch viel schöner als alles,
was unsere Dichter, die einzigen wirklichen Zauberer, die es gibt, sich
je ausdenken können.
Es ist nichts Besonderes, das »Vokabularium« einiger Tierarten
zu verstehen. Wir können auch Zu den Tieren sprechen, wenigstens
soweit dies im Bereiche. der Möglichkeiten unserer physischen Ausdrucksmittel
liegt und sofern die Tiere ihrerseits bereit sind, mit uns Kontakt aufzunehmen.
Man muss aber dann auch aufpassen, dass man sich nicht verspricht, wie
es meinem Freunde Alfred Seitz einmal unterlaufen ist. Wir drehten damals,
an einem Frühsommertag, gerade unseren Graugansfilm in den Auen der
Donau. Langsam zogen wir durch eine jungfräuliche Urlandschaft von
Wasser, Weiden und Schilf, langsam, sehr langsam, denn unser Marschtempo
entsprach der Höchstgeschwindigkeit der dreizehn jungen Stockenten
und der neun kleinen Graugänse, die in langer Kolonne hinter uns
herwanderten. Schließlich hatten wir einen schönen, malerischen
Platz erreicht, der Alfred für seine Aufnahmen passte. Er widmete
sich sofort seinem Geschäft und auch ich richtete mich für die
wissenschaftliche Leitung des ganzen Unternehmens ein. Die bestand im
Augenblick darin, dass ich mich auf einem Inselchen im Grase sonnte. Alfred
stand bis an den Bauch im Wasser und lauerte mit Kamera, Augen und Viechsgeduld.
Die Sonne brannte, die Libellen surrten, die Wasserfrösche quarrten.
Allmählich schlief ich ein und hörte nur noch wie aus weiter
Ferne, dass Alfred mit den Enten schimpfte, die immer wieder zur Unzeit
ins Bild geschwommen kamen. Während ich noch schwer mit dem Entschluss
rang, aufzustehen und die Entlein wegzulocken, hörte ich plötzlich
Alfred gereizt und bestimmt sagen: »Rangangang, rang ... ah, will
sagen, Quähg, gegegeg, quähg, gegeg ... « Er hatte sich
versprochen, indem er nämlich die Enten versehentlich »auf
Graugänsisch« angeredet hatte 1 Freund Alfred sagte natürlich
die Laute mit vollendetem graugänsischem respektive stockentischem
Akzent. Eben darum wirkte das dazwischengeschaltete »ah, will sagen«
so unwiderstehlich komisch.
Eine Sprache im eigentlichen Sinne des Wortes jedoch haben die Tiere nicht.
Jedem Individuum einer höheren Tierart, vor allem einer gesellschaftlich
lebenden wie Dohle oder Graugans, ist ein ganzer Signalkodes von Ausdrucksbewegungen
und -lauten angeboren. Und angeboren ist sowohl die Fähigkeit, diese
Signale auszusenden, als auch die, sie richtig zu »verstehen«,
das heißt, in arterhaltend sinnvoller Weise zu beantworten. Mit
diesen Erkenntnissen, die durch viele Beobachtungen und Experimente gesichert
sind, geht ein großer Teil der Ähnlichkeit verloren, die alle
tierischen »Verständigungsmittel« bei oberflächlicher
Betrachtung mit der menschlichen Wortsprache haben. Diese Ähnlichkeit
vermindert sich noch weiter, wenn einem allmählich klar wird, dass
das Tier in allen Lautäußerungen und Ausdrucksbewegungen keineswegs
die bewusste Absicht hat, einen Artgenossen durch sie zu beeinflussen.
Auch allein aufgezogene und gehaltene Graugänse, Stockenten oder
Dohlen geben alle diese Signale von sich, sobald sie die betreffende Stimmung
anwandelt. Der Vorgang wirkt dann sehr zwangsläufig und »mechanisch«,
also ausgesprochen wenig menschenähnlich.
