Als lebende Fossilien bezeichnet man rezente Tier- und Pflanzenarten,
die in gleicher oder ähnlicher Form schon in weit zurückliegenden
Erdzeitaltern existierten.
Der Begriff „lebendes Fossil“ ist eigentlich ein Widerspruch
in sich: Fossilien leben nicht.
Vielfach ist die Frage gestellt worden, warum es überhaupt Formen
gibt, die ihre Gestalt über so lange Zeiten bewahrt haben.
Es gibt verschiedene Erklärungen, die sich überlagern können:
(1) Der konkurrenzarme Lebensraum ist eine von mehreren Erklärungen.
Das mag für die Tiefsee gelten (z. B. für Neopilina), aber nicht
für andere Formen wie Lingula und Limulus, die in der turbulenten
und wechselhaften Gezeitenzone leben.
(2) Eine weitere Theorie berücksichtigt Extrembedingungen wie
etwa eine hohe Konzentration von Schwefelwasserstoff, unter denen nur
wenige Organismen zu existieren vermögen. Das gilt für einige
Priapuliden, jedoch nicht für viele anderen Formen.
(3) Eine plausible Erklärung liegt im genetischen Polymorphismus.
Untersuchungen von Priapuliden haben gezeigt, dass homologe Proteine sich bei Formen, die morphologisch sehr ähnlich sind, stärker unterscheiden können als vergleichbare Proteine bei Arten verschiedener Tierordnungen. Hinter identischen oder sehr ähnlichen
Strukturen muss sich also nicht ein entsprechender identischer oder sehr
ähnlicher Genotyp verbergen. Genetische Vielfalt ist, wie man heute
sicher weiß, ein wesentlicher Überlebensfaktor einer Population.
In manchen Fällen haben sich vermutlich verschiedene Faktoren überlagert,
und schließlich wird hie und da auch der Zufall eine Rolle gespielt
haben.
Priapuliden:
Unter den Tieren stellen die Priapuliden die ältesten lebenden Fossilien.
Ottoia aus dem Burgess Shale (Mittel-Kambrium) stimmt bis in Einzelheiten
der inneren Anatomie mit der rezenter Gattung Halicryptus überein.
Ottoia prolifica weist sogar eine besondere Ähnlichkeit mit der kürzlich
an der Küste Alaskas entdeckten Art Halicryptus higginsi auf. Etwas
jüngeren Datums ist die Gattung Priapulites aus der karbonischen
Mazon Creek Formation in den USA, die den rezenten Gattungen Priapulus
und Priapulopsis ähnelt. (Abb.: Priapulus)
Seit dem Silur hat die Brachiopoden-Gattung Lingula ihre äußere
Form bewahrt. Lingula ist heute in der Gezeitenzone des Indopazifik weit
verbreitet und kommt in manchen Gebieten, z. B. in Südostasien, sehr
häufig vor.
Neopilina
Neopilina, zur Mollusken-Gruppe der Monoplacophora gehörend, wurde
als rezente Form erst 1952 im Peru-Chile-Graben entdeckt, wo sie bis in
6000 m Tiefe vorkommt. Bis dahin kannte man sie nur fossil. Neopilina
und die nahe verwandte Vema gehen auf eine kambrische Radiation zurück.
Damals lebten die Formen auf Felssubstrat im Flachwasser und hatten dickere
Schalen als die rezenten Tiefseeformen. Ein weiteres Mollusk mit einer
besonders langen Geschichte ist die Schnecke Pleurotomaria. Wir kennen
sie seit dem Devon, und auch in ihrem Fall blieb die Gestalt weitgehend
konstant. (Abb.: Neopilina).
Limulus
Seit dem späten Paläozoikum sind die Xiphosuren aus marinen
Lebensräumen bekannt. Palaeolimulus aus dem Perm hatte schon große
Ähnlichkeit mit heutigen Formen. Mesolimulus kennen wir mit gut erhaltenen
Exemplaren zum Beispiel aus dem Jura der Alb. Noch älter ist der
Pfeilschwanz Weinbergina, der vor 400 Mio. Jahren lebte. Heute sind Xiphosuren
noch entlang der nordamerikanischen Atlantikküste verbreitet (Limulus),
und kommen mit zwei Gattungen (Carcinoscorpius, Tachypleus) in
Südostasien vor, wo sie auch ins Brackwasser eindringen. Heute sind
die Bestände rückläufig. Die heutigen Xiphosuren sind Bewohner
von Flachmeeren.