Auch im menschlichen Verhalten gibt es mimische Zeichen, die zwangsläufig
eine Stimmung übertragen: Du musst gähnen, wenn dir jemand vorgähnt,
um nur das bekannteste Beispiel zu nennen. Freilich sind die mimischen
Zeichen, durch die sich etwa die Gähnstimmung des Menschen äußert,
leichtwahrnehmbare und verhältnismäßig starke Reize, deren
auslösende Wirkung nicht unverständlich dünkt. Doch bedarf
es im allgemeinen keineswegs solch grober und sinnfälliger Signale,
eine Stimmung zu übertragen. Im Gegenteil: Es charakterisiert geradezu
diesen Vorgang, dass er auf ungemein feine, geringfügige und der
bewussten Beobachtung oft gar nicht zugängliche Ausdrucksbewegungen
anspricht. Der geheimnisvolle Sende- und Empfangsapparat, der die unbewusste
Übertragung von Gefühlen und Affekten vermittelt, ist uralt,
viel älter als die Menschheit. Er hat sich bei uns zweifellos in
dem Maße zurückgebildet, in dem sich unsere Wortsprache entwickelte.
Der Mensch bedarf nicht winzigster Intentionsbewegungen, seine jeweilige
Stimmung mitzuteilen, er kann es ja sagen. Dohlen oder Hunde aber sind
darauf angewiesen, einander »an den Augen abzulesen«, was
jeder im nächsten Augenblick tun wird. Deshalb ist bei höheren
und gesellschaftlich lebenden Tieren sowohl der Sende- wie der Empfangsapparat
der Stimmungsübertragung viel besser entwickelt und viel spezialisierter
als bei uns Menschen. Alle Ausdruckslaute der Tiere, wie das Kja und Kjuh
der Dohle, der viel- und der wenigsilbige Stimmfühlungslaut der Graugans,
all das ist unserer Wortsprache nicht vergleichbar, sondern ausschließlich
solchen Stimmungsäußerungen wie Gähnen, Stirnrunzeln,
Lächeln und dergleichen, die unbewusst und angeborenermaßen
»geäußert« und ebenso verstanden werden. Die »Worte«
der verschiedenen Tier-»Sprachen« sind sozusagen nur Interjektionen.
Mag zwar der Mensch ebenfalls über zahlreiche Nuancen unbewusster
Mimik verfügen, kein Josef Kainz oder Emil Jannings wäre imstande,
in diesem Sinne mimisch allein klarzumachen, ob er zu Fuß gehen
oder fliegen will, wie es die Graugans kann, oder anzudeuten, ob er nach
Hause oder noch weiter weg fahren will, wie es eine Dohle ohne weiteres
fertig bringt. Ist so der Sendeapparat der Tiere bedeutend leistungsfähiger
als der des Menschen, kann das gleiche auch vom Empfangsapparat der Stimmungsübertragung
gesagt werden. Dieser vermag nicht nur eine größere Anzahl
Signale selektiv auseinanderzuhalten, er spricht auch, um das nahe liegende
Gleichnis beizubehalten, auf viel geringere Sendeenergien an als der unsere.
Unglaublich, welch minimale, dem Menschen völlig unbemerkbare Zeichen
die Tiere noch aufnehmen und richtig verwerten. Fliegt aus einer Dohlenschar,
die am Boden Futter sucht, eine einzelne nur deshalb auf, um sich auf
den nächsten Apfelbaum zu setzen und das Gefieder zu putzen, so sieht
von den anderen keine auch nur hin. Fliegt sie aber auf, um eine längere
Strecke zurückzulegen, so fliegt, je nach »Autorität«
des betreffenden Scharmitgliedes, sein Ehegespons oder auch eine größere
Gruppe Dohlen mit, obwohl der Auffliegende nicht ein einziges »Kja«
geäußert hat.
Ist in diesen Fällen ein sehr guter Dohlenkenner immerhin noch imstande,
es den Tieren gleichzutun, feinste Anzeichen sinngemäß aufzufassen,
so ist es in anderen nicht mehr möglich. Schon der »Empfänger«
des Hundes übertrifft unsere analogen Fähigkeiten weitaus. Jeder
Hundekenner weiß, mit welch geradezu unheimlicher Sicherheit ein
treuer Hund es seinem Herrn ansieht, ob er das Zimmer zu irgendeinem für
den Hund uninteressanten Zweck verlässt oder ob der heiß ersehnte
Spaziergang winkt. Manche Hunde aber leisten in dieser Hinsicht noch viel
mehr. So wusste meine Schäferhündin Tito, die Ururururgroßmutter
des Hundes, den ich jetzt besitze, auf »telepathischem« Wege
ganz genau, welcher Mensch mir auf die Nerven ging und wann. Sie war durch
nichts daran zu hindern, solche Leute sanft aber bestimmt in den Hintern
zu beißen. Besonders gefährlich war es für autoritative
ältere Herren, mir gegenüber in Diskussionen die bekannte »Überhaupt-du-bist-zu-jung«-Attitüde
einzunehmen: Äußerte ein Fremder derartiges, griff er alsbald
erschrocken nach der Stelle, an der ihn Tito pünktlich gestraft hatte.
Ganz unerklärlich war mir, dass die Sache auch dann verlässlich
funktionierte, wenn die Hündin unter dem Tisch lag, also Gesichter
und Gebärden der Menschen nicht sehen konnte; woher wusste sie also,
wer mit wem sprach, wer mein Meinungsgegner war?
Dieses feine Verstehen der jeweiligen Stimmung des Herrn ist natürlich
keine »Telepathie«. Manche Tiere haben eben die Fähigkeit,
erstaunlich kleine Bewegungen wahrzunehmen, die sich dem menschlichen
Auge entziehen. Und ein Hund, der mit konzentriertester Aufmerksamkeit
darauf bedacht ist, seinem Herrn zu Diensten zu sein, der buchstäblich
dauernd »an seinen Lippen hängt«, bringt es darin besonders
weit. Aber auch Pferde leisten in dieser Hinsicht Beachtliches. So mag
es- denn hier angebracht sein, von einigen Kunststücken zu reden,
die einzelnen Tieren sogar eine Art Berühmtheit eingetragen haben.
Manchem wird noch der »Kluge Hans« in Erinnerung sein; auch
andere »denkende Pferde« hat es gegeben, die sogar Kubikwurzeln
ausrechnen konnten, ja, der Wunderhund Rolf, ein Airdale Terrier, hat
es soweit gebracht, dass er seiner Herrin sein Testament diktierte.
Alle diese zählenden, redenden und denkenden Tiere »sprechen«
in Klopfzeichen oder Bell-Lauten, deren Bedeutung nach Art eines Morse-Alphabets
festgelegt ist. Die Darbietungen sind auf den ersten Blick wirklich verblüffend.
Du wirst aufgefordert, selbst zu prüfen. Man stellt dich dem braven
Ross, Dackel, oder welches Tier es sonst ist, gegenüber. Du fragst,
wie viel ist zwei mal zwei der Dackel schaut dich scharf an und bellt
viermal. Noch erstaunlicher wirkt das Pferd, weil es einen bei seinem
Klopfen nicht einmal zu beachten scheint; Pferde sehen nämlich auch
dort, wohin sie nicht gerade »fixieren«, im so genannten indirekten
Sehen, kleinste Bewegungen ungemein genau. Du selbst bist es nämlich,
der dem »denkenden« Tier die richtige Lösung durch ungewollte
Mitteilung kleinster Zeichen verrät. Weiß man selbst die Lösung
der Aufgabe nicht, so bellt oder klopft das arme Tier verzweifelt immer
weiter, vergebens auf ein Zeichen wartend, das ihm sagt, es habe genug
getan. Doch sind die wenigsten Menschen auch bei äußerster
Anspannung der Selbstbeobachtung und Selbstbeherrschung imstande, diese
unbewusste und ungewollte Zeichengebung zu verhindern.
Dass es nur der Mensch ist, der die Lösung findet und dem angeblich
denkenden Tier übermittelt, hat einer meiner Kollegen einmal an einem
sehr berühmt gewordenen Dackel nachgewiesen, der einer ältlichen
Jungfrau gehörte. Die Methode war perfid: Auf der Vorderseite eines
Täfelchens, das aus mehreren Lagen durchscheinenden Papiers zusammengeklebt
war, stand in fetten Ziffern eine einfache Rechenaufgabe; von hinten her
aber konnte man im durchfallenden Licht eine andere gerade noch durchscheinen
sehen. Als die Dame nun ihrem Hund diese Täfelchen vorhielt, bellte
er immer nur die Lösungen, die den seiner Herrin sichtbaren Aufgaben
entsprachen, nicht aber denen, die das Tier selbst hätte lesen können.
Am Schluss präsentierte mein Freund dem Dackel ein Papier, das mit
dem Duft einer liebesbrünstigen Dackeline imprägniert war. Der
Dackel schnupperte erregt, winselte und wedelte mit dem Schwanz. Er wusste
genau, was er da roch, nicht aber seine Herrin. Als sie den Hund befragte,
wonach das Papierchen rieche, morste der Dackel prompt: »nach Käse«.