(Abbildungen: Limulus)
Nautilus
Nautilus ist seit dem Jura bekannt und gehört zu einer ehemals blühenden
Tiergruppe, den Nautiloida innerhalb der Cephalopoden. Die Nautiloida
erlebten ihre Hauptblütezeit im älteren Paläozoikum. Mit
Hunderten von Gattungen waren sie in den Weltmeeren vertreten. Während
die ältesten Formen vorwiegend langgestreckte Gehäuse besaßen,
gibt es seit der Trias nur noch spiralig eingerollte Formen mit einfachem
Siphunkel, ähnlich dem rezenten Nautilus. Derartige Fossilien dieser
Art sind in Südschweden (Schonen), auf den Inseln Öland und
Gotland, aber auch in Kiesgruben Norddeutschlands zu finden. Die rezente
Gattung Nautilus lebt heute im indischen und pazifischen Ozean in Tiefen
von 50-500 m.
(Abb. rechts: Nautilus)
Latimeria
Seit
dem frühen Mesozoikum sind Lungenfische (Dipnoi) bekannt. Die Gattung
Ceratodus hat sich in leicht abgewandelter Form bis heute in Australien
gehalten (Neoceratodus). Quastenflosser (Crossopterygii), die wie
die Lungenfische zu den Knochenfische gehören, waren schon seit langem
fossil (Devon bis Kreide, Blütezeit in der Trias) bekannt, als 1938
die bis 2 m lange Latimeria chalumnae vor der südafrikanischen
Küste entdeckt wurde. Latimeria gehört innerhalb der Crossopterygii
zu den Actinistia, deren Existenz schon seit dem De-von belegt ist. Danach
lebten sie im Süßwasser; ihre Lunge wurde im Laufe der Evolution
zu einer Schwimmblase. Seit Ende der 80er Jahre weiß man, dass sich
Latimeria in einer Tiefe von 150-300 m auf Felsböden vor der südafrikanischen
Küste langsam schwimmend, die Flossen im Kreuzgang bewegend, fortbewegt.
Seit Ende der 90er Jahre kennt man Latimeria auch aus Meeresgebieten nördlich
von Sulawesi (Celebes).
In ihrer inneren Anatomie weist Latimeria einige Besonderheiten auf: Das
Gehirn nimmt nur ein Hundertstel des Volumens der Schädelhöhle
ein, der übrige Raum wird von einer fettreichen Substanz ausgefüllt.
Auch das Schwimmblasen-Organ stellt eine Fettmasse dar. (Abbildungen
oben: Latimeria fossil und rezent).
Leiopelma
Bei den Amphibien ist am ehesten der Frosch Leiopelma ein „lebendes
Fossil". Die Gattung ist aus Neuseeland bekannt und weist erhebliche
Übereinstimmungen mit den jurassischen Montsechobatrachus auf.
(Abb rechts: Leiopelma).
Brückenechse
Unter
den Reptilien ist die Brückenechse (Sphenodon) ein Paradebeispiel
für lebende Fossilien. Die beiden rezenten Brückenechsen-Arten
leben tagsüber in selbstgegrabenen Erdlöchern oder in Höhlen
von Sturmvögeln; nachts gehen sie auf Nahrungssuche (Insekten und
Vogeleier). Sie kommen auf einigen kleinen In-seln vor der Nordinsel Neuseelands
vor. Im Mesozoikum war die Gruppe der Rhynchocephalia dagegen weit verbreitet.
Man kennt sie u. a. aus dem Jura Solnhofens. (Abb. oben: Sphenodon).
Opossum
Unter den Säugern hat sich Didelphis (Opossum) besonders
lange gehalten. Schädelteile sind aus der Kreide bekannt.
(Abb. rechts: Opossum)
Ginkgo
Der Ginkgobaum ist der einzige noch lebende Vertreter seiner Familie
und seiner Ordnung – im Mesozoikum war die Ordnung sehr verbreitet.
Seit dem Altertum wird der Ginkgo als heiliger Baum in den Tempelgärten
Chinas verehrt und ge-pflegt. Ginkgos werden zwischen 12 und 37 Meter
hoch. Das Ginkgoblatt ist fächerförmig. Die Blattadern entspringen
am Blattgrund und sind stets gabelförmig verzweigt. Der Ginkgobaum
ist zweihäusig: Männliche und weibliche Blüten entwickeln
sich auf verschiedenen Bäumen. Der Ginkgobaum erreichte Europa Mitte
des 18. Jahrhunderts, er wird häufig in Park- und Gartenanlagen gepflanzt.
Außerdem hat er sich als geeigneter Großstadtbaum erwiesen.
Der resistente Baum gedeiht auch in Gegenden mit starker Luftverschmutzung
und wenig Sonnenlicht sowie unter anderen stadttypischen Umweltbedingungen.
Inzwischen wurden mehrere Ginkgosorten gezüchtet.
(Abb links: Ginkgoblatt)
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