Die geradezu enorme Empfindsamkeit mancher Tiere für bestimmte,
kleinste Ausdrucksbewegungen, etwa wie die beschriebene Fähigkeit
des Hundes, freundliche oder feindselige Gefühle zu bemerken, die
sein Herr einem anderen Menschen entgegenbringt, ist natürlich höchst
wunderbar. Es liegt daher für den naiv vermenschlichenden Beobachter
nahe zu glauben, ein Wesen, das »sogar« solche innersten,
unausgesprochenen Gedanken errät, müsse »erst recht«
jedes Wort verstehen, das der geliebte Herr spricht. Man vergisst jedoch
dabei, dass die Fähigkeit, feinste Ausdrucksbewegungen zu verstehen,
bei sozialen Tieren ja gerade deshalb so auf die Spitze getrieben ist,
weil sie Worte nicht verstehen, weil sie eben nicht sprechen können.
Kein Tier sagt jemals irgendetwas in der bewussten Absicht, seinen Artgenossen
zu einer bestimmten Verhaltensweise zu veranlassen. Alle Ausdrucksbewegungen
und -laute, die tierische »Verständigung« vermitteln,
werden vom »Sender« als reine Interjektionen geäußert.
Wenn dein Hund dich mit der Nase stößt, winselt, zur Tür
läuft und daran kratzt oder die Pfoten auf die Muschel des Ausgusses
unter der Wasserleitung legt und sich fragend umsieht, so tut er damit
etwas, das dem menschlichen Sprechen unvergleichlich näher kommt
als alles, was eine Dohle oder eine Graugans je »sagen« kann,
so klar »verständlich« und zweckentsprechend jene fein
differenzierten Ausdruckslaute auch sind. Der Hund will dich veranlassen,
die Tür zu öffnen oder den Wasserleitungshahn aufzudrehen, was
er tut, ist bewusste, zweckgerichtete Beeinflussung des menschlichen Freundes;
die Dohle oder die Graugans aber gibt nur völlig unbewusst ihrer
inneren Stimmung Ausdruck, das »Kjuh« oder »Kja«
oder der Warnlaut »entfährt« ihr ohne Absicht, sie muss
ihn in der betreffenden Stimmung sagen, sie kann ihn gar nicht unterdrücken,
und sie sagt ihn auch genauso, wenn sie ganz allein ist.
Außerdem ist das, was der Hund tut, erlernt und einsichtig, was
die Vögel tun und sagen, aber ist restlos angeboren und vererbt.
jeder einzelne Hund hat andere Methoden, sich seinem Herrn verständlich
zu machen, und auch ein und derselbe Hund wird je nach der augenblicklichen
Situation andere Mittel anwenden, um dieses Ziel zu erreichen. Meine Hündin
Stasi hatte einmal etwas gefressen, was ihr nicht bekam, weshalb sie in
der Nacht »hinaus« musste. Ich war damals überanstrengt
und schlief sehr fest; so gelang es ihr nicht, mich mit ihren üblichen
Signalen zu wecken und ihr Bedürfnis anzuzeigen. Als sie mich mit
der Nase stupste und winselte, hatte ich mich offenbar nur noch tiefer
in Kissen und Decken gewühlt. Da sprang sie kurz entschlossen auf
mein Bett, grub mich mit den Vorderpfoten aus und wälzte mich einfach
aus dem Bett.
Eine derartige, dem augenblicklich verfolgten Zweck angepasste Veränderlichkeit
fehlt den Ausdrucksbewegungen und Signallauten der Vögel vollständig.
Papageien und viele Rabenvögel können bekanntlich »sprechen«,
also menschliche Worte nachahmen; dabei ist allerdings zuweilen auch eine
Gedankenverbindung zwischen den Lauten und bestimmten Erlebnissen möglich.
Diese Nachahmung ist nichts anderes als das so genannte Spotten, das wir
bei vielen Singvögeln finden; Gelbspötter, rotrückiger
Würger, Blaukehlchen, Star und andere sind darin Meister. Die gespotteten,
also nicht angeborenen Laute äußern die betreffenden Vögel
nur im Gesang, ohne jede Beziehung zu der Bedeutung der einzelnen Vokabeln.
Das gilt auch für Stare, Elstern und Dohlen, die es im Nachahmen
menschlicher Worte beachtlich weit bringen.
Anders ist es um das »Sprechen« der großen Raben und
vor allem der großen Papageien bestellt. Auch ihr Sprechen menschlicher
Wörter trägt deutlich jenen Charakter des absichtslos Spielerischen,
der dem Gesange anderer und geistig weniger hochstehender Vögel zukommt,
doch haben sich die einzelnen Lautäußerungen der Raben und
Papageien merkwürdig unabhängig gemacht: Es ist unverkennbar,
dass ganz bestimmte und beinahe (beinahe l) sinnvolle Gedankenverbindungen
vorhanden sind.
Viele Graupapageien und manche Amazonen sagen »Guten Morgen«
nur in der Frühe, und zwar nur einmal, also ganz sinngemäß.
Otto Koehler besaß einen uralten Graupapagei, der dem Laster des
Federrupfens frönte und daher fast nackt war und auf den Namen »Geier«
hörte. Geier war beileibe nicht schön, versöhnte aber durch
seine Sprachbegabung. Er sagte »Guten Morgen« und »Guten
Abend« völlig sinngemäß, und wenn ein Besuch aufstand,
um sich zu verabschieden, sagte er mit wohlwollend tiefer Bierstimme »Na,
auf Wiedersehen«. Wohlgemerkt: Nur wenn man aufstand und sich wirklich
verabschiedete. Wie denkende Hunde war auch er auf feinste, unbewusst
gegebene Zeichen, dass es »ernst gemeint« ist, eingestellt;
auf welche Zeichen - das haben wir nie herausgebracht. Kein einziges Mal
gelang es, die Redewendung durch einen fingierten Abschied zu provozieren.
Ging man jedoch dann wirklich und verabschiedete man sich noch so unauffällig:
prompt und wie zum Spotte bekam man zu hören »Na, auf Wiedersehen«.
Der bekannte Berliner Ornithologe Oberst von Lukanus besaß auch
einen Graupapagei, der durch seine Gedächtnisleistung berühmt
geworden war. Lukanus hielt neben anderen Vögeln auch einen zahmen
Wiedehopf, namens »Höpfchen«; der Papagei, der gut sprechen
konnte, hatte sich bald dieses Wort angeeignet. Wiedehöpfe leben
leider in Gefangenschaft nicht lange, wohl aber Graupapageien. Höpfchen
ging also nach einiger Zeit den Weg alles Irdischen, und der Papagei schien
seinen Namen vergessen zu haben, jedenfalls hatte er ihn niemals mehr
gesagt. Nach sage und schreibe neun Jahren bekam Oberst von Lukanus einen
neuen Wiedehopf, und als der Papagei ihn zum ersten Male erblickte, sagte
er sofort und dann wiederholt: »Höpfchen« ... »Höpfchen«...
So zähe das Gedächtnis dieser langlebigen Vögel festhält,
was sie einmal erlernt haben, so langsam lernen sie im allgemeinen auch.
Jeder, der einem Star oder einem Papagei ein neues Wort beibringen will,
weiß, mit welcher Geduld man sich dazu wappnen, wie unermüdlich
man ihm das Wort wieder und wieder vorsprechen muss. Und dennoch können
solche Vögel ausnahmsweise ein Wort nachahmen lernen, das sie nur
selten, ja vielleicht nur ein einziges Mal gehört haben. Das scheint
aber nur in »Ausnahmezuständen« höchster Erregung
zu gelingen; ich selbst kenne nur zwei verbürgte Beobachtungen.
Mein Bruder besaß jahrelang einen reizenden, zahmen, lebhaften
und außerordentlich sprachbegabten Amazonenpapagei, namens »Papagallo«.
Papagallo flog, solange er bei uns in Altenberg lebte, ebenso frei umher
wie alle anderen Vögel. Ein gut sprechender Papagei, der frei von
Baum zu Baum fliegt und dabei menschliche Worte sagt, wirkt noch viel
komischer als einer, der im Käfig sitzt und das gleiche tut. Wenn
Papagallo mit lauten Rufen »Wo ist denn der Herr Doktor« durch
die Gegend flog, manchmal auch wirklich auf der Suche nach seinem Herrn,
so war das einfach unwiderstehlich.
Noch komischer, aber auch in ernstem Sinne merkwürdig, war folgende
Leistung des Vogels: Papagallo fürchtete nichts und niemanden - ausgenommen
den Rauchfangkehrer. Vögel fürchten sich überhaupt leicht
vor Dingen, die oben sind, was wohl mit der, angeborenen Furcht vor dem
von oben herabstoßenden Raubvogel zu tun hat. So hat alles, was
sich gegen den Himmel abhebt, für sie etwas von der Gefühlstönung
»Raubvogel«: Als der schwarze Mann, an sich schon unheimlich
dunkel von anderen Menschen verschieden, auf dem Schornstein stehend sich
gegen den Himmel abzeichnete, geriet Papagallo in panischen Schrecken
und flog laut kreischend davon, so weit, dass wir um seine Rückkehr
besorgt waren. Monate später, als der Rauchfangkehrer zum andern
Male kam, saß Papagallo auf der Wetterfahne und ärgerte sich
über Dohlen, die sich ebenfalls dorthin setzen wollten. Auf einmal
sah ich ihn schlank werden und ängstlich nach unten äugend sichern,
dann flog er auf und davon und schrie ununterbrochen in gellenden Tönen:
»Der Rauchfangkehrer kommt, der Rauchfangkehrer kommt«. Im
nächsten Augenblick trat der Schwarze durch das Hoftor.
Leider gelang es mir nicht mehr, klar festzustellen, wie oft Papagallo
den Rauchfangkehrer vorher gesehen hatte und wie oft er den aufgeregten
Ruf unserer Köchin gehört hatte, der sein Kommen anzeigte. Es
war nämlich eindeutig die Stimme dieser Dame, die aus seinen Worten
klang. Öfter als zwei, höchstens drei Mal ist es aber sicher
nicht gewesen, und zwar jeweils nur einmal und in Abständen von Monaten.
Der zweite mir bekannte Fall, in dem ein »sprechender« Vogel
menschliche Worte, und zwar wiederum einen ganzen Satz, nach einmaligem
oder doch nur einige wenige Male wiederholtem Hören aufgenommen hat,
betrifft eine Nebelkrähe. »Hansl«, so hieß das
Tier, konnte es an Sprechbegabung mit dem talentiertesten Papagei aufnehmen.
Hansl war von einem Bahnbeamten im Nachbarort St. Andrä-Wördern
aufgezogen worden, flog völlig frei und hatte sich zu einem ansehnlichen
und gesunden Vogel ausgewachsen, ein gutes Zeugnis für die pflegerischen
Fähigkeiten seines Nährvaters; entgegen verbreiteter Meinung
sind nämlich Krähen nicht leicht aufzuziehen und entwickeln
sich bei der Behandlung, die ihnen meist zuteil wird, nur zu jenen verkrüppelten
»Hans-Huckebein«, wie sie Wilhelm Busch so mitleidlos darstellt.
Eines Tages brachten mir Dorfbuben eine gänzlich verdreckte Nebelkrähe,
deren Schwingen und Schwanz bis auf winzige Stummeln gestutzt waren, so
dass ich in ihr kaum mehr den schönen Hansl zu erkennen vermochte.
Ich kaufte den Vogel, wie ich grundsätzlich alles arme Viehzeug kaufe,
das die Dorfbuben bringen, teils aus Mitleid, teils, weil einmal auch
etwas wirklich Seltenes unter den angeschleppten Viechern sein könnte.
Dann rief ich Hansls Herrn an, der mir erzählte, dass der Vogel tatsächlich
seit einigen Tagen fehle, und mich bat, ihn bis zur nächsten Mauser
in Pflege zu nehmen. Ich setzte also die Krähe in die Fasanenvoliere
und gab ihr Kraftfutter, damit sie in der bald zu erwartenden Mauser gute
neue Schwung- und Steuerfedern bekäme. Schon in dieser Zeit, da das
Tier notgedrungen Gefangener war, lernte ich Hansl als überraschenden
Sprechkünstler kennen. Was bekam ich da nicht alles zu hören!
Vor allem natürlich, was so eine zahme Nebelkrähe, die auf einem
Baum unmittelbar an der Dorfstraße sitzt, selbst zu hören bekommt,
nämlich, was die Dorfbuben zu ihr sagen. In unverfälschtem Niederösterreichisch
deklamierte Hansl : »Geh hörst, kumm her, geh schau, da sitzt
er, geh hörst, geh Ferdl, geh schau, da sitzt er.« usw. Ich
hatte die Freude, den netten Vogel in der nächsten Mauser wieder
gesundet zu sehen und ließ ihn frei, sowie er voll flugfähig
war. Er kehrte sofort zu seinem früheren Herrn nach Wördern
zurück, besuchte uns aber weiterhin regelmäßig, ein gern
gesehener Gast. Einmal war er mehrere Wochen hindurch verschwunden. Und
als er wiederkehrte, bemerkte ich an einem Fuß eine gebrochene Hinterzehe,
die schief zusammengewachsen war. Und diese gebrochene Zehe ist die Pointe
der ganzen Geschichte von Hansl, der sprechenden Nebelkrähe. Wir
wissen nämlich, woher er den kleinen Schönheitsfehler hatte.
Und von wem wissen wir das? Man mag es glauben oder nicht: Hansl bat es
uns erzählt! Als er nämlich nach der erwähnten längeren
Abwesenheit plötzlich wieder da war, konnte er einen neuen Satz.
Mit Lausbubenstimme sagte er die inhaltsschweren Worte: »Mit'm Schlageisen
ham's ihn g'fangtl«
An der Wahrheit dieser Mitteilung war nicht zu zweifeln. Genau wie dem
Papagallo hat sich unserm Hansl der Satz, den er gewiss nicht oft gehört
hatte, deshalb eingeprägt, weil ihn das Tier in großer Erregung,
also offenbar unmittelbar nachdem es gefangen worden war, gehört
hatte. Wie er wieder freigekommen ist, hat uns Hansl leider nicht erzählt.
In solchen Fällen schwört ein vermenschlichender Tierfreund
Stein und Bein, dass der Vogel versteht, was er sagt. Davon ist natürlich
keine Rede. Auch die am besten »sprechenden« Vögel, die,
wie wir gesehen haben, wohl imstande sind, ihre Lautäußerungen
durch sehr bestimmte Gedankenverbindungen an gewisse Geschehnisse zu knüpfen,
lernen es merkwürdigerweise niemals, mit ihrem Können auch nur
den einfachsten Zweck zu verknüpfen.
Otto Koehler, der die größten Erfolge in der wissenschaftlichen
Dressur von Vögeln zu verzeichnen hat, der Mann, dem es gelungen
ist, Haustauben so abzurichten, dass sie wirklich bis sechs zählen
können, hat auch versucht, seinen schon erwähnten hochbegabten
Graupapagei „Geier“ darauf zu dressieren, dass er »Futter«
sagt, wenn er hungrig, und »Wasser« wenn er durstig ist. Das
gelang nicht und ist bisher auch keinem anderen gelungen. An sich ist
diese Tatsache recht merkwürdig, denn »assoziieren« kann
der Papagei ja ganz offensichtlich was er sagt, und irgendwelche anderen
Bewegungen, die zur Erreichung eines Zweckes dienen, den der Vogel anstrebt,
werden ohne weiteres erlernt, und zwar auch solche, die ausschließlich
darauf abzielen, den menschlichen Pfleger zu einer bestimmten Handlungsweise
zu veranlassen.
Ein sehr groteskes und außerordentlich komisches Verhalten dieser
Art hatte sich ein zahmer Kleinpapagei, ich glaube es war ein Nanday-Sittich,
angewöhnt, den Karl von Frisch besaß. Der Forscher ließ
diesen Vogel gewohnheitsmäßig nur dann für einige Zeit
frei im Zimmer fliegen, wenn er gerade eine Entleerung des Tieres beobachtet
hatte, so dass in den nächsten zehn Minuten für die schönen
Möbel nichts zu befürchten war. Der Sittich hatte diesen Zusammenhang
in kürzester Zeit erfasst, und da er leidenschaftlich gern frei flog,
so druckste er mit Gewalt und demonstrativ ein winziges Patzerl hervor,
sobald Professor von Frisch an den Käfig trat. Ja, er druckste selbst
dann verzweifelt, wenn es ihm gar nicht möglich war, Greifbares zu
produzieren, er drohte geradezu, sich einen Schaden anzutun, so plagte
er sich. Man musste ihn einfach freilassen, wenn man dem Armen zusah.
Und der kluge Geier, weit klüger als jener kleine Sittich, lernte
es nicht und nicht, »Futter« zu sagen, wenn er fressen wollte.
Der ganze komplizierte Apparat von Kehlkopf und Gehirn, der Nachahmung
und Gedankenverbindung ermöglicht, scheint keinerlei uns verständliche
Funktion für die Erhaltung der Art zu entwickeln. Man fragt sich
vergebens, »wozu« er da ist.
Ich kenne nur einen einzigen Vogel, der es lernte, ein Menschenwort zu
gebrauchen, wenn er etwas wollte, der also mit einer erlernten Lautäußerung
einen Zweck verband. Und es ist gewiss kein Zufall, dass dies der Vogel
konnte, welchen ich für den geistig höchststehenden aller Vögel
halte, nämlich ein Kolkrabe. Kolkraben haben einen bestimmten angeborenen
Ruf, der dem »Kja« der Dohle entspricht und die Aufforderung
mitzufliegen bedeutet: ein sonores und dabei doch metallisch scharfes
»Rackrack« oder »Krackrackrack«. Will der Vogel
einen befreundeten Artgenossen, der am Boden sitzt, veranlassen mitzufliegen,
so vollführt er die gleiche Bewegungsweise, die wir an der Dohle
in ähnlichen Fällen gesehen haben: Er fliegt von hinten her
dicht über den anderen Raben hin, wackelt mit dem eng zusammengefalteten
Steuer und ruft dazu besonders scharf und laut sein »Krackrackrack«,
das dann fast wie eine Folge kleiner Explosionen klingt.
Der Rabe Roa, benannt nach dem gewöhnlichen Stimmfühlungsruf
des Jungvogels seiner Art, war mit mir noch in seinen alten Tagen eng
befreundet, begleitete mich, wenn er nichts anderes vorhatte, bei weiten
Spaziergängen, ja selbst bei Motorbootfahrten auf der Donau und auf
Skitouren. Besonders in seinem späteren Alter war er nicht nur gegen
andere Menschen sehr scheu, sondern er hatte auch eine starke Abneigung
gegen Örtlichkeiten, an denen er wohl früher einmal erschreckt
worden war oder sonst' eine üble Erfahrung gemacht hatte. Nicht nur,
dass er an solchen Orten nicht aus der Luft zu mir herabkommen wollte,
nein, er konnte es auch nicht mit ansehen, dass ich mich an solchen, nach
seiner Ansicht gefährlichen Plätzen aufhielt. Und genau wie
Dohleneltern ihre unvorsichtigen Kinder veranlassen wollen auf- und mitzufliegen,
stieß auch Roa in solchen Fällen aus hoher Luft in sausendem
Sturzflug auf mich herab, flog mir von hinten her dicht über den
Kopf, wackelte mit dem Schwanz und zog wiederum hoch; dabei sah er sich
über die Schulter nach mir um. Zu dieser, um es nochmals zu betonen,
ererbten und angeborenen Bewegungsweise sagte er aber nicht den ererbten
und angeborenen Fluglockruf seiner Art, sondern rief an seiner Statt mit
Menschenstimme. »Roa, Roa, Roa«. Das Merkwürdige an der
Sache war, dass Roa den artspezifischen Fluglockruf, das Krackrackrack,
ja auch hatte und anderen Raben gegenüber durchaus artgemäß
anwendete. Zu seiner Frau sagte er Krackrackrack, wollte er sie zum Auffliegen
bringen, zu seinem .menschlichen Freund aber das Menschenwort! Eine Dressur
in diesem Falle anzunehmen ist ausgeschlossen. Denn sie hätte nur
dadurch zu Stande kommen können, dass der Vogel zunächst rein
zufällig »Roa« gesagt hätte und ich darauf ebenso
zufällig zu ihm hingegangen wäre. Das ist aber ganz sicher nicht
geschehen. Der alte Rabe muss also eine Art Einsicht dafür besessen
haben, dass »Roa« mein Lockruf ist.
Salomo war demnach nicht der einzige, der zu Tieren reden konnte, aber
Roa ist bis jetzt das einzige Tier, das je zu Menschen ein Menschenwort
sinnvoll und einsichtig gesprochen hat, wenn es auch nur ein einfacher
Lockruf gewesen ist.
Konrad Lorenz
